Nach dem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2020 und dann den Nachwahlen in Georgia im Januar 2021 schwebten die Democrats auf Wolke 7: Trump war gebannt, man hatte eine trifecta gewonnen, und angesichts ambitionierter Programme und der schnellen Verabschiedung eines Covid-Hilfspakets war schon die Rede von einem New New Deal. Biden schien die Quadratur des Kreises gelungen und der politische Stillstand seit 2009 aufgebrochen. Nichts davon ist mehr zu spüren; stattdessen herrscht eine Stimmung, die mit "Katerstimmung" kaum mehr richtig umschrieben werden kann. Hier ist schon ein ganzes Rudel Wildkatzen am Werk. Bidens Popularitätswerte sind auf einem Rekordtief, die Partei steuert auf eine Katastrophe bei den Midterms 2022 zu, die sich an der Obamas 2010 und Trumps 2018 messen lassen dürfte, und Trump führt alle Umfragen für einen hypothetischen Wahlgang 2024. Was ist geschehen? Ist bereits wieder alles verloren?
Widmen wir uns zuerst dem Präsidenten selbst. Biden ist immer noch ein alter weißer Mann. Er hat keine kontroversen Statements gemacht, ist nicht vom Podest gefallen, hat sich ideologisch nicht bewegt. Er ist derselbe moderate Mitte-Politiker, der er in den letzten 30 Jahren auch war und als der er zum Präsident gewählt wurde. Seine Agenda ist so populär wie nichts seit "Morning in America", mindestens. Die Covid Relief Bill, die Infrastructure Bill und das "Build Back Better"-Programm haben Beliebtsheitswerte, von denen sein Vorgänger Obama nur träumen konnte (der notorisch unbeliebte Trump sowieso). Der Graben zwischen der Popularität seiner Agenda und seiner eigenen Person verwundert auch Meinungsforscher Nate Cohn, der zum selben Schluss kommt wie alle anderen auch: in der Person Joe Biden lässt sich die Ursache nicht suchen.
Sind es also Ereignisse von außen? Gerne wird auf das sommerliche Afghanistan-Desaster verwiesen. Zwar gibt es eine Korrelation zwischen den sinkenden Werten und der Machtübernahme der Taliban, aber der Sinkflug seiner Werte begann bereits vor dem Fall von Kabul und setzt sich quasi linear fort, weswegen die Annahme realistisch ist, dass auch ohne das Afghanistan-Debakel die Werte so aussehen würden wie jetzt. Sie sind auch keine Überraschung: bei den Democrats ist Bidens Beliebtheit unverändert hoch, die Republicans hassen ihn unverändert; alles, was sich verschoben hat, ist die Gruppe der "Independents", in der die Wahlen entschieden werden und wo er fast 20% eingebüßt hat. Man muss sich hüten, diese Leute als Mitte der Gesellschaft zu framen; zahlreiche Mythen sind über sie in Umlauf, und "mittig" sind sie schon gleich dreimal nicht. Sie identifizieren sich nur nicht mit einer der Parteien.
Wenn es also nicht die Person des Präsidenten ist (wie bei Trump) und nicht das Programm, das er durch den Kongress zu bringen versucht (wie bei Obama), warum sacken die Beliebtheitswerte von Präsident und Partei stärker ab als ein Eis in der Sommersonne? Der Schlüssel liegt in der Partei. Es sind die Aktivist*innen und Abgeordneten der Democrats, die von zwei unterschiedlichen Richtungen her eine gigantische Selbstsabotage betreiben.
Die eine Richtung ist die aktivistische Basis der Partei. Ihr ist hauptsächlich zu verdanken, dass der in den Umfragen sicher geglaubte Sieg über Donald Trump doch noch zu einem nail biter wurde, knapper noch als Trumps Sieg über Hillary Clinton 2016 (wobei natürlich in beiden Fällen eine deutliche Mehrheit für die demokratischen Kandidat*innen stimmte, was aber wegen des antidemokratischen Wahlsystems bedeutungslos ist). Exemplarisch deutlich wird das in der Forderung #DefundThePolice, die vor allem nach dem Mord an George Floyd rapide an Bedeutung gewann. Dieser Slogan war selbst auf dem Höhepunkt der Proteste gegen die Polizei und der Welle der Empörung nie über 30% Zustimmung in der Bevölkerung hinausgekommen und lag für gewöhnlich deutlich darunter. Besonders auffällig ist, dass er unter Schwarzen noch stärker abgelehnt wurde als unter Weißen. Dasselbe gilt für die Migrationspolitik. Hier liegt offensichtlich ein Disconnect vor, der nicht wegdiskutiert werden kann.
Diese Fehleinschätzung lässt sich laut Jonathan Chait auf eine fehlerhafte Datenanalyse des Wahlkampfs 2012 zurückführen. Frühe Auswertungen zeigten, dass Obamas Wiederwahl mehrheitlich von Minderheiten getragen wurde - Schwarzen und Latinos. Später stellte sich heraus, dass dies nicht der Fall war und der entscheidende Faktor für seinen Sieg der Gewinn der weißen Arbeitendenklasse war, die er mit traditionellem linken Populismus (dazu später mehr) für sich gewann. Aber das Narrativ von der überragenden Bedeutung der Minderheiten hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits durchgesetzt und wurde für die Democrats zu einer Art Glaubensartikel.
Das Problem an dieser Strategie ist dabei weniger, dass sich bei den Minderheiten nicht auch Mehrheiten holen ließen - schließlich gewannen sowohl Obama als auch Hillary Clinton historisch rekordverdächtige Anteile in diesen Gruppen - sondern dass diese weit weniger links sind als der aktivistische Teil der Basis, der die Schlagzeilen so sehr dominiert, oder wie der Kreis der Großspender der Partei. Tatsächlich sind die Minderheiten in ihren politischen Einstellungen eher am rechten Rand der Partei und damit genau den Gruppen näher, die wegen ihres latenten Rassismus' mehr und mehr ins Lager der Republicans abdriften und dort aggressiv umworben werden.
Warum also vertreten so viele Politiker*innen der Democrats diese Positionen und verwenden so viel politisches Kapital auf diese Gruppen? Zum Teil, weil eine ähnliche Dynamik wie bei den Republicans Einzug gehalten hat, in der in den primaries eine ideologisch radikale Basis die Kandidierendenauswahl bestimmt. Aber als Erklärung taugt das nur eingeschränkt. Joe Biden hat die Vorwahlen überraschend deutlich gewonnen, ohne sich großartig diesem Druck zu beugen - anders etwa als Mitt Romney, der 2012 mit diversen Teufeln ins Bett stieg und charakterlos und wenig authentisch auf diese Linie umschwang -, ebenso Hillary Clinton 2016, die als Vertreterin des Establishments antrat. Dieses entscheidet, anders als bei den Republicans, immer noch wesentlich die Strategie der Partei.
Nur nicht ihre Außendarstellung. Genauso wie die GOP sind die Democrats von Großspender*innen abhängig, deren Millionen die hyperteuren Wahlkämpfe überhaupt erst möglich machen. Was diese Großspender*innen nicht abdecken, wird von den engagierten Kleinspenden aufgefangen - die, wenig überraschend, von den motiviertesten Basismitgliedern geleistet werden. Dieses Dilemma war ein wichtiger Faktor im Untergang von Elizabeth Warrens Kandidatur, die andernfalls eigentlich eine gute Kandidatin für 2020 gewesen wäre. Biden war dank seiner 30 Jahre lang gepflegten Unterstützernetzwerke bemerkenswert unabhängig von dieser Dynamik.
Warum aber nenn ich die Großspender*innen in diesem Zusammenhang? Im oben verlinkten Artikel zitiert Chait einen namenlos bleibenden Wahlkämpfer der Democrats mit den Worten: “The Koch brothers are strategic; their voters are bananas,” one leading Democrat confided. “Our voters are moderate, but our funders are crazy.” Dieser spiegelbildliche Irrsinn der beiden amerikanischen Parteien ist ein deutlich unteranalysierter Faktor in der Dauerkrise des dortigen politischen Systems, und die Abhängigkeit von dieser Art der Wahlkampffinanzierung - anders als etwa hierzulande - spielt eine große Rolle.
Für unsere Zwecke aber ist die Feststellung wichtig, dass, anders als bei den Republicans, die Wählendenschaft der Democrats überwiegend moderat ist. Deswegen ist es für die Partei auch wesentlich weniger erfolgversprechend, diese radikale Basis zu bedienen. Sie macht nicht mehr als 20-30% aus, während die Republicans mittlerweile auf stabile 40% radikalisierter Zustimmung bauen können. Beides reicht nicht für eine Mehrheit, aber im Gegensatz zur GOP brauchen die Democrats eine demokratische Mehrheit. Sie müssen daher um moderate Wählende und "Swing-Voters" konkurrieren, wo die Republicans damit weitgehend aufgehört haben und stattdessen auf undemokratische Regelungen setzen.
Mit was aber bekommt man diese Swing-Voter? Die New York Times hat eine Antwort: Grundsätzlich ist Populismus populär (duh). Auffallend ist, dass linker Populismus (höhere Steuern für Reiche, Mindestlohn, was sich so alles unter dem Schlagwort "soziale Gerechtigkeit" fassen lässt) noch vor rechtem Populismus (law&order, harsche Migrationspolitik, etc.) liegt. Unpopulär dagegen sind moderate Botschaften, noch unpopulärer "woke"-Botschaften, und am unbeliebtesten "moderat woke"-Botschaften (nach "moderate Republican" wurde bezeichnenderweise nicht gefragt, wohl, weil das nicht mehr existiert). Da gerade "moderate woke" der Kompromiss ist, bei dem die Kandidat*innen der Democrats oft landeten, ist wenig überraschend, warum sie so unattraktiv sind. Wenn schon woke, dann das Original - ein Lektion, die die Republicans wesentlich besser verstanden haben, wo alles unter 120% ideologischer Vernarrtheit inzwischen als unzureichend gilt.
Chait sieht Elizabeth Warrens Wahlkampf deswegen auch als große cautionary tale für diese Konflikte. Ihre programmatische Ausrichtung ist eigentlich super populär. Aber im Wahlkampf richtete sie sich an der aktivistischen Basis aus: Over the course of her campaign, though, Warren found herself both racing to outflank Sanders to her left and unable to expand her base beyond college-educated liberals. Persist,Warren’s campaign memoir, chronicles her dogged and largely successful efforts to win the approval of political activists. She proudly notes that a 2015 address at the Edward M. Kennedy Institute in Boston was called “the speech that Black Lives Matter activists had been waiting for” by the Washington Post. At another speech in 2018, she declared, “The hard truth about our criminal-justice system: It’s racist … front to back.” The book quotes an activist’s tweet approving of her criminal-justice plan, her well-received appearance at the “She the People” forum, her endorsement by Black Womxn For. Da aber wie vorher etabliert die Minderheiten selbst gar nicht so wählen, schoss sich Warren so selbst ins Abseits. Ob sie eine Wahl hatte, sie mal dahingestellt - auch ihr Wahlkampf ist ja nicht umsonst.
Diese Dynamiken führten dazu, dass die Partei trotz ihrer unzweifelhaft attraktiven Plattform für Biden ein Mühlstein um den Hals war. Zugegeben, Biden gewann zu guten Teilen, weil er nicht Trump war und für zahlreiche Wählende eine Folie darstellte, auf die diese alles projizieren konnten. Aber der Kandidat selbst behielt die ganze Zeit eine wohlgewählte Distanz vom linken Flügel, vermied (anders als etwa Warren) die entsprechende Rhetorik und legte auch im Amt angekommen nicht gerade einen Linksrutsch hin. Die Beinahe-Katastrophe der Wahl 2020 lässt sich daher mit den obigen Faktoren gut erklären. Weniger gut funktioniert das für die aktuellen Probleme der Partei, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Katastrophe bei den Midterms 2022 führen werden. Was also ist da los?
Das werden wir uns im zweiten Teil des Artikels genauer ansehen.
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