Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
Die repräsentative Umfrage in Deutschland zeigt, dass ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter bestimmten Umständen eine Diktatur für eine bessere Staatsform hält, getrieben von der Vorstellung eines wohlwollenden Diktators, der effizient und zielgerichtet handeln könnte. Diese Perspektive birgt jedoch erhebliche Risiken. Ein Hauptproblem ist, dass Macht tendenziell korrumpiert; was mit guten Intentionen beginnt, kann schnell in Unterdrückung umschlagen. In einer Demokratie werden vielfältige gesellschaftliche Interessen durch Debatten und Kompromisse integriert, auch wenn das Ergebnis nicht immer ideal ist. Demokratien bieten Mechanismen zur friedlichen Abwahl von Regierungen, die in einer Diktatur fehlen, wo Kritik oft unterdrückt wird und Minderheiten leiden. Trotz ihrer Unvollkommenheiten ermöglichen Demokratien Transparenz, Rechenschaftspflicht und die Einhaltung von Menschenrechten. Daher bleibt die Demokratie die beste Option, um eine gerechte und stabile Gesellschaft zu gewährleisten. (Karina Mross, Makronom)
Es ist sicher nützlich, noch einmal alle Argumente gegen Diktaturen an einem Fleck zu haben; die relevante Frage für mich ist aber, warum die Idee so prävalent und attraktiv bleibt. Ich denke, das hat vor allem mit ihrer Simplizität zu tun. Demokratie ist wahnsinnig komplex und eignet sich nur sehr schlecht für einfache Antworten; in unserer technokratisch-verrechtlichten Zeit sowieso. Das frustriert Leute wahnsinnig. Ich merke das immer wieder im Unterricht: ich kann ja schon qua Beruf (Neutralitätsgebot!) nie die eindeutigen Antworten geben, die Schüler*innen gerne hören würden, aber selbst wenn es um rein institutionelle Prozesse geht, mit denen man dann erklärt, warum etwas so läuft oder nicht geht, kann man an den Reaktionen immer das Unverständnis sehen, dass eben nicht irgendjemand mal den Gordischen Knoten durchschlägt. Parlamentarische Demokratie ist eine Kopfsache, keine des Herzens (oder des Bauchs...), und ich denke, das ist ein zentrales Problem. Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen kann und so weiter.
2) Söders Eier, Lindners Küken und die Infantilisierung der Politik
Markus Söder hat kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, indem er in einem Video mit Ostereiern posierte, die sein Konterfei trugen. Dies folgt auf eine humorvolle Auseinandersetzung mit Friedrich Merz, der Söders Image ebenfalls für einen Auftritt genutzt hatte. Diese Art der Kommunikation wirft die Frage auf, ob solche Aktionen wirklich zur politischen Debatte beitragen oder eher von ernsten Themen ablenken. Der Trend zur Infantilisierung der politischen Kommunikation ist auch bei anderen Politikern zu beobachten. Olaf Scholz beispielsweise versucht sich auf TikTok als moderner Kommunikator, doch seine Videos bleiben oft inhaltlich dünn. Die FDP präsentierte auf ihrem Parteitag ein kindliches Logo und nutzte ein Wortspiel, das eher an einen Druckfehler erinnert als an eine ernsthafte politische Botschaft. Die Angst vor dem Altern und der Wunsch, für jüngere Wähler attraktiv zu bleiben, scheinen hinter diesen Strategien zu stehen. Insbesondere mit Blick auf die anstehende Europawahl, bei der auch 16-Jährige wählen dürfen, versuchen die Parteien, jugendlich und modern zu wirken. Diese Herangehensweise könnte jedoch als verzweifelt und herablassend wahrgenommen werden, statt die Jugendlichen als ernst zu nehmende Bürger zu behandeln, deren Interessen und Bedürfnisse in der Politik einen echten Platz haben sollten. (Stefan Kuzmany, Spiegel)
Ich hab mal eine andere Frage. Warum beschwert sich jemand über die Infantilsierung der Politik, der ständig infantile Kolumnen schreibt? Kuzmany ist einer dieser vielen Kolumnisten (und es gibt die auch in weiblicher Form), die ständig unglaublich banale Sachen schreiben. Warum um Gottes Willen bekommen solche Leute hochbezahlten Kolumnenplatz? Die nehmen ihre Lesenden nicht ernster als Markus Söder seine Wählenden. Da haben sich quasi zwei gefunden.
Zum Thema: ich halte das für kein Problem. Politik muss sich inszenieren, muss verständlich kommunizieren, muss - siehe Fundstück 1 - auch emotional ansprechen. Söder kann das, besser als fast irgendjemand anderes in Deutschland aktuell. Die CSU-Leute waren da immer schon gut drin, das ist doch ihre secret sauce. Die meisten anderen können das nicht. Dass Lindners Botschaft und Präsentation auseinanderfallen ist ja etwa völlig richtig. Aber bei Söder nicht. Der Mann ist inhärent unseriös, da passt alles. Anders als bei Lindner. Der ist seriös. Der hat nen Ruf zu verlieren.
3) Warum Chinas Autobauer die deutsche Konkurrenz abhängen
Chinas Automobilindustrie hat laut Gastautoren der Universität St. Gallen in der Produktion von Elektroautos einen Vorsprung gegenüber der deutschen Industrie, der weniger auf unfairen Marktbedingungen als auf einer unterschiedlichen Mentalität beruht. Während deutsche Hersteller den Entwicklungsprozess eines neuen Autos über Jahre hinziehen und großen Wert auf die Produktionsseite legen, agieren chinesische Unternehmen wie Tech-Firmen und setzen auf schnelle Innovationszyklen und Softwareentwicklung. Die chinesischen Hersteller, ähnlich wie Unternehmen wie Apple, externalisieren die traditionellen Herstellungsprozesse und konzentrieren sich auf zukunftsrelevante Bereiche wie User Interface und User Experience. Sie passen ihre Produkte schnell an lokale Märkte an und sind agil in der Umsetzung neuer Ideen. Im Gegensatz dazu versuchen deutsche Unternehmen, universelle Produkte zu entwickeln, was die Innovationsgeschwindigkeit hemmt. Die deutsche Autoindustrie, traditionell stark in Hardware, hat Schwierigkeiten, sich auf die schnelle Entwicklung von Software und digitalen Dienstleistungen umzustellen. Die Herausforderungen liegen nicht nur in der Technik, sondern auch in einer Kultur, die weniger fehlertolerant ist und sich schwer mit schnellen, trial-and-error-basierten Entwicklungsansätzen tut. Diese kulturellen und strukturellen Unterschiede bedeuten, dass die deutschen Autohersteller grundlegende Veränderungen in ihrer Herangehensweise und in ihren Geschäftsmodellen vornehmen müssen, um im globalen Wettbewerb, insbesondere gegen die agilen chinesischen Wettbewerber, bestehen zu können. (Andreas Herrmann/Zheng Han, Welt)
Ich bleibe bei meiner Einschätzung von 2017 (!), dass die deutsche Autoindustrie (und im Speziellen die aus Baden-Württemberg) fertig hat. Sie hat sich viel zu lange gegen Innovationen gestemmt und sich auf Subventionen und Lobbyismus verlassen. Die sind abgehängt. Heute noch (!) diskutiert man in der Pkw-Sparte von Daimler, ob das Ding mit den eAutos nicht doch nur ein Hype ist und man sich wieder davon lösen sollte. Die haben den Schuss nicht gehört. Das wird für die deutsche Wirtschaft (und, erneut, besonders die im Ländle) verheerende Folgen haben; ein Strukturwandel, dem die bestbezahlten Jobs zu zehntausenden zum Opfer fallen werden, ohne irgendeine Aussicht auf Ersatz. Und es ist so unglaublich absehbar.
4) Die Moscheenverbände versagen im Kampf gegen den Islamismus
An diesem Samstag findet am Hamburger Steindamm eine Demonstration gegen Islamismus statt. Anders als in der Vorwoche, als muslimische Extremisten für ein Kalifat demonstrierten, marschieren diesmal Menschen auf, die die Werte einer freien Demokratie verteidigen wollen. Unter den Organisatoren sind bekannte Persönlichkeiten wie Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, sowie die Frauenrechtlerinnen Necla Kelek und Hourvash Pourkian, die gegen religiösen Extremismus kämpfen. Auffällig ist das Schweigen großer muslimischer Verbände wie Ditib oder des Zentralrats der Muslime zu diesem Thema. Obwohl diese Verbände zu anderen Anlässen aktiv Stellung beziehen, fehlt eine klare Positionierung gegen den Islamismus. Dies ist besonders bedenklich, da radikale Gruppen über soziale Netzwerke zunehmend junge Menschen erreichen und gefährliche Propaganda verbreiten. Die Zurückhaltung der muslimischen Gemeinschaftsführer könnte das Bild des Islams in Deutschland schädigen und trägt nicht dazu bei, Extremismus wirksam zu bekämpfen. Es ist daher dringend notwendig, dass gemäßigte Muslime aktiv werden und klarstellen, dass radikale Stimmen nicht für die gesamte Gemeinschaft sprechen. (Katrin Elger, Spiegel)
Ich will hier voranstellen, dass ich null Sympathie mit Islamisten habe. Das ganze Gesindel ist verfassungsfeindlich, gehört entsprechend überwacht und ja, logischerweise wollen wir diese Leute nicht hier haben. Jede Person, die in diesen Strudel gerät, ist für Integrationsbemühungen verloren, und die relative Stärke dieser Extremisten ist eine schwere Niederlage der Integrationspolitik, die auf der politischen Linken viel zu lange geleugnet wurde und immer noch geleugnet wird. Ich will nur einen völligen Nebenaspekt ansprechen: "1000 Männer, die im Gleichklang »Stoppt die Wertediktatur« brüllen, sind kein Witz.", schreibt Elger in dem Artikel. 10.000 Männer, die genau dasselbe auf Demos gegen Grüne brüllten, sind allerdings im Diskurs dieser Republik unvermeidbarer Ausdruck von Demokratie. Die hochgehaltenen Ideale von Meinungsfreiheit und Pluralismus, was man eben "aushalten muss", enden immer ziemlich schnell, wenn es den Bereich der Islamisten und Hamas-Freunde betrifft. Ich hab damit kein Problem, aber ich will die Grenze ja auch bei den rechten Proto-Faschisten ziehen. Warum genau - außer eigenen ideologischen Verwandtschaften - man es beim einen ganz selbstverständlich "aushalten" muss, beim anderen aber mit aller Härte vorgehen muss, lässt sich nur damit erklären, dass die viel zitierten Prinzipien letztlich auch nur vorgeschoben sind. Nicht überraschend, aber leider immer geleugnet.
5) Here’s what a Le Pen presidency would really mean for France — and the EU
Die mögliche Präsidentschaft von Marine Le Pen in Frankreich im Jahr 2027 erregt erhebliche Diskussionen in Europa, vor allem wegen der Bedenken bezüglich der Auswirkungen auf Frankreich und die EU. Le Pens Aufstieg wird weniger durch ihre eigene Politik als durch die launische und anti-etablierte Haltung der französischen Wähler begünstigt. Da Macron nicht erneut kandidieren kann und keine starken Kandidaten aus den traditionellen politischen Lagern hervorgehen, erscheint Le Pen als eine realistische Alternative für Wähler, die Veränderung suchen. Le Pen positioniert sich und ihre Partei, den Rassemblement National, als gemäßigt und präsidentschaftlich, trotz ihrer umstrittenen Verbindungen zu Putin und ihrer Vergangenheit. Ihre Politik kombiniert interventionistische Wirtschaftspolitik mit ultranationalistischer Außen- und Europapolitik. Die Implementierung ihrer Pläne könnte zu rechtlichen und finanziellen Konflikten in der EU führen, was Frankreich isolieren oder zu einer Allianz mit anderen EU-kritischen Staaten wie Ungarn führen könnte. Zusammenfassend könnte eine Präsidentschaft Le Pens zu erheblicher Instabilität in Frankreich und einer ernsthaften Bedrohung für den Zusammenhalt und die Zukunft der EU führen. (Muhtaba Rahman, Politico)
Die Aussicht einer weiteren Implosion der EU ist wahrlich nicht besonders erklecklich. Besonders wenn man die Probleme angesichts des amerikanischen Rückzugs vom Kontinent und der geringen Fortschritte bei der "strategischen Autonomie" bedenkt, ist die Vorstellung eines weiteren Putin-Schoßhündchens ausgerechnet im Elysee-Palast wahrlich nicht berauschend. Aber auch auf allen anderen Gebieten ist eine Le-Pen-Präsidentschaft für Deutschland ein Desaster.
Resterampe
a) When you occupy university buildings, cops are called. Yep.
b) Wenn die AfD in Münster verliert, wird der Druck auf Staatsbedienstete (also auch Lehrkräfte) mit Parteibuch steigen. So sehr ich keine Beamt*innen von der AfD will, so problematisch sehe ich Berufsverbote. Auch gegen Rechte.
e) Der Unterschied zwischen AOC und Bernie Sanders.
f) Die meisten Leute sind einfach dämlich. Gute Nachricht, alles in allem.
g) Fragilität des britischen Zwei-Parteien-Systems.
Fertiggestellt am 03.05.2024
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