Gerade neoliberale Politiker und Medien verbreiten ja immer, dass eine Volkswirtschaft keine Schulden machen sollte, was dann sogar dazu führte, ein ökonomisches Unsinnsinstrument wie die „Schuldenbremse“ mit Verfassungsrang zu versehen. Dabei zeugt das von einer sehr eingeschränkten Sichtweise, denn gerade der neoliberale Kapitalismus macht Schulden ohne Ende, nur können oder wollen seine Fürsprecher das in ihrer eingeschränkten Fixierung auf monetäre Aspekte nicht erkennen.

Der ganze Unsinn dieses eindimensionalen Schuldenverständnisses gipfelte dann in dem Terminus der „schwäbischen Hausfrau“, mit dem Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel dann gezeigt hat, dass sie von Ökonomie so gar keine Ahnung hat – und der dennoch von vielen Medien einfach so übernommen wurde.

Was dabei nämlich nicht berücksichtigt wurde: Ein Privathaushalt funktioniert reichlich anders als ein Staatsgebilde. So kann ein Privathaushalt beispielsweise keine Staatsanleihen ausgeben und muss keine Sozialausgaben tätigen. Schon beim Vergleich der „schwäbischen Hausfrau“, die ja nur das ausgibt, was sie auch einnimmt, mit einem Unternehmen fängt es reichlich an zu hapern, denn das würde dann ja bedeuten, dass eine Firma eher dichtmachen würde, als einen Liquiditätsengpass mit einem Kredit zu überbrücken.

Wie absurd also diese Sparpolitik und die „Schuldenbremse“ sind, habe ich ja im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie schon mal vor einigen Jahren in einem Artikel erläutert. Das ökonomische Grundprinzip der Saldenmechanik, nachdem die Schulden des einen immer die Ersparnisse eines anderen sind, wird dabei nämlich komplett außer Acht gelassen: Wenn alle sparen, dann klemmt die Wirtschaft massiv.

Und vor allem geht dann die Infrastruktur den Bach runter, was wir ja auch zurzeit beobachten können: Schulen, Straßen, Brücken … Wenn aus falscher Sparsamkeit Sachen nicht rechtzeitig instand gesetzt werden, sondern dann später komplett erneuert werden müssen, wenn es gar nicht mehr anders geht, dann ist das nicht nur in der Regel sehr viel teurer, sondern findet oftmals auch unkoordiniert statt, was dann zu weiteren volkswirtschaftlichen Schäden führt, beispielsweise in Form von Verkehrskollapsen aufgrund von vielen gleichzeitigen Baustellen.

Wenn man dann zudem die Schulden mal etwas weiter fasst, dann wird dieser Fetisch von Marktradikalen noch grotesker. Schließlich basiert unser Wirtschaftssystem bzw. unser Wohlstand darauf, dass wir ständig Schulden anhäufen – nur eben nicht im rein monetären Sinne.

So würde unsere Wirtschaft beispielsweise zusammenbrechen, wenn nicht überwiegend Frauen komplett unbezahlte Care-Arbeit leisten würden: Kindererziehung, Hausarbeit sowie Betreuung von Kranken und Alten innerhalb der Familie oder auch im Bekanntenkreis und der Nachbarschaft. Es wird nämlich einfach davon ausgegangen, dass diese Bereitstellung von Arbeitskräften nicht bezahlt werden muss. Vermutlich ist das noch ein Relikt aus der Zeit, als die meisten Menschen im Rahmen ihrer Familie gewirtschaftet haben, sodass diejenigen, die dann beispielsweise als Landwirt oder Handwerker produktiv tätig sind, von den anderen gepflegt und betreut wurden. Da wäre es mittlerweile angebracht, zu hinterfragen, ob das denn in Zeiten von komplett anders strukturierter Arbeit immer noch so zeitgemäß ist, finde ich. So, wie es jetzt ist, profitieren ja vor allem die Unternehmen von dieser gratis erbrachten Care-Arbeit. Und je länger solche Arbeit nicht entsprechend entlohnt wird, desto größer ist der historische Schuldenberg, der dafür dann angehäuft wird.

Auch anderswo werden Schulden in erheblichem Maße angehäuft, weil einfach für lau etwas in Anspruch genommen wird, was im Grunde schon einen erheblichen Wert hat, nämlich die Natur und Umwelt. Wälder werden gerodet, Kohle und Öl aus dem Boden geholt, Ackerbau und Viehzucht nutzen nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch die Vitalität des Bodens, Insekten bestäuben Pflanzen, damit diese Früchte tragen …

Als Dank dafür, dass wir als Menschheit das alles einfach so nutzen, wird dann zudem noch genau diese Natur, die uns das bereitstellt, zerstört, indem wir dort Gifte ausbringen, unseren Müll hinterlassen und Ökosysteme komplett umkrempeln oder sogar vernichten. Wenn dann auf diese Zerstörungen aufmerksam gemacht wird, dann heißt es immer nur, dass kein Geld dafür da sei, die Schäden zu vermeiden oder wieder zu reparieren.

Reichlich parasitär, oder?

Und als wenn das noch nicht genug Schulden wären, die sich da anhäufen, weil für wertvolle Sachen einfach nichts bezahlt wird, so gibt es dabei auch noch eine geografische Komponente: Wir hier im globalen Norden bzw. in den Industrieländern leben nämlich reichlich auf Kosten von Menschen aus dem globalen Süden. Nicht nur, dass während der Kolonisierung dort einfach alles mitgenommen wurde, was nicht niet- und nagelfest ist, ohne dafür zu bezahlen (inklusive Menschen, die dann als Sklaven schuften mussten), ähnliche Strukturen finden sich heute nach wie vor, sodass durchaus von Neokolonialismus gesprochen werden kann (s. dazu hier).

Für möglichst wenig Geld werden Rohstoffe aus südlichen Ländern in unsere gekarrt, damit dort die Wirtschaft am Laufen gehalten werden kann. Als Dankeschön bekommen die Menschen dort dann unsere Abfälle, zudem machen wir ihnen mit hochsubventionierten Produkten die einheimische Wirtschaft kaputt, lassen die Menschen dort für Hungerlöhne und unter gruseligen Arbeitsbedingungen unseren Konsumrotz herstellen und sehen zu, wie Konzerne aus Industriestaaten sich dort das Land unter den Nagel reißen, um beispielsweise Palmölplantagen zu errichten. Das Sahnehäubchen obendrauf: Die Klimakrise, die vor allem von nördlichen Industrieländern aufgrund deren hohen CO2-Ausstoßes vorangetrieben wurde, haben zunächst vor allem die Länder des globalen Südens zu spüren bekommen.

Auch dort häuft sich also ein zusehends größere Schuldenberg an, und je länger hieran nichts geändert wird, desto größer werden die Schulden und desto schwerer sind die Folgen zu reparieren.

An all diesen Schulden stören sich die neoliberalen Marktapologeten und „Schuldenbremsen“-Fans allerdings nicht. Dass sie davon einfach nur nichts mitbekommen, kann ich mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, denn die daraus resultierenden Verwerfungen sind ja nun alles andere als unscheinbar. Es dürfte also vor allem ideologische Gründe haben, die eine Art von Schulden bis zur Unsinnigkeit überzubetonen und zu verteufeln, die andere Art allerdings selbstverständlich so hinzunehmen und nichts dafür zu tun, um Abhilfe zu schaffen. Ganz im Gegenteil: Die gleichen Leute, die immer wieder die „schwarze Null“ anbeten, sind oftmals auch dafür, dass Frauen besser zu Hause bleiben und unbezahlte Care-Arbeit leisten sollten, dass die Menschen im Süden weiter fies ausgebeutet (und beispielsweise nicht durch ein Lieferkettengesetz besser geschützt) werden und dass das mit der Klimakrise ja alles gar nicht so wild sei.

Spätestens dann sieht man, dass es diesen Menschen nur darum geht, sich irgendeine wissenschaftlich klingende, aber dennoch total unsinnige Begründung aus den Fingern zu saugen, um den Status quo aufrechterhalten zu können. Leider wird dieses pseudoökonomische Gequatsche von der „Schuldenbremse“ immer noch viel zu ernst genommen und nicht die dahinterstehende Doppelzüngigkeit enttarnt.

Das wäre doch mal eine Aufgabe für unsere Medienschaffenden – und zwar nicht nur für kleine Freizeit-Blogger.

Ach ja: Eine zentrale Quintessenz daraus ist, dass alle, die dadurch belastet werden, dass dieses Wirtschaftssystem nur auf ihre Kosten läuft und bei ihnen Schulden anhäuft, im Endeffekt ein gemeinsames Interesse haben. Wer an diesem Schuldenmissstand etwas ändern möchte, sollte demzufolge in jedem Fall global, feministisch sowie natur- und klimaschützend denken und handeln. Ist das nicht gegeben, ist jedes sozialpolitische Engagement nur billiger Populismus.

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