In Solingen wurden am vergangenen Wochenende drei Menschen von einem Attentäter ermordet und acht weitere zum Teil schwer verletzt. Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, so sind die politischen Reaktionen darauf nun vollkommen unterirdisch – und das leider auch wenig überraschend.

Der Tatverdächtige ist nämlich Syrer, zudem hat sich die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zu dem Anschlag bekannt (s. hier). Das ruft natürlich vor allem erst mal Rechtspopulisten von CDU bis AfD auf den Plan, die sogleich entsprechende Forderungen raushauen. Da ist dann von verschärften Abschiebungen die Rede, oder es soll gleich einen Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan geben.

Mal abgesehen davon, dass vor allem Letzteres wohl kaum mit den Menschenrechten und damit auch mit unserer Verfassung vereinbar sein dürfte, wäre so was natürlich auch wenig zielführend, um derartige Terrorakte zukünftig zu verhindern. Vielmehr würden nur viele Tausend Unschuldige für die Tat eines Einzelnen bestraft, was nichts anderes als eine rassistische Kollektivstrafe wäre.

Ja, der Tatverdächtige war Asylbewerber. Und ja, er hätte auch schon letztes Jahr abgeschoben werden sollen nach Bulgarien aufgrund der sogenannten Dublin-Regeln – was aber nicht geklappt hat, da er in seiner Flüchtlingsunterkunft nicht angetroffen werden konnte. Allerdings hat er sich wohl nicht wissentlich dem Zugriff entzogen, sondern war schlichtweg zu dem Zeitpunkt einfach nicht da (s. hier).

Und da fängt es für mich schon mit den Sachen an, die man statt des populistischen Gebölkes diskutieren sollte: Erst mal sind diese Dublin-Regeln schon ziemlich fragwürdig. Die wurden 1997 vor allem auch auf Betreiben Deutschlands installiert (und mittlerweile zweimal überarbeitet) und besagen (grob vereinfacht), dass Geflüchtete in dem Land Asyl beantragen sollen, in dem sie zuerst EU-Boden betreten haben. Das ist natürlich für Länder ohne südliche EU-Außengrenzen ausgesprochen kommod, denn so stiehlt man sich schön aus der Verantwortung und lässt die süd- und südosteuropäischen Länder mit dem Problem allein.

Da das natürlich bei einigen Ländern zu verständlichem Unmut führte, wird diese Regel auch nicht in letzter Konsequenz angewandt – was dann vielleicht eine Erklärung sein könnte, warum bei der Abschiebung des Tatverdächtigen kein allzu großer Eifer an den Tag gelegt wurde.

Ein anderer Aspekt dieses Vorgehens: Man gibt Geflüchteten so zu verstehen, dass sie hier nicht willkommen sind. Es wird ja immer schön gesagt, dass sich Asylbewerber integrieren sollen, aber welche Integrationsperspektive hat denn bitte jemand, über dem die ganze Zeit das Damoklesschwert der Abschiebung nach Bulgarien oder in sonst einen anderen südeuropäischen Staat hängt? Würde ich für eine Terrororganisation wie den IS rekrutieren, es wären wohl genau solche Leute, die ich ansprechen würde. Nimm den Menschen ihre Perspektive, und sie sind meistens nur allzu anfällig dafür, sich zu radikalisieren.

Na ja, und dann sollte man noch berücksichtigen, dass sich der IS nicht zufällig die Orte aussucht, an denen Anschläge verübt werden. Laut Bekennerschreiben geht es ja vor allem in diesem Fall um Rache für die getöteten Palästinenser (s. hier). Und da gerät dann eben Deutschland als einer der Hauptwaffenlieferanten von Israel schnell in den Fokus. Diese Art der asymmetrischen Kriegsführung ist heute nun mal Bestandteil solcher Konflikte, und je mehr man dort meint, mitmischen zu wollen, umso höher auch das Risiko für entsprechende Angriffe. Darauf hab ich ja gerade vor drei Wochen hingewiesen in einem Artikel zur absurden Forderung von CDU-Oberbellizist Roderich Kiesewetter, doch Bundeswehrsoldaten in den Nahen Osten zu schicken.

Doch anstatt über solche Hintergründe nachzudenken, kommt von der Politik nur populistisches Stammtischgekeife, allen voran natürlich mal wieder von CDU-Chef Friedrich Merz. Der erntet dafür zwar auch reichlich Kritik von Politikern anderer Parteien (s. hier), aber wirklich Konstruktives kommt von denen dann auch nicht. So wird ernsthaft ein Messerverbot gefordert. Tja, das gibt es nur schon für Volksfeste (§ 42 Waffengesetz) – das hat also den Solinger Anschlag nicht wirklich verhindert. Und wenn vielleicht so ein Messerverbot tatsächlich dazu beitragen könnte, dass einige Kneipenschlägereien nicht in Messerstechereien ausarten, so wird sich jemand, der gezielt einen Anschlag auf Menschenleben plant, davon mit Sicherheit nicht abschrecken lassen.

Mal davon abgesehen, dass es auch interessant wäre, wie denn die Kontrolle so eines Verbots umgesetzt werden sollte. Schließlich sind Messer keine Hellebarden, bei denen man schon von Weitem sieht, wenn jemand damit rumläuft. Und nun könnte ich mir doch glatt vorstellen, dass es bei entsprechenden Kontrollen, um zu schauen, ob jemand ein Messer mit sich führt, dann doch recht rassistisch zugehen könnte. Noch mehr Racial Profiling ist allerdings etwas, was wir nach meinem Dafürhalten nicht unbedingt brauchen.

Und auch der ganz rechte Rand macht reichlich Stimmung, natürlich auf die übliche widerwärtige Art und Weise, indem Fakten verzerrt oder verkürzt dargestellt werden, indem zum Beispiel Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen werden, wie ein Artikel auf tagesschau.de berichtet. Da deren komplett verblödeter Anhang aber sowieso alles glaubt, was ihnen vorgesetzt wird, wenn es denn ins eigene kranke Weltbild passt, werden solche Fehlinformationen dann auch wieder in sozialen Medien die Runde machen und die Stimmung weiter anheizen. Das hat ja auch in Großbritannien vor ein paar Wochen gut geklappt, als nach einem Messerangriff, bei dem drei Kinder getötet und acht weitere sowie zwei Erwachsene verletzt wurden, durch Fake News aufgestachelte Rechtsradikale tagelang randalierten (s. hier). Nun neigt man in Deutschland nicht zu solchen Mob-Exzessen, aber die Parallelen im Vorgehen sind doch schon offensichtlich, finde ich.

Was man dabei immer berücksichtigen muss: Solche Anschläge von Einzeltätern lassen sich so gut wie nicht verhindern, da sie eben willkürlich stattfinden und keinem Muster folgen. Wenn der Täter nicht vorher sein Verbrechen ankündigt (beispielsweise über Social Media) oder bereits straffällig geworden ist und so schon unter Beobachtung steht (wobei das ja bei Anis Amri auch nichts genützt hat), dann ist da im Grunde keine Vorbeugung möglich.

Apropos Anis Amri: Das Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt von 2016 hat ja gezeigt, dass der deutsche Sicherheitsapparat so was auch durchaus ganz gern mal geschehen lässt oder sogar noch forciert (s. hier, vor allem die späteren Ergänzungen). Wer weiß, ob so was hier in Solingen nicht auch wieder der Fall gewesen sein könnte? Auszuschließen ist das in jedem Fall nicht, denn so ein Anschlag bringt ja gern mal weitere Befugnisse für Geheimdienste und Polizei mit sich. Zudem sind solche Attentate immer auch eine wunderbare Wahlkampfhilfe für die AfD, denn dann müssen die nicht über Themen wie hohe Mieten, Schulen in schlechtem Zustand oder immer weiter ausufernde Vermögen reden, sondern können schön gegen Asylbewerber hetzen. Und im Sicherheitsapparat – von Geheimdiensten über Polizei und Militär bis hin zur Justiz – sind ja nun mal überproportional viele Rechtsextreme (s. hier – leider nur als Bezahlartikel), denen ein solches „Geschenk“ für die AfD mit Sicherheit sehr recht sein dürfte.

Und so wird auch dieser Anschlag von Solingen den Rechtsruck und Rassismus hierzulande weiter befeuern, was wiederum Leuten wie den Freaks vom IS sehr recht sein dürfte. Die bekommen dann nicht nur die Vorurteile bestätigt, dass im Westen sowieso alle Muslime hassen würden, mit denen sie dann wieder schön Stimmung machen können, sondern sind ja selbst letztlich auch nicht viel anderes als Rechtsextreme, nur eben nicht auf völkischer, sondern auf religiöser Basis (s. hier).

Ach ja, noch eine Anmerkung zum Schluss: Es sollte mich nicht wundern, wenn der Tatverdächtige nun in der Untersuchungshaft versterben würde. Wäre ja auch nicht das erste Mal – und schließt so einen Fall dann immer recht gut ab, weil ja keine eventuell unbequemen Aussagen des Delinquenten mehr erfolgen können.

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