Die aktuellen Demonstrationen und das wirre Umherirren von C-Promis überraschen niemanden, der sich auch nur ansatzweise in der Esoterik- und Verschwörungsszene auskennt. Diese Menschen existieren seit Jahrzehnten mitten unter uns, organisieren und informieren sich über bekannte Szene-Blogs wie „Alles Schall und Rauch“, Messenger-Dienste, YouTube-Videos und im nächstbesten Seminar zur Chakra-Reinigung. Auch die große Überschneidung zwischen Eso-Szene und völkischem Nationalismus bzw. stramm rechtsradikalem Gedankengut ist keine Neuheit.
Organisationen wie die GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) oder aufklärerische Blogs wie „Psiram“ warnen seit vielen Jahren vor den Gefahren, die von Esoterikern und Verschwörungstheorien ausgehen.
Ein Blick auf den Initiator der Stuttgarter Querdenken-Demos, Michael Ballweg, genügt. Dieser erhielt postwendend Unterstützung von Szenegrößen wie dem verschwörungsaffinen Ken Jebsen oder dem Reichsbürger und selbsternannten „König von Deutschland“ Peter Fitzek.
Von einer breiteren Öffentlichkeit lange Zeit ignoriert oder als harmlose Spinner abgetan, bietet die Corona-Pandemie verquerem Gedankengut die ideale Möglichkeit, sich publikumswirksam zu inszenieren.
Die Situation in einer solchen Pandemie ist neu, für alle ungewiss und was die Zukunft bringt, weiß keiner von uns – der perfekte Nährboden für unterkomplexe Erklärungen und parolenreife Antworten. Dies deckt sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung von Verschwörungstheorien.
Zeit für einen kurzen Exkurs in die Forschung.
Die Welt ist komplex
Wer sich etwas eingehender mit der Thematik beschäftigt, dem wird auffallen, dass es verschiedene Faktoren gibt, die zum Entstehen und zur Popularisierung von Verschwörungstheorien beitragen. Grundsätzlich lassen sich vier Prinzipien unterscheiden:
1. Verschwörungstheorien sind universell
Sie sind nicht auf bestimmte Zeiten oder Kulturen festgelegt. Jeder von uns kann dafür anfällig sein. Auch der Bildungsstandard spielt nur teilweise eine Rolle, denn ein akademischer Abschluss schützt längst nicht davor, hanebüchenen Unsinn zu verbreiten, wie sich am Molekularbiologen, Impfgegner und Virenleugner Stefan Lanka sehr eindrucksvoll belegen lässt.
2. Verschwörungstheorien sind emotional
Angst ist oft ein schlechter Ratgeber. Sie schaltet das analytische Bewusstsein nahezu aus und sorgt für intuitive Reaktionen. Skeptisches Hinterfragen der eigenen oder fremder Positionen tritt in den Hintergrund. Genau von diesem Mechanismus profitieren Verschwörungstheorien.
Bill Gates will die Weltbevölkerung auf eine halbe Milliarde schrumpfen und gleichzeitig gigantischen Profit erwirtschaften, indem er acht Milliarden Menschen einen Impfstoff verkauft. Zwei Aussagen, die sich logisch ausschließen, aber dennoch im selben Verschwörungskosmos existieren können und situationsabhängig rezitiert werden.
3. Verschwörungstheorien sind soziale Phänomene
Wir Menschen sind soziale Lebewesen. Wir beschützen die uns Nahestehenden. Angefangen bei Familie und Freunden, weitet sich dieser Kreis oft auf Angehörige derselben Ideologie und/oder Nation aus. Sehen wir eine Bedrohung, werden Schritte unternommen, dagegen zu kämpfen. In der Sozialpsychologie wird dieses Phänomen als „In-Group vs. Out-Group“ – also einem klassischen Wir-Gegen-Die-Szenario – bezeichnet.
Aktuell sehen viele Menschen die Freiheit und Zukunft der deutschen Bevölkerung durch die Corona-Maßnahmen in Gefahr, weshalb sie davor warnen. Ob diese Gefahr tatsächlich real ist, spielt dabei keine Rolle – sie existiert in den Köpfen der Demonstrationsteilnehmer, das genügt.
4. Verschwörungstheorien haben Konsequenzen
Auch wenn viele Verschwörungstheorien keinen wahren Unterbau haben, so kann der Glaube an sie dennoch sehr reale Konsequenzen nach sich ziehen. Es gilt das geflügelte Wort Ayn Rands: „Man kann die Realität ignorieren, aber nicht die Konsequenzen ignorieren, die sich aus dem Ignorieren der Realität ergeben.“
Die Corona-Pandemie ist real. Menschen sterben. Beides lässt sich ignorieren. Doch das wird dazu führen, dass notwendige Hygienevorschriften nicht eingehalten werden und im schlimmsten Fall noch mehr Menschen sterben.
Es entbehrt nicht einer traurigen Ironie, dass uns immer wieder Nachrichten von Menschen erreichen, die erst öffentlichkeitswirksam die Existenz des COVID-19-Virus geleugnet haben, nur um kurze Zeit später an eben jenem Virus zu sterben.
Richard Volkmann hat in seinem Text über verschwörungstheoretische Umtriebe diese Faktoren so gut wie nicht berücksichtig. Stattdessen versucht er sich am intellektuellen Spagat, eine „logische“ Assoziation zwischen „unironischen“ Querdenkerdemos und „ironischer Politperformance“ herzustellen. Erst kam Die PARTEI mit ihrer Polit-Ironie daher und die nächste Eskalationsstufe ist, natürlich, die Holocaustverharmlosung und Hysterie vor Bill Gates‘scher Zwangschippung auf vielbesuchten Demonstrationen. Ganz logisch. Nicht.
In der Logik wird diese Form des Arguments als „Slippery-Slope“ bezeichnet. Ausgehend von einer recht harmlosen Prämisse, wie der Arbeit einer Satire-Partei, wird eine kausale Verbindung zu einer drastischen Verschlechterung des Status Quo gezogen. In unserem Fall also die Existenz der Querdenker-Demos mit all ihren Abscheulichkeiten.
Dass die reale Welt ungleich komplexer ist, ficht dabei nicht an. Einen klaren Schuldigen zu identifizieren, beruhigt das Gewissen und bringt Struktur in ungewisse Zeiten. Tragische Ironie dabei ist, dass Kollege Volkmann dabei genau denselben Denkmustern folgt, wie die von ihm zurecht gescholtenen Querdenker.
Mit Satire die Welt verbessern
Die zentrale These des Kollegen lautet daher „Polit-Satire als Demokratiefeind?“, die er letztlich bejaht. Vielleicht wäre eine andere Überlegung zielführender: „Polit-Satire – Symptom oder Ursache für Politikverdrossenheit?“
Man muss weder den Humor noch jeden Aspekt der Partei Die PARTEI in den Himmel loben. Sie im Gegenzug allerdings zum Sündenbock zu erklären, wird ihrer Rolle ebenso wenig gerecht. Denn Fakt ist, dass sie beispielsweise durch Satire-Aktionen wie den 2014 stattfindenden Geldverkauf ein bestehendes Problem der Parteienfinanzierung öffentlichkeitswirksam darstellte – was zuletzt in einer Reform, also einer Stärkung des parlamentarischen Systems, mündete.
Doch nicht nur in Deutschland lassen sich nennenswerte Erfolge von Humoristen vorfinden, die einen Abstecher in die Politik unternommen haben.
Zu den bekanntesten Vertretern gehört vermutlich Jón Gnarr, der 2010 mit seiner Partei „Besti flokkurinn“ (etwa: Die beste Partei) die Stadtratswahlen in Reykjavík gewann und anschließend zum Bürgermeister der Stadt wurde. Während dieser Zeit gelang es ihm, den Haushalt der Stadt auszugleichen – was oft von unangenehmen Entscheidungen begleitet wurde, die er jedoch transparent zu kommunizieren verstand. Ein Talent, das die Bürger der Stadt zu würdigen wussten. In seinem Fall ordnete sich die anfängliche Satire also der politischen Realität unter und am Ende profitierte viele Menschen davon.
Es lohnt auch der Blick nach Ungarn auf die „Magyar Kétfarkú Kutya Párt“ (Ungarische Partei des zweischwänzigen Hundes). Eine Satire-Partei, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Korruption der etablierten Parteien und öffentliche Missstände anzuprangern. Immer wieder setzt die Partei Gegenkampagnen in Bewegung, die die rechtslastigen Kampagnen der regierenden Fidesz-Partei persiflieren und Protest gegenüber der Politik Viktor Orbáns zum Ausdruck bringen.
Satire kann nicht alle Probleme lösen. Das ist allerdings auch nicht ihre Aufgabe – sie macht auf bestehende Missstände aufmerksam und inspiriert dadurch Reformen. Die Folge ist eine Stärkung der Demokratie, nicht ihre Schwächung.
Veränderung tut Not
Uns sollte nicht so sehr zu denken geben, DASS (vorwiegend junge) Menschen zu Hunderttausenden eine Satire-Partei wählen, sondern WARUM sie es tun. Wenn viele Menschen von den bestehenden Partei-Optionen frustriert sind und den Worten von Berufspolitikern keinen Glauben schenken, dann sieht sich das parlamentarische System einer Vertrauenskrise gegenüber.
Das Erstarken extremer oder satirischer Positionen ist ein Symptom derselben Kernproblematik: Die Realpolitik verliert den Bezug zu ihrem Souverän. Statt mit einem läppischen „Ja, Politik ist halt öde, langwierig und trocken, deal with it“ das Thema für beendet zu erklären, wären das Überdenken der eigenen Kommunikationsstrategien und die Überwindung der Vertrauenskrise die intelligenteren Optionen.
Satire hatte schon immer die Aufgabe, den Finger in die Wunde nicht bearbeiteter Missstände zu legen. Manchmal greift sie daneben, doch oft genug trifft sie genau den richtigen Punkt. Das ist auch der zentrale Unterschied zu den Demos der rechtsbraun-versifften Eso-Nazis:
Die meisten Satiriker wollen, dass reale Probleme gelöst und die Demokratie gestärkt werden – und reden nicht von unsterblichen, mit Adrenochrom vollgepumpten Eliten, die Kinderblut trinken. Dieser Unterschied ist offensichtlich. Und wichtig.
Artikelfoto: Mathieu Cugnot / European Parliament
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