Es gilt mittlerweile als eine Binsenweisheit, dass die Kriege der Zukunft nicht um Öl oder Gas, sondern um Trinkwasser geführt werden. Die Klimaveränderungen, das Bevölkerungswachstum, die Umweltverschmutzung – all das könnte das Wasser schon sehr bald zum kostbarsten Gut werden lassen. In Afrika ist diese Tendenz schon zu sehen.
Äthiopien baut direkt an seiner Grenze zum Sudan den wohl größten Staudamm des afrikanischen Kontinents. Der Name des Mega-Staudamms am Blauen Nil ist pathetisch, seine Ausmaße riesig. Der Grand-Ethiopian-Renaissance-Staudamm (GERD), oder zu Deutsch „die Große Talsperre der äthiopischen Wiedergeburt“, soll eine zwei Kilometer lange und 145 Meter hohe Haupt-Gewichtsstaumauer haben. Sowohl vom Stauvermögen als auch von der Leistung dürfte das Projekt zum größten seiner Art auf dem afrikanischen Kontinent werden. Nicht umsonst hieß das Projekt zu seinen Anfängen auch mal der „Millennium-Damm“, also ein Jahrtausend-Projekt.
Die Inbetriebnahme ist für das Jahr 2022 vorgesehen, doch bereits ab Ende 2020 wird der Stausee allmählich mit Nil-Wasser gefüllt. Und je weiter das Auffüllen des Stausees voranschreitet und je mehr Wasser aus dem Nil dafür entnommen werden, desto nervöser werden die Nil-Anrainer stromabwärts im Norden. Im Sudan und Ägypten wächst die Sorge, dass der größte Fluss Afrikas nach der endgültigen Fertigstellung des äthiopischen Staudamms bei ihnen für Jahre zu einem Bächlein wird…mit katastrophalen wirtschaftlichen Folgen, denn für beide Staaten sind die Wasser des Nils von überlebenswichtiger Bedeutung.
Welche internationalen Konflikte drohen
Aus einem wirtschaftlichen Projekt wurde so politischer Sprengstoff, der die ganze Region destabilisieren kann. Der Nil gilt insbesondere für den Sudan und Ägypten als die Lebensader. Die Regierung in Kairo zeigte sich bereit, bis zum Äußersten zu gehen, um ein Absinken des Nil-Wassers auf seinem Territorium zu verhindern – bis hin zum militärischen Eingreifen. Rückendeckung bekommt das Land aus dem Sudan. Ende Februar 2021 wurde bekannt, dass die beiden Länder ihre militärische Zusammenarbeit deutlich vertiefen wollen. Die Rede ist gar von einem „Verteidigungsbündnis“, wobei es nicht versteckt wird, dass diese Allianz sich explizit gegen den „Wiedergeburtsdamm“ richtet.
Äthiopien versuchte mehrfach die Sorgen der nördlichen Nil-Anrainer zu beschwichtigen. So erklärte der damalige äthiopische Premierminister Meles Zenawi bereits im Jahr 2011, also im Jahr des Baubeginns, dass die Talsperre die Verfügbarkeit des Wassers im Unterlauf nicht reduzieren, sondern nur regulieren würde, und bezog sich dabei auf nicht näher genannte „Studien“. Überzeugend klang das nicht.
Später unterzeichneten die drei Länder in Khartum eine Grundsatzerklärung und vereinbarten darin u.A.:
- Gemeinsame Studien über die Folgen des Damms,
- Eine mögliche Ausdehnung des Füllungszeitraums, um die Wassermengenreduzierung abzuschwächen,
- die Erarbeitung eines gemeinsamen Abkommens über die jährlichen Abflussmengen, das extra-Klauseln für Trockenjahre sowie Strafmechanismen für mögliche Verletzungen des Abkommens vorsehen würde.
Doch die Verhandlungen blieben erfolglos. Sie scheiterten zwischendurch, wurden später wieder aufgenommen und landeten schließlich in einer absoluten Sackgasse. Ägypten und Sudan forderten internationale Vermittler, seien es die Afrikanische Union oder sogar der Weltsicherheitsrat, Äthiopien blieb stur und wollte keine externen Mächte in den trilateralen Streit reinlassen. Im August 2020 verließ Ägypten die trilateralen Verhandlungen.
Seitdem sind die Perspektiven einer diplomatischen Streitlösung mehr als ungewiss.
Militärisches Gebaren an der Grenze
Nun gibt es seit Monaten steigendes militärisches Gebaren im sudanesisch-äthiopischen Grenzgebiet. Ägypten und der Sudan treiben das schon erwähnte gemeinsame Sicherheitsabkommen voran.
Die gesamte Lage wird dadurch verschärft, dass das Gebiet sowieso seit Jahren instabil ist. Interethnische Zusammenstöße sind an der Tagesordnung, von Zeit zu Zeit werden Scharmützel zwischen äthiopischen und sudanesischen Grenzsoldaten gemeldet.
Ende 2020 begann die äthiopische Armee eine „Anti-Terroroperation“ in der Nähe der Talsperre, die zu vollumfänglichen Kriegshandlungen zwischen den Regierungstruppen und der Regionalregierung der unruhigen Provinz Tigray wurde. Zeitweise konnten die regionalen Tigray-Sicherheitskräfte mehrere Basen der Regierungsarmee übernehmen, wurden aber anschließend wieder zurückgedrängt. Auch das Staatsgebiet des Nachbarlandes Eritrea wurde von den Kampfhandlungen teilweise erfasst.
Am Ende konnte der Konflikt vorerst eingedämmt werden, doch die Zukunftsaussichten für die gesamte Region wurden noch unsicherer. Der Konflikt rund um den Staudamm verschärfte somit die bereits sowieso existierenden interethnischen, grenzübergreifenden und separatistischen Krisen und wurde zu einem permanenten „Trigger“, der jederzeit in einer ernsten internationalen Krise münden könnte.
Eine diplomatische Beilegung der Staudamm-Krise scheint nach derzeitigem Stand der Dinge extrem schwierig bis unmöglich zu sein. Alle drei Seiten des trilateralen Konfliktes zeigten, dass sie zu militärischen Schritten in der Region bereit wären. Ohne eine internationale Vermittlung droht der Damm der Wiedergeburt zu einem Damm des ewigen Konfliktes zu werden.
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