Immer diese Blicke. Was macht sie schon wieder? Innerlich werden bestimmt die Augen verdreht. „Wieso zur Hölle hüpft sie? Was ist los mit ihr?“

Es ist gut, erwachsen zu sein. Aber unter den meisten anderen Erwachsenen fühle ich mich oft: einsam. Sie reden über Schminke und Porzellan oder Küchengeräte und Autos. Ich will darüber nicht reden. Ich will darüber reden, wie schön weich sich dieses Blatt anfühlt und dass die Schaukel auf dem Spielplatz nicht für mich geeignet ist, da sie so hoch hängt und ich keinen richtigen Schwung bekomme und dass der Baum auf der Streuobstwiese super zum Klettern ist und voll mit Kirschen. Das sind keine tiefsinnigen Gedanken. Das ist letztlich auch nur etwas wie: das neue Auto fährt so und so schnell.

Irgendwie hab ich trotzdem das Gefühl, ich hätte den Anschluss bei den anderen Gleichaltrigen, also Vierzigjährigen verpasst. Irgendwie mag ich die meisten Menschen und sie mögen mich, aber wir kommen nicht auf einen Nenner. Darum leben wir nebeneinander her, gehen mal einen Kaffee trinken oder laufen und meist gebe ich Ratschläge zu Lebensthemen. Darin bin ich gut. Darüber rede ich auch gerne als Erwachsene: Gefühle und Probleme und Liebe und Ängste.

Andere interessieren sich leider oft nicht dafür, was ICH zu sagen habe. Und ich kann es ihnen nicht verübeln: denn ich interessiere mich ja auch nicht für ihren Kram, wenn er sich um „Oh dieser Fleck auf der Bluse“ dreht, weil es für mich nicht erwähnenswert wäre. Aber ich höre zu. Auch bei Flecken. Oder Teppichreinigung. Mir hingegen wird oft: NICHT zugehört, sobald ich aufhöre, über das übliche zu reden und zu meinen eigenen Themen komme. Nein, Moment, so stimmt das auch nicht. Sie hören erst zu! Lachen auf eine nette Art. Fragen nach. Aber haben nichts beizutragen, da sie themenfremd sind oder peinlich berührt oder weil sie wieder von sich selbst erzählen möchten oder sonst was und da ich nicht gerne monologisiere, verstumme ich und weiter gehts mit: „Stört dich die Zeitumstellung auch so sehr? Mein Rauchmelder piept alle zwei Minuten, ich muss die Batterien wechseln.“ woraufhin ich dann denke: „1.Nein. 2. Mach’s einfach, anstatt darüber zu reden.“

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„Ich hab mir eine Lupe gekauft. Einschlaglupe mit 10facher Vergrößerung!“

„Warum?“

„Ich gucke mir meine Steine damit an, die ich gesammelt habe. Das ist so krass, man sieht die Oberfläche. Der Stein fühlt sich glatt an, aber: er ist es gar nicht! Und auf einem Stein war ein Smiley, mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Bestimmt ein geheimes Zeichen. Ich hab ihn abgemalt! Guck, hier!“ tippe ich auf meinen Kalender mit geheimen Smileys und geheimen Geheimnotizen. „Natürlich bin ich noch blutiger Anfänger und verstehe gar nichts über Steine. Aber ich hab mir da jetzt so ein Buch gekauft und...“

Ich merke, wie mein Gegenüber lächelt, gelangweilt nickt, einen Zug von seiner Zigarette oder Cola nimmt und überlegt, das Thema zu wechseln. Da bin ich dann schon verstummt. Weil ich ja sehe, dass er innerlich abgeschaltet hat.

„Oh, was für ein riesiges, schwarzes Insekt! Sieht aus wie eine Biene! Warte doch mal!“

„Es IST dann sicher eine Biene.“

„Aber eine schwarze! Hey! Wieso läufst du vor?“

Ich schaue mir die Biene an. Mache ein Foto. Nehme ihr Summen wahr und finde innerhalb von einer Minute dank Google heraus, dass es eine schwarze Holzbiene ist. Wahnsinn! Dass es sowas hier gibt! Mitten in der Großstadt! Fasziniert will ich alles darüber wissen und überlege, eine Insektenzählung hier in der Straße zu starten. Vielleicht gibts noch mehr spannende Tiere hier, die man erst mit knapp 40 das erste Mal sieht.

Meine Begleitung interessiert das nicht. Sie redet von der letzten Party.

Ich will Trampolin springen auf dem Spielplatz. Aber man kennt das: alles ist uninteressant für Kinder, bis das Spielgerät in Benutzung ist. Ich hüpfe und hüpfe und plötzlich wollen ALLE Kinder dort auch hüpfen. Wäre ich fünf, würde es mich unberührt lassen. Ich war zuerst da. So aber: räume ich das Feld. Denn Erwachsene dürfen hier gar nicht hüpfen, sagt ein Schild. Nur Kinder bis 12.

Weißt du, ich bin gerne erwachsen. Und benehme mich auch so: ich schreibe Behördenbriefe, versuche mich im Smalltalk und kümmere mich um Arzttermine. Ich liebe Sex und steh auf Leidenschaft und Liebe. Ich gehe zu meinen Jobs und räume meine Bude auf. Im Innern jedoch:

Sehne ich mich zurück in die unbeschwerte und spannende späte Kindheit.

Mit Kollegen rede ich über die Arbeit, mit anderen Erwachsenen über Erwachsenendinge wie Politik oder die letzte Steuererklärung und höre mir an, wie der Friseurtermin meiner Nachbarin war. Jedoch: es interessiert mich alles

recht wenig. Ich höre trotzdem gerne zu! Weil ich mich für die Menschen an sich interessiere. Aber die Themen.... die Themen.

"Guck mal, diese schöne Feder! Ich hab sie gefunden, von welchem Vogel sie wohl ist?"

"Ihhh! Bestimmt voller Milben! Wirf sie weg!"

Viele Erwachsene sind: genau so! So ernst. So angeekelt und entsetzt von allem. Als hätten sie vergessen, dass sie auch mal gerne Schneckenhäuser gesammelt haben oder auf Bäume geklettert sind oder mit grasgrünen Flecken auf den Knien nach Hause kamen, um sich die Miracoli reinzudrücken und dann wieder raus zu rennen (so schnell wie möglich!), weil das Leben so spannend ist.

Als Erwachsener findet man nun andere Dinge toll. Find ich ja auch zum Teil. Aber: das, was mich früher interessiert hat, ist ja immer noch in mir. Meine Interessen haben sich nur aufgefüllt mit anderen Dingen. Trotzdem tue ich Sachen, wie:

Im Gras liegen, die nackten Füße an einen Baum gelehnt, Wolken anstarren. Dinge aufheben und begutachten, die man findet. Zur Haltestelle rennen, aus Spaß, anstatt gesittet dort hin zu gehen. Bei Bergabfahrten mit dem Rad aus dem Sattel zu gehen und „Juchuuuuuu! Ich lebeeeeee!“ zu schreien, weil man es genau dann fühlt.

Wenn ich heim komme und das Chaos sehe, sagt innerlich mein Vater: „Räum dein Zimmer auf!“ „Nö!“ sage ich dann still zurück. Ich entscheide selbst. Das gefällt mir. Aber die Rechnung gefällt mir nicht im Briefkasten. Ich zahle sie stoisch, wie sich das als Erwachsener so gehört. Aber ich will mich eigentlich mit solchen Dingen nicht befassen. Ich will lernen. Die Welt anfassen und die kalte Erde in der Hand fühlen und Schneeflocken in den Wimpern haben und komplett durchnässt nach einem Tag im Wald nach Hause kommen und die nassen Sachen einfach nur im Flur liegen lassen, um sofort ein Lillifee-Schaumbad zu nehmen und danach eine Scheibe Schwarzbrot mit Emmentaler essen, um glücklich zu sein.

Erwachsene sind angepasst. Ich auch natürlich. Aber privat, nach der Arbeit: passe ich mich nicht mehr an. Dann streife ich das Erwachsenenleben ab und gebe meinen Impulsen nach: meinen lebendigen Körper zu spüren. Mich zu fühlen. Mich meinen Interessen hinzugeben. Klar ist mein Kopf weiter als früher. Ich denke anders und fühle erwachsener und handle anders. Das ist auch gut und wichtig, sonst würde ich wohl am Leben verzweifeln.

Ich rede nicht viel über das, was mich bewegt. Weil ich immer wieder merke, dass sich kaum jemand dafür interessiert. Es gibt genaugenommen nur zwei Menschen, mit denen ich ALLES, jeden unsinnigen Gedanken, teilen kann. Und wenn ich diese beiden Menschen frage:

"Hey! Ich fahre nächsten Sonntag in einen vergessenen Steinbruch mit meiner neuen Lupe und meinem Hammer, um Versteinerungen und verlorene Goldmünzen zu finden: kommst du mit?"

Sagen diese:

"Au Ja! Was sollen wir mitnehmen? Spaten ? Taschenmesser? Proviant? Brauchen wir eine Taschenlampe?"

Und dann ist es schön. Mit diesen Menschen. Wie früher als Kind. Mit kichern und staunen und über Steine springen und im Staub sitzen und stundenlang Dinge anschauen und darüber reden. Und mit dreckigen Jeans und knurrendem Magen über das Leben und die Liebe und den Rest zu philosophieren, während die Sonne sich am Horizont herunter schleicht. Zwei Menschen nur. Mit denen die Zeit stehen geblieben ist.

Das ist mein Reichtum. Im ansonsten meist viel zu ernsten: Erwachsenenleben.

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