Wir kennen sie alle: die Zeiten im Beruf, in denen die To-do-Liste immer länger wird, nach jeder abgeschlossenen Aufgabe schon fünf neue warten und wir uns selbst unter Druck setzen, den scheinbar nie enden wollenden Anforderungen gerecht zu werden. Dabei ist Leistungsdruck nur ein potentieller Grund für Stress: Weitere Verursacher können beispielsweise emotionaler, monetärer oder kognitiver Natur sein. Wie Sie erkennen, woher Ihr Gefühl der Überlastung kommt, und wie Sie am besten damit umgehen, erklärt Karriereberaterin Ragnhild Struss.

Beruflicher Stress entsteht immer dann, wenn die – gefühlten oder realen – Anforderungen die eigenen Ressourcen übertreffen. Das kann auf emotionaler, zeitlicher, monetärer oder kognitiver Ebene passieren. Diese Unausgewogenheit bereitet vor allem dann langfristig Probleme, wenn wir uns nicht zwischendurch Zeit nehmen, um unsere Situation gründlich zu analysieren. Denn auch wenn es in Phasen der Erschöpfung besonders viel Kraft und Motivation benötigt, ist es ungemein hilfreich, eine bewusste Pause einzulegen und sich intensiv mit den persönlichen Stressoren und deren Bewältigungsmöglichkeiten zu befassen. Am besten gehen Sie dabei in den folgenden drei Schritten vor:

1) Stressoren erkennen und notieren

Um den Stress verringern zu können, müssen wir ihn erst einmal verstehen. Auch wenn Sie sich gerade überfordert fühlen: Nehmen Sie sich möglichst bald die nötige Zeit und Ruhe, um in sich hineinzuhören und Ihre aktuelle Situation zu analysieren. Schreiben Sie auf: Durch was genau werden Sie gestresst? Ist die Zeit zu knapp bemessen für das Pensum, das Sie erledigen sollen? Nervt Sie Ihr viel zu langer Arbeitsweg? Stehen Sie zum Beispiel häufig im Stau und fühlen sich schon völlig ausgelaugt, bevor Sie überhaupt angekommen sind? Oder gibt es ein persönliches Problem mit Ihrem Umfeld? Verursacht Ihr Team Stress bei Ihnen oder Ihr*e Chef*in? Haben Sie den Eindruck, nicht „gut genug“ zu sein, um den Anforderungen Ihres Jobs gerecht zu werden? Oder fühlen Sie sich eher unterfordert? Womöglich lässt Sie auch privater Stress so kraftlos werden, dass Ihnen der Job „on top“ zu viel abverlangt?

Schreiben Sie nieder, welche Situationen bei Ihnen Stress verursachen und welche (weiteren) Gefühle dabei in Ihnen ausgelöst werden. Denn Stress hat mitunter ganz unterschiedliche Facetten: von einem lähmenden Gefühl der Überforderung über Aggression und Reizbarkeit bis hin zu körperlichen Symptomen. Führen Sie sich Ihren Ist-Zustand genau vor Augen, um im nächsten Schritt zu überlegen, wie stark dieser von Ihrer Idealvorstellung – also von einem erfüllten und gesunden Berufsleben – abweicht.

2) Potentielle Lösungen in Erwägung ziehen

Sobald Ihnen Ihre Stressoren bewusst sind, sieht Ihre Ausgangslage schon gleich besser aus. Denn Sie holen sich so die Möglichkeit zurück, gezielt Methoden und Werkzeuge einzusetzen, um etwas an Ihrer Situation zu ändern. Überlegen Sie genau: Welchen Veränderungs-Hebel sollten Sie bedienen? Könnten Sie Ihr Verhalten ändern? Wäre es gut, den Tag immer mit einer To-do-Liste zu starten? Müssten Sie früher zur Arbeit gehen? Müssten Sie länger bleiben? Oder müssten Sie kürzer bleiben? Möchten Sie womöglich in Ihrem Unternehmen bleiben, aber etwas an Ihrem Arbeitsvertrag ändern?

Oder wäre es angebracht, Ihre Einstellung zu verändern? Stresst Sie zum Beispiel der Weg zur Arbeit bereits, weil Sie darüber nachdenken, wie wenig Lust Sie auf das Unternehmen, Ihre Kollegen und Ihre Aufgaben haben – und dass Arbeiten sowieso keinen Spaß macht? Ist Ihre Einstellung das Problem und geraten Sie dadurch in eine Negativspirale, hat das automatisch Auswirkungen auf Ihre Produktivität. Es kann deshalb ebenfalls eine Lösung sein, Ihre Einstellung zu ändern und so Ihr Stresslevel positiv zu beeinflussen.

3) Berufliche Veränderungen in Betracht ziehen

Wenn Sie weder auf Verhaltens- noch auf Einstellungsebene einen Hebel für Veränderung finden, überlegen Sie sich im nächsten Schritt: Passt Ihr Job überhaupt zu Ihnen? Oder erleben Sie deshalb ein hohes Stresslevel, weil ständig eine Diskrepanz zwischen den beruflichen Anforderungen und Ihrer Leistungskapazität besteht? Sollten Sie feststellen, dass Ihnen Ihr aktueller Job einfach keinen passenden Rahmen bietet, um produktiv und stressarm arbeiten zu können, denken Sie unbedingt über eine Veränderung nach. Dafür müssen Sie nicht unbedingt das Unternehmen wechseln: Vielleicht gibt es ja bei Ihrem aktuellen Arbeitgeber eine Position, die besser mit Ihren Fähigkeiten und Veranlagungen harmoniert. Möglicherweise genügt eine Anpassung Ihres Arbeitsvertrags, zum Beispiel durch einen Wechsel auf Teilzeitarbeit.

Das wichtigste Fazit: Versuchen Sie, trotz Ihrer gestressten Lage die Kraft aufzubringen, Ihre Situation gründlich unter die Lupe zu nehmen. Denn während Sie „im Strudel“ versinken, haben Sie nicht genug Distanz zum Geschehen und es fällt Ihnen schwerer zu verstehen, welcher Mechanismus bei Ihnen gerade wirkt. Atmen Sie tief durch und reflektieren Sie in Ruhe, was Sie wirklich stresst – alleine oder mit jemandem, dem Sie vertrauen. Erkenntnis schafft die Grundlage für Veränderung.