Hat man ein paar Jährchen auf dem Buckel,  dann stellt sich eine gewisse Gelassenheit, wenn nicht Müdigkeit ein,  wenn es heißt, die Welt gönge alsbald unter, weil wieder einmal  irgendwer oder irgendwas Unsere Kinder bedroht. Man bekommt Übung darin. Andererseits kann man’s ein bisschen  verstehen. "Denkt denn keiner an die Kinder???!!!" ist nicht nur ein  ebenso billiges wie bewährtes Totschlagargument (fragen Sie den  Querdenker Ihres Vertrauens), sondern für Medienschaffende von jeher  auch ein todsicherer Quoten-/Leser-/Klickbringer. Eine kleine, grob  chonologische Auswahl dessen, was ich so bisher mitbekommen habe:

Comics. Schund. Amerikanischer(-jüdischer) Kulturimport, um Unsere Kinder von Gutengesprächen, Gutenbüchern, Wandern, Früscherluft und Hausmusik abzuhalten.

Kriegsspielzeug.  Der Weltuntergang der Wahl als ich klein war, so ab den Siebzigern.  Jede Platzpatronenpistole, jeder Plastikpanzer in Kinderhänden züchte  eine neue Generation von Militaristen heran, hieß es.

Fernsehen.  Das Nullmedium (Enzensberger). Wer einst als gebildet und kultiviert  gelten wollte, wetterte gegen das Fernsehen (das er selber guckte, aber  nur Nachrichten, man muss schließlich informiert sein). Mache Unsere Kinder doof, hieß es. Indem  sie es von Gutengesprächen, Gutenbüchern, Wandern, Früscherluft und  Hausmusik abhielt. Und erst die bösen Strahlen!

Videorecorder. Steigerung von Fernsehen. Ganz bald schon würden Unsere Kinder mangels Gutengesprächen, Gutenbüchern, Wandern, Früscherluft und  Hausmusik samt und sonders zu blasshäutigen Troglodyten mit rechteckigen  Augen entarten, hieß es.

Haschzigarette. Ein One way ticket. Die Eintrittskarte in die Heroinabhängigkeit, hieß es.

Telespiele. Steigerung von Videorecordern. Ganz bald schon würden Unsere Kinder sich mangels Gutengesprächen, Gutenbüchern, Wandern, Früscherluft und  Hausmusik samt und sonders zu willenlosen, ferngesteuerten Zellhaufen  entwickeln, die nur noch debilen Blickes und mit Spuckefaden im  Mundwinkel Pixel über Bildschirme steuern.

Ohnmachtsspiel. Geistert seit Ewigkeiten immer mal durch die Medien. Unsere Kinder drücken sich auf dem Schulhof gegenseitig so lange die Luft ab, bis  einer ohnmächtig wird. Natürlich will ich das nicht verharmlosen, aber  ein Massenphänomen war das nie. Oder erinnern Sie sich, wie Deutschlands  Schulhöfe übersät waren von leblosen Kinderleibern und die  Rettungsdienste Sonderschichten schieben mussten?

Gruftis. Feierten des Nachts schwarze Messen auf Friedhöfen. Buddelten Knochen von Verstorbenen aus. Opferten  Jungfrauen dem Satanas. Die nächste könnte deine Tochter sein. Buh!

Heavy Metal. Rock'n'Roll, mit dem Eltern nicht mehr klarkamen. Daher ganz böse. Ganz bald schon würden Unsere Kinder sich zu schwerhörigen Zombies mit Nackensteife entwickeln, hieß es.

Apropos Zombies - wie konnte ich bloß Horrorvideos vergessen? Eat this:


Heimcomputer. Steigerung von Telespielen. Ganz bald schon würden Unsere Kinder mangels Gutengesprächen, Gutenbüchern, Wandern, Früscherluft und  Hausmusik samt und sonders zu willenlosen, ferngesteuerten Zellhaufen  degenerieren, die nur noch debilen Blickes mit Spuckefaden im Mundwinkel  Pixel über Bildschirme steuern.

Tamagotchis. Der heiße Scheiß in den Neunzigern. Ein virtuelles Haustier für die Hosentasche. Ganz bald schon, so wurde geunkt, würden Unsere Kinder nur noch Augen und Ohren haben für ihre batteriebetriebene Nervbox, anstatt für Salzteig, handlungsorientierten Unterricht, pädagogisch  wertvolle Lernmaterialien und samt und sonders zu Schulversagern degenerieren.

(Fun fact: Darüber, dass der sicherste Weg,  Schulversager heranzuzüchten, immer noch der ist, das Bildungssystem  kaputtzusparen, wird meist mit weit weniger Verve disktutiert.)

Killerspiele. Dicke Debatte damals. Jeder Counter Strike-Spieler ein kommender Amokläufer.

(Interessanterweise wird mit weit weniger Verve diskutiert, ob eine Spielreihe wie 'Die Sims' Unsere Kinder zu todlangweiligen Spießern macht.)

Und jetzt ist es die koreanische Fernsehserie 'Squid Game', die die Hirne Unserer Kinder verkleistert und dieses Mal ganz bestimmt den Weltuntergang einleitet. Pädagogen schlügen bereits Alarm, heißt es. Tatü tata!

Mal schauen, vielleicht werde ich noch alt genug, um meinen 50. Weltuntergang mitzuerleben.


Dir gefällt, was Stefan Rose schreibt?

Dann unterstütze Stefan Rose jetzt direkt: