Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Die taz hat News für Klöckner
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hat bei einem Empfang der CDU Koblenz die linke Tageszeitung taz mit dem rechtspopulistischen Portal Nius gleichgesetzt und erklärt, beide unterschieden sich „in Methodik nicht so sehr“. Sie habe Nius als Pendant im rechten Spektrum zur taz im linken bezeichnet. Der Vergleich löste Irritationen aus, auch weil die Veranstaltung auf dem Gelände der Compugroup Medical stattfand, deren Gründer Hauptfinanzier von Nius ist. Nius war 2023 von Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt gegründet worden und tritt mit dem Slogan „Stimme der Mehrheit“ gegen als links oder divers wahrgenommene Positionen auf. Die taz reagierte mit Gelassenheit: Chefredakteurin Barbara Junge verwies auf eine frühere Stellungnahme an Christian Lindner, der eine ähnliche Gleichsetzung vorgenommen hatte. Darin hieß es, Nius sei eine „unappetitliche, rechtslastige Website“, während die taz ein nach presseethischen Grundsätzen arbeitendes Medium sei. Die Redaktion betonte erneut, dass eine Gleichsetzung mit einem Propagandaorgan jeglicher Grundlage entbehre (Gereon Asmuth, taz).
Tatsächlich hat Klöckner mit dem Vergleich, wie so häufig, danebengegriffen. Sie ist für das Amt der Bundestagspräsidentin eine ziemlich krasse Fehlbesetzung. Wie daneben der Vergleich ist, zeigt etwa die Gegenüberstellung zu diesem Castro-Vergleich, oder die etwas seriösere Kritik im Spiegel. Ich will aber an der Stelle kurz darlegen, was ein korrekterer Vergleich wäre. Die taz verhält sich im politischen System nicht analog zu NIUS, sondern zur Welt. Beide sind klar weltanschaulich geprägt und einem Lager zuzuordnen, halten sich aber an journalistische Standards und lassen Binnenpluralismus in ihren Seiten zu. Zudem ist der Antagonismus von Springer und taz ohnehin legendär. Nein, der korrekte Vergleich von NIUS wäre die jungeWelt. Und mit der würde Klöckner nun wahrlich auch nicht reden. Hier verrutschen Maßstäbe, weil diese Leute glauben, sie könnten sich Organen wie NIUS und Co zu ihrem Vorteil bedienen. Aber das ist ein Irrtum.
2) „Verstörende Szenen“: Touristen attackieren Geflüchtete am Strand
An einem Strand im südspanischen Castell de Ferro kam es Anfang August zu einem Vorfall, der europaweit Aufsehen erregte: Ein Boot mit rund 13 jungen Männern, vermutlich aus Marokko, landete mitten am Tag am belebten Playa Sotillo. Urlauber reagierten aggressiv und gingen auf die Ankommenden los, hielten sie am Boden fest und übergaben sie später der Polizei. Videos in sozialen Netzwerken zeigen, wie Badegäste in Badekleidung Migranten verfolgten und fixierten, während Familien fassungslos zusahen. Beobachter beschrieben die Szenen als „verstörend“. Laut der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch sei dieses Verhalten Ausdruck einer zunehmenden Entmenschlichung von Geflüchteten in Europa, genährt durch eine politisch und medial verschärfte Rhetorik. Die Polizei bestätigte den Einsatz, neun Männer wurden festgenommen. Ein Restaurantbesitzer berichtete, ähnliche Situationen habe es bereits im Vorjahr gegeben, doch diesmal sei die Reaktion der Badegäste deutlich heftiger gewesen. Spanien verzeichnete 2024 über 61.000 Ankünfte über den Seeweg, ein historischer Höchststand, während die EU parallel ihre Liste „sicherer Herkunftsstaaten“ erweiterte (Moritz Bletzinger, IPPEN.MEDIA).
Ich weiß nicht, ich kann die Empörung der linken Blase an der Stelle, die bis hin zur Forderung nach der Versorgung der ankommenden Flüchtlinge durch die Badenden geht, nicht nachvollziehen. Es ist ja eine Sache, wenn da offensichtlich gebeutelte und hilflose Leute eintreffen. Aber das scheint an der Stelle ja nicht zum ersten Mal zu passieren, und wenn hier einfach irgendwelche marokkanischen Männer aus einem Boot steigen, halte ich selbst den Begriff des Geflüchteten für deutlich überstrapaziert. Das ist illegale Migration, plain and simple, und die Unfähigkeit der radikaleren Linken, das mit Flucht auseinanderzuhalten, ist einer der Grüne für den rechten Backlash in der Frage, der an der Stelle durchaus seine Berechtigung hat. Auch ist ein "citizen arrest" hier nicht zu verurteilen. Diese Leute brechen das Recht und waren drauf und dran, sich einer ordentlichen Registrierung zu entziehen, also weitere Rechtsbrüche zu begehen. Ich sehe da kein Problem, sorry.
3) The Forgotten History of Hitler’s Establishment Enablers
Der Artikel beschreibt, wie Adolf Hitler 1932 nicht durch eine eigene Mehrheit, sondern durch politische Intrigen und das Kalkül konservativer Eliten an die Macht gelangte. Detailliert werde gezeigt, wie sich Industrielle, Medienunternehmer und Politiker einbildeten, ihn „zähmen“ oder kontrollieren zu können, während sie in Wahrheit von ihm vereinnahmt wurden. Die Nationalsozialisten erhielten bei den Reichstagswahlen nur 37 % der Stimmen, gestützt vor allem von selbstständigen Existenzen und ländlichen Wählern, nicht von den Arbeitslosen. Doch konservative Akteure wie General Schleicher oder Alfred Hugenberg hielten Hitler für manipulierbar und setzten auf ihn, um linke Kräfte auszuschalten. Die Sozialdemokraten wiederum vertrauten auf rechtliche Verfahren und unterschätzten den antidemokratischen Fanatismus des Gegners. Am Ende ebneten taktische Fehleinschätzungen, mediale Unterstützung und eine alternde politische Mitte den Weg für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler. Damit wurde deutlich, dass „Demokratie nicht im Dunkeln stirbt, sondern im hellen Tageslicht“, wenn Institutionen aus Gewohnheit und Selbsttäuschung handeln (Adam Gopnik, The New Yorker).
Wir hatten das erst letzthin angesprochen, aber ich finde, das Sprechverbot bezüglich Nazivergleichen hat inzwischen dazu geführt, dass wir uns selbst den Weg zu Erkenntnissen aus der Geschichte verstellen. Natürlich ist nichts 1:1 übertragbar, und die AfD ist nicht die NSDAP. Aber wenn wir die Singularität nicht nur für den Holocaust behaupten (wo sie aus denselben Gründen nicht zu Unrecht in der Kritik steht), sondern für die ganze Nazi-Geschichte, dann stellen wir das unter einen Schrein, der jedem Erkenntnisgewinn im Weg steht. Denn die Frage, wie die NSDAP an die Macht kam, ist von großer Bedeutung, nicht nur für uns in Deutschland. Die Beschäftigung mit den Akteuren von 1932 ist dafür essenziell, und leider Gottes sind die Parallelen instruktiv genug. Das muss nicht in rituelles "Weimarer Zustände"-Gejammer abgleiten, von denen wir gottlob auch weit entfernt sind; jede solche Betrachtung muss Unterschiede genauso betonen wie Gemeinsamkeiten und von simplen Analogien absehen. Aber relevant sind sie doch, und die zahlreichen vereinfachenden und verschlagworten Vergleiche, die in der freien Wildbahn zu finden sind, rechtfertigen nicht ein komplettes Absehen von differenzierten und fruchtbaren Unternehmungen auf dem Feld.
4) Democrats return to Texas as California kicks off push to pass new electoral map
In den USA verschärft sich der Konflikt um die Neuziehung der Wahlkreise. In Texas beendeten die Demokraten einen zweiwöchigen Boykott, mit dem sie versucht hatten, die von Donald Trump geforderte republikanische Neuordnung der Wahlkreise zu verhindern. Obwohl sie damit letztlich keinen Erfolg hatten, werteten sie die Aktion als strategischen Sieg, da sie eine „redistricting arms race“ ausgelöst hätten. Unterdessen reagierte Kalifornien mit einem eigenen Vorstoß: Gouverneur Gavin Newsom präsentierte einen Plan, der bis zu fünf zusätzliche demokratische Sitze im Repräsentantenhaus schaffen könnte. Dieser soll per Volksentscheid im Herbst bestätigt werden. Republikaner kritisierten den Schritt als „Machtmissbrauch“ und warnen vor gefährlichen Präzedenzfällen. Während in Texas weiterhin Spannungen herrschen – etwa durch neue Überwachungsauflagen für abwesende Abgeordnete – inszenierte sich Abgeordnete Nicole Collier mit einem Sitzprotest gegen die „Erniedrigung“ durch republikanische Vorgaben. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus erhält das Ringen um die Wahlkreise strategische Bedeutung für die Wahlen 2026 (Sam Levine/Lauren Gambino, The Guardian).
Es ist gut zu sehen, dass wenigstens einige Democrats erkannt haben, dass das Hinhalten der anderen Wange und "when they go low, we go high" im Umgang mit MAGA eine Sackgasse ist. Diese Leute verstehen nur die Sprache die Stärke, und die muss man ihnen entgegenhalten. Zwar haben die Democrats beim Redistricting weniger Karten in der Hand als die Republicans, aber man muss, um im Bilde zu bleiben, die Hand spielen, die man hat, nicht die, die man gerne hätte. Wer nach all den Jahren noch glauben kann, dass es irgendetwas ändert, was die Democrats tun oder nicht tun, dass also republikanische Abgeordnete oder FOX News in irgendeiner Art und Weise gouttieren würden, wenn die Partei des Esels die Regeln einhält, der muss schon unter einem Stein gelebt haben. Es ist an der Zeit, dass die GOP ihre eigene Medizin zu schmecken bekommt.
5) Deutschlands stille Bildungskatastrophe
Der Kommentar beschreibt eine „stille Bildungskatastrophe“ an deutschen Grundschulen: Immer mehr Kinder scheitern an elementaren Fähigkeiten wie Lesen und Schreiben. Besonders dramatisch sei, dass bereits ein Viertel der Viertklässler auf niedrigstem Niveau lese. Die Ursachen würden nicht erst in der Schule, sondern schon vor der Einschulung sichtbar. Kinder ohne Deutschkenntnisse würden direkt in die erste Klasse geschickt, was vielfach zu Sitzenbleiben führe – ein kostspieliges und ineffektives Verfahren. Als Lösung wird eine verpflichtende Vorschule gefordert, in der Kinder ganztägig und spielerisch Deutsch lernen, begleitet durch die Eltern. Vorgeschlagen wird zudem, Transferleistungen an die Teilnahme von Eltern an Sprachkursen zu binden. Die Autorin verweist auf Beispiele aus England, wo ein Vorschuljahr die Integration erleichtere. Kritik übt sie auch an Lehrkräften, die Lesen und Schreiben nicht als wichtigste Kernkompetenzen betrachten, sowie an Kindergärten, die auf freies Spiel statt Struktur setzen. Vorlesen und Lesekultur im Elternhaus gelten als entscheidend. Insgesamt wird betont: „Ohne Lesen und Schreiben ist alles nichts.“ Ein flächendeckendes Reformprogramm mit Sprachtests, kleineren Klassen und mehr Personal sei dringend notwendig (Christine Brinck, WELT).
Einmal davon abgesehen, dass es schon ein bisschen witzig ist, dass hier den linken "Gutmenschen" vorgeworfen wird, gegen staatlichen Zwang zu sein, wo auf diesen Seiten normalerweise unter der Flagge heiliger moralischer Empörung jede Vorstellung staatlicher Eingriffe ins Privatleben als sozialistische Diktaturnähe verdammt wird (aber hier soll's ja gegen Ausländer*innen und Sozialleistungsempfangende gehen, da gelten andere Regeln), hat Brinck völlig Recht. Wir sind da wieder beim selben Thema wie immer: mangelnde Ressourcen und eine hoffnungslos veraltete Struktur. Erst ab 6 Jahren einsetzende Schulbildung und damit die Vernachlässigung frühkindlicher Bildung einerseits und die Trennung bereits mit 10 Jahren in ein gegliedertes Schulsystem andererseits sind und bleiben institutionelle Dummheiten, die von ungeheurer Beharrlichkeit sind und allen Erkenntnissen der Bildungsforschung gegen den Strich gehen. Auch die Milchmädchenhaftigkeit der Rechnungen, von denen Brinck hier spricht, kann man nur unterstützen. Es ist eine Katastrophe, was da passiert, und sicher hat sie auch Recht damit, welche Schichten besonders betroffen sind.
Resterampe
a) Guter Thread zum Budapest Memorandum. (Bluesky)
b) „Aufruf zum Mord an jüdischen Kindern“ – Linksjugend-Post sorgt für Empörung (News4Teachers). Gesocks, echt.
Fertiggestellt am 20.08.2025
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