Im Moment stehen die Zeichen sehr stark auf Umstellung auf Tenure Track, wenn es um die Verbesserung der wissenschaftlichen Karriereperspektiven geht. Es ist aber wichtig, andere Reformoptionen des deutschen Wissenschaftssystems nicht aus dem Blick zu verlieren, denn Tenure Track - also die Berufung auf eine Professur auf Zeit mit der Option der Entfristung im Falle positiver Evaluation, meist nach sechs Jahren - bringt auch Probleme mit sich. Allen voran wäre das schon oft diskutierte Problem zu nennen, dass man mit Tenure Track entweder Habilitierten (bzw. Personen, die eine bestimmte Jahreszahl seit der Promotion überschritten haben) keine Perspektive in der Wissenschaft bieten kann, obwohl sie oft alles andere ungeeignet sein dürften. Dabei sind die entsprechenden Vorgaben logisch und gut gemeint, schließlich möchte man dem Missstand beikommen, dass die Entscheidung über den dauerhaften Verbleib in der Wissenschaft in Deutschland sehr spät fällt - oft erst im fünften Lebensjahrzehnt. Tenure-Track-Professuren wie im Rahmen des entsprechenden Programms des Bundes sollen sich an Personen in frühen Karrierephasen richten, um Anreize zu setzen, Menschen kurz nach der Promotion bereits auf den Weg zu bringen, der ihnen eine langfristige Perspektive bietet. Deshalb ist die Habilitation hier explizit nicht als Voraussetzung vorgesehen; der Ruf kann direkt auf W1 oder W2 erfolgen.
Abgesehen von dem Risiko, dass Tenure-Track-Professuren auch genutzt werden können, um ohnehin nachzubesetzende Stellen eine Weile aus Bundesmitteln zu finanzieren, ändert Tenure Track aber vor allem nichts daran, dass wissenschaftliche Karrierewege vom Zufall abhängen. Denn letztlich ist die Zahl der Professuren mit oder ohne Tenure Track begrenzt. Folglich muss man Glück haben und gerade zum individuell richtigen Zeitpunkt eine passende Ausschreibung erwischen. Für viele Habilitierte ist es zu spät, wenn sie bei Tenure-Track-Professuren nicht mehr zum Zuge kommen. So entsteht möglicherweise eine 'verlorene Generation', wenn auch vielleicht nur in einigen Fächern.
Alternativ kann nämlich die Tenure-Track-Professur gegen ihre eigentliche Zielsetzung verwendet werden, indem man die Habilitation (bzw. äquivalente Leistungen) über die Auswahlkriterien der Berufungskommission weiterhin zumindest implizit zur Voraussetzung der Bewerbung macht. Sind Tenure-Track-Berufene indes habilitiert, wird Tenure-Track möglicherweise zur weiteren Qualifikationsphase noch im Anschluss an an die Befristungszeit nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Damit wird die Entscheidung über den dauerhaften Verbleib kaum in nennenswertem Umfang vorverlegt. Zudem entsteht innerhalb der Gruppe von Personen auf Professuren eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen den 'echten' Berufenen (die bereits auf Lebenszeit verbeamtet sind) und jenen, die sich weiterhin zu 'bewähren' haben und für die immer noch der gezwungene Ausstieg aus der Wissenschaft kommen kann.
Das Grundproblem ist aber vor allem dieses: Tenure Track ändert nichts am Sonderstatus der Professur, sondern nur am Weg dorthin. Was wir brauchen, ist indes ein zukunftsfähiges Personalkonzept für die Wissenschaft, das die Kluft zwischen Professur und Mitarbeiterstelle verkleinert. Es wäre besser (das kann man jetzt Department-Modell nennen), nach der Promotion nur noch entfristet einzustellen und dann Wege zu finden, das enfristete angestellte Personal unter bestimmten fachspezifischen Voraussetzungen zu befördern (z. B. auf eine Professur). Angestellte dürfen keine 'Ausstattung' einer Professur mehr sein. Stattdessen ist es sinnvoller, Arbeitsgruppen zu bilden und es Einzelnen so auch zu ermöglichen, auf Wunsch Vorgesetzte innerhalb eines Instituts zu wechseln und so in Konfliktfällen eine Ausweichmöglichkeit am selben Ort zu haben. Erst damit wird der Weg zu einer modernen Führungskultur an den Hochschulen wirklich eröffnet, wenngleich es selbstredend darüber hinausgehender Schritte bedarf.
Insofern ist die ein- oder zweijährigen Orientierungs- und Bewerbungszeit nach der Promotion, wie sie z. T. vorgeschlagen wird - etwa im Positionspapier der SPD zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes - , noch zu sehr in der bisherigen Bewährungs- und Entweder-Oder-Logik gedacht. Der Gedanke ist hier, dass Menschen, die promoviert sind, sich nun ein oder zwei Jahre lang auf Dauerstellen oder Professuren bewerben sollen. Währenddessen kann man sie weiter befristet einstellen, damit sie nicht direkt ins Nichts fallen. Diese Idee hört sich gut an, schafft aber wiederum Folgeprobleme. Denn Berufungsverfahren dauern in aller Regel länger. Es muss außerdem gerade eine passende unbefristete Stelle oder Professur ausgeschrieben sein - was aber vielleicht auch erst nach drei Jahren der Fall sein kann. Wie soll man mit Menschen verfahren, die Kinder haben? Bekommen diese wie in der derzeitigen Regelung zusätzliche Befristungsoptionen? - Man sieht an den wenigen Beispielen bereits, dass eine Orientierungsphase dieser Art sehr schnell wieder zu Detailkorrekturen und Ausnahmeregelungen führen wird. Sie ist also schlicht keine praktikable Lösung.
Der Fehler ist hier, dass weiter in der Logik des In-or-Out reformiert wird. Menschen sollen einfach früher als bisher wissen, ob sie in der Wissenschaft bleiben können oder eben nicht. Dagegen wehren sich die Hochschulen allerdings z. T. durchaus mit Recht, weil man das oft noch nicht absehen kann. Viele werden erst einige Jahre nach ihrer Promotion so richtig ihr Potential entfalten. Das Risiko einer zu frühen Auslese sollte man also nicht eingehen.
Deshalb muss man anders ansetzen: Es sollte nicht primär darum gehen, wer geeignet ist oder nicht, zumindest nicht in Form einer absoluten Entscheidung, die nur (vielleicht) früher fällt als bisher. Man führe besser mit einem System, in dem unbefristete Stellen die Regel sein werden, Professuren ggf. die Aufstiegsperspektive. Wichtig auch: Das sollte auch vor Ort passieren können, um zu vermeiden, dass sich Menschen in einer Lebensphase, wo sie Familien gründen, wegbewerben und unnötig umziehen müssen. Nur dann ist es auch möglich, Quer- und Wiedereinstiege in die Wissenschaft zu ermöglichen und alle Generationen zu berücksichtigen.
Das gegenwärtige System kennt viele verschiedene Wege zum 'Erfolg', was es schwer macht, vorherzusehen, welcher im Einzelfall zu empfehlen ist. Es ist aber vor allem viel zu unflexibel. Eine Reform, die wirklich nachhaltige Verbesserungen bewirken soll, muss eine große und informierte Reform sein. Sie muss einerseits wissenschaftliche Arbeit völlig neu denken, andererseits aber auch die komplexen Auswirkungen ihrer Interventionen (etwa Fragen der Kapazitätswirksamkeit) bedenken und entsprechende Anpassungen an anderer Stelle von Anfang an mit einplanen.