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5. Türchen: „Komm mit ins Abenteuerland!“

Wenn das Leben, Spielen, Arbeiten und Lernen auf den eigenen häuslichen Bereich beschränkt ist – oder weitgehend beschränkt ist – wird die Wohnung zum Büro, zum Schulgebäude, zum Spielplatz… Anlehnend an Türchen 1 und 2 sind wir das, je mehr die großen wie kleinen Familienangehörigen den Alltag vor der Pandemie außerhäusig verbracht haben, nicht gewohnt. Das stellt uns u.U. vor einen Umgewöhnungsprozess, der nicht so einfach ist und uns Einiges an emotionaler Gelassenheit und gedanklicher Umorientierung abverlangt. Besonders bei jüngeren Kindern bieten sich hier aber tolle Möglichkeiten, die aus dem, was die Wohnung beinhaltet, gebaut werden können. Lassen Sie zu, dass im Wohnzimmer aus Stühlen und Decken ein Piratenschiff oder ein Eiscafe entstehen; aus Stelzen, Besenstielen und Decken oder Planen wird ein Tipi. Die (Holz-)eisenbahn fährt durch Flur und Küche, besondere Herausforderung für Kinder sind kleine Absätze oder Treppenstufen, die es zu überwinden gilt. Eine Murmelbahn kann sogar Stockwerke überqueren. Zu solchen Bauten können eigene Geschichten und Abenteuer erfunden und nachgespielt werden. Nehmen Sie solche Spielsequenzen auf, per Video oder Tonaufnahme – daraus lässt sich vielleicht später eine Geschichte schreiben – ein eigenes Familienbuch mit einer tollen, „selbst erlebten“ Abenteuergeschichte, schön gebunden in einen Einband aus… Sie können es sich denken: Alltagsmaterial.

Es eignet sich so gut wie alles für solche Unternehmungen, kleine und größere: aus dem Bestand an Kunststoff-Vorratsdosen (falls vorhanden, sonst alternativen Materialien) lässt sich ein ganzes Schlagzeug bauen – die Holzkochlöffel fungieren als Sticks. Es lassen sich tolle Klangexperimente machen. Die Trinkgläser (sofern nicht zu empfindlich) werden zur wassergefüllten Glasorgel, ebenso unterschiedlich gefüllte Wasserflaschen zu einem Glaspfeifenorchester. Aus Toilettenpapier- und Küchenpapierrollen lassen sich Murmelbahnen, Handtrommeln (mit einem gespannten Luftballon), Stifteständer und alles mögliche andere basteln – auch hier: charmanter Nebeneffekt, dass man in der Vorweihnachtszeit schonmal Geschenke fertigen kann.

Gehen Sie mit ihren Kindern durch die Wohnung: vom Nähkasten bis zur Küchenschublade, vom Keller bis zu schon lange vergessenen eingelagerten Sachen, alles, jede Decke, jedes Kissen, Regenschirme, Walking-Stöcke, Wäschekörbe, Hundekörbchen… kann benutzt werden. Aus Lego – sofern vorhanden – lassen sich praktische Dinge bauen, schaffen die Kinder es, einen „Stuhl“ zu bauen, der auch ein Kind aushält? Prima, dann steht der ab sofort neben dem Wohnzimmertisch.

Ältere Kinder/Jugendliche können sich Gedanken machen, wie in der Wohnung umgestaltet werden kann, angefangen in ihrem eigenen Zimmer, Möbel, Regale, Bett – alles kann mal woanders hingeschoben werden. Wie fühlt es sich an? Ist es praktischer? Gemütlicher? Zurück räumen kann man immer noch. Sie können eigene Möbel „entwerfen“, was müsste das perfekte Möbelstück an Kriterien erfüllen, die perfekte Sitzgelegenheit zum Chillen? Warum schläft die ganze Familie nicht mal auf einem Bodenbett im Wohnzimmer? Oder in Hängematten/-sesseln?

Solche Unternehmungen bedürfen Regeln, großer Toleranz und – der Offenheit für Fantasie. Lösen Sie sich von der gewohnten Vorstellung, dass die Kinder in der Kita oder der Nachmittagsbetreuung spielen – angeleitet und kontrolliert. In Isolation, Quarantänen (auch wiederholt) oder in Phasen der Kontaktbeschränkungen findet das eben gerade nicht statt. Und anstatt erstarrt und genervt darauf zu warten, wieder "raus" zu können, lohnt sich ein Perspektivwechsel. Jeder Tag aktiver Gestaltung zählt und führt dazu, dass in der Retrospektive diese Zeit in der Erinnerung der Kinder weniger dunkel und belastend ist. Die Pandemie bedeutet für die Kinder Verunsicherung. Nehmen wir ihnen einen Teil davon, indem sie sich zu Hause vor der Pandemie sicher und geborgen fühlen können und eine ganze neue Welt entdecken können - die Wohnung als Abenteuerland.

Falls Sie einen Balkon, Hausvorplatz oder Garten haben - egal wie groß oder klein - kann dieser natürlich mit einbezogen werden oder die Unternehmungen können gänzlich draußen stattfinden. Warum nicht im Winter am Klapptisch dick eingemummelt frühstücken und das in eine "Nordpolexpedition" einbauen? Positiver Nebeneffekt: die Familie (oder die Kinder, wenn sie allein agieren) bewegen sich an der frischen Luft. Haben Sie kein eigenes Fleckchen "draußen", lässt vielleicht der Nachbar oder das Ehepaar gegenüber einen Tag das Abenteuer in ihrem Garten starten. Größere Wochenendausflüge können in ein Waldstück unternommen werden und nach Stunden aufgeregter Aktivität ist eine Hütte gebaut, ein Monster besiegt oder ein Dinosaurier gefangen - natürlich mit Picknick. Ja, ich meine das auch explizit jahreszeitenunabhängig. (Die letzten beiden Szenarien dürfen natürlich nur gewählt werden, wenn keine Isolation/Quarantäne angeordnet ist.)

Hier ist die Herausforderung: alles ist möglich, (fast) alles ist erlaubt. Es bedarf größtmöglicher Freiheit, der Fantasie freien Lauf zu lassen und mit Blick auf eine Wohnung einen Perspektivwechsel zu erlauben. Machen Sie mit oder lassen Sie die Kinder allein räumen – nachdem Sie Grenzen und Regeln klar gemacht haben. Vereinbaren Sie Zeiten, in denen das geschehen darf, welches Material genutzt werden darf und wann wieder aufgeräumt wird. Vereinbaren Sie Bereiche, die von der „Umgestaltung“ ausgenommen sind. Proben Sie ab und zu den „Legoschrei“, ohne wirklich etwas umzuwerfen – das kommt gut an. Und wenn Sie zwischen Videoschalte 1 und Zoom 2 eine Viertel Stunde Winnetou waren, tut das nicht nur Ihren Kindern gut, sondern sorgt gleich auch bei Ihnen selbst für einen kurzen „Perspektivwechsel“ und eine ablenkende Pause. Sie können sicher sein, dass im Laufe des Tages mehrmals ein seelen-wohltuendes Schmunzeln über Ihr Gesicht huschen wird.

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