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6. Türchen: „Schatz, wir müssen reden!“

Je unübersichtlicher eine Situation ist, je drastischer oder chaotischer die Einschränkungen sind, umso umfassender ist auch unser Alltag betroffen. Das führt zu vielen Fragen – nicht nur bei Ihnen selbst, sondern noch viel mehr bei Kindern und Jugendlichen. Die medialen Informationsmöglichkeiten sind unübersichtlich und neben seriösen, halbseriösen und populärwissenschaftlichen Informationen sind haufenweise „Rattenfänger“ unterwegs, die versuchen, auf den Zug der Pandemie aufzuspringen und ein Stückchen Aufmerksamkeit zu ergattern oder bewusst mit Fakenews und Desinformation arbeiten. Dabei spielt weniger sachliche Information eine Rolle als vielmehr die psychologische Situation des Sich-Darstellenden. Das zu unterscheiden ist nicht immer leicht, vor allem, wenn die kontroversen Positionen einer #falsebalance unterliegen und uns (und den schon selbstständig auf Informationssuche befindlichen Jugendlichen) als angeblich gleich zu gewichtend vermittelt werden. Schwierig wird es auch, wenn die Grenze zu Leugnung, gefährlicher Verharmlosung oder demokratiefeindlichen Positionen angekratzt wird. Klären Sie für sich die Entwicklungen in der seriösen Konsens-Wissenschaft. Es gibt – mehr als je zuvor – auf der seriösen Seite Informationsmöglichkeiten, Podcasts, Videokanäle, Dossiers und TV-Sendungen. Schauen Sie auch, wie die Experten in der Öffentlichkeit diskutiert werden – auch daran kann erschlossen werden, wie seriös jemand wirklich ist.

Sprechen Sie mit Ihren Kindern über diese medial schwierige Situation – Kinder haben noch nicht den Erfahrungs- und Bewertungshintergrund, den wir mitbringen. Sie müssen (u.a. von uns) lernen, was seriöse und was weniger seriöse Informationen sind oder wo die Grenze zur Desinformation beginnt. Besprechen Sie mal ein Interview, einen Zeitungsartikel, hören Sie gemeinsam einen Podcast. Gleichen Sie die Sichtweisen und Informationen über Fakten in der Pandemie der führenden Wissenschaftler:innen mit anderen Informationen ab – so kommen Sie mit Ihren Kindern schnell dahinter, wo Sie orientierende seriöse Informationen finden können und wo Sie mehr Verunsicherung und Verharmlosung bekommen.

Sprechen Sie mit Ihren Kindern über die Situation, sprechen Sie in der Familie über das, was Pandemie langfristig bedeutet. Erklären Sie das Virus und seine Besonderheit und warum die Welt so reagiert, wie sie reagiert. Erklären Sie die Ihre Familie betreffenden Maßnahmen und welchen Sinn sie haben sollen. Auch wenn Maßnahmen chaotisch oder sinnlos erscheinen, versuchen Sie zu klären, warum auch diese Maßnahmen Sinn machen – manche mehr, manche weniger. Auch diese Aspekte des Pandemiemanagements unserer Gesellschaft unterliegen dynamischer Entwicklung. Zeigen Sie Möglichkeiten auf, mit den Regeln einen guten und entspannten Umgang zu finden – je jünger Kinder sind, umso spielerischer sollten Gespräche sein. Vermeiden Sie dabei aber unbedingt Verharmlosungen und falsche Darstellungen. Ein Coronavirus ist kein Schnupfen“männchen“, für keine Altersgruppe. Kinder spüren, dass die aus den Angeln gehobene Welt nicht zu einem verharmlosenden Bild passt, Jugendliche wissen es aus eigener Information und aus dem Schulunterricht, der eventuell die Chance nutzt, bspw. in Biologie über die Pandemie, über Viren und Infektionskrankheiten zu sprechen. Seien Sie ehrlich, ernst und ohne Panik! Das ist die beste Grundlage, das authentische Gefühl, dass Ihre Kinder durch die sie umgebende Welt haben, mit den Fakten aus der wissenschaftlichen Analyse der Pandemie kindgerecht in Einklang zu bringen.

Bezüglich der Rolle der Kinder ist eine hart umkämpfte Situation entstanden. Auswirkungen hat das seit über einem Jahr auf die Frage der Beschulung und Betreuung. Die Unsicherheit von Kindern kann groß sein. Aktuell kommt hinzu, dass die Inzidenz unter den Schulkindern am höchsten ist. Es dürfte kein Kind in Deutschland mehr geben, dass nicht schon infizierte erkrankte Klassenkamerad:innen/Freund:innen in seiner Umgebung hat. Das rückt die Pandemie sehr nah an die Kinder heran und sie wissen das. Viele Kinder und Jugendliche kennen die Zahlen, wissen um überlaufende Intensivstationen, unkalkulierbare Verläufe und Langzeitschäden, hören die Politiker und haben ein (fast) untrügliches Gespür, dass sie in der öffentlichen Diskussion eine politische Verschubmasse geworden sind, auf deren Kosten man Schutzmaßnahmen beschließt, abschafft, wieder beschließt und ihnen eine Infektion, Isolation und Quarantäne(n) inzwischen regelrecht zumutet. Ruhiges unbefangenes konzentriertes Lernen in Präsenz ist unter diesen Umständen kaum möglich.

Vermeiden Sie eigene Bewertungen dazu – Sie sind im überwiegenden Fall kein/e eng an der Pandemie Forschende/r. Berufen Sie sich auf die seriösen, dem wissenschaftlichen Konsens angehörende – nicht einer politischen Agenda folgenden verharmlosenden – Quellen. Ihre Kinder können sich anstecken und können andere anstecken. In welcher Schwere und Intensität ist für den Laien kaum zu beurteilen. Aber die Anerkenntnis der Tatsache, dass eine Ansteckung/Weitergabe erfolgen kann und es keine für den Einzelnen garantierte Aussage über den Verlauf gibt, reicht aus, um Ihre Kinder ohne Brüche und Zweifel durch die Pandemie zu bringen. Signalisieren Sie Ihren Kindern, dass es Schutzmaßnahmen gibt, die sie selbst in der Hand haben. Inzwischen können auch Jugendliche und - diesen Monat noch zu erwarten - auch Kinder geimpft werden. Damit kann auch Kindern das Gefühl gewährt werden, der Pandemie nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, sondern sich präventiv gegen das Virus schützen zu können. Das gibt Kindern ein Gefühl von Sicherheit und Selbstwirksamkeit. Geben Sie Ihren Kindern das Gefühl, Teil der Lösung in der Pandemie zu sein. Darauf haben sie ein Recht, denn sie sind auch Teil der Pandemie und das wissen sie.

Für Kinder mag die Pandemie noch beunruhigender sein, als für uns Erwachsene. Gegen Ohnmacht und Verunsicherung hilft, sich handlungskompetent zu fühlen. Mit kleinen Maßnahmen, die Kinder einfach und schadlos anwenden können, haben sie das Gefühl, ein Stück Kontrolle zurück zu erlangen und sich als aktiv empfinden zu können. Nichts ist für Kinder schlimmer, als nicht an dem Gesamtgeschehen teilhaben zu dürfen, das sie umgibt und nicht an der Verbesserung der Situation mitwirken zu können.

Legen Sie sich einen „pandemischen Imperativ“ mit Ihren Kindern zurecht: „Pass auf, wir machen das so. Du kannst dich bei anderen anstecken und wenn du krank wirst, kann das sehr unangenehm sein. Du kannst andere anstecken und es gibt Menschen, kleine und große, für die kann die Krankheit sehr gefährlich werden. Das Anstecken merkt man nicht. Beides wollen wir vermeiden, deswegen halten wir uns an die Regeln und treffen uns weniger mit anderen Menschen. Manchmal sind die Regeln nicht gut zu verstehen oder wirken unsinnig, aber das ist deswegen so, weil diese Pandemie für alle neu ist und Politiker auch in Konflikte mit anderen Interessen geraten.Wir wissen auch nicht, ob die, denen wir begegnen, geimpft sind. Wir werden nichts tun, was gegen die gesetzlichen Regeln verstößt und wir schützen uns selbst und die, die wir lieb haben und denen wir begegnen mit dem, was wir wissen und können."

Die Ausführungen zum „darüber-sprechen“ bedürfen dringend eines Ausgleiches. Wechseln Sie die Perspektive: auch wenn unser Alltag von der Pandemie geprägt ist, so müssen wir doch nicht den ganzen Tag nur an sie denken.

Setzen Sie sich und der Familie unbedingt Grenzen. Sprechen Sie über andere Dinge, schauen Sie Filme, erzählen Sie sich Erlebnisse, lesen Sie Bücher und Zeitschriften, die NICHTS mit der Pandemie zu tun haben. Jede Balance, jede Waage ist nur so gut und so ausgeglichen wie sie Gewichte in beiden Waagschalen hat. Eine Waagschale ist schwer mit Pandemie gefüllt – achten Sie unbedingt auch auf die andere Schale. Es gibt unendlich viele andere Themen, über die Sie in einer weltumspannenden alles umfassenden Pandemie dennoch in der Familie sprechen können. Damit geben Sie sich und Ihrer Familie Zeiten der Unbefangenheit zurück, die unsere Widerstandskraft für schwierige Phasen nähren.

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