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14. Türchen: Umgang mit der Langen Weile
Manche seltsamen Gesundheitsamtsschreiben oder politischen Ausführungen der Ministerien sehen Dinge vor, die uns als Familien sehr befremden – bspw. ein Kind bei Infektion (also Isolation) oder als Kontaktperson (also Quarantäne) innerhalb der Familie zu isolieren. Das klingt wie ein mittelalterliches Wegsperren von Kindern und empört uns mit dem Blick aufgeklärter, moderner und bedürfnisorientierter Erziehung. Begründet sind solche formalen Formulierungen schlicht in rechtlichen Vorgaben. Das wird oft aufgeregt falsch verstanden. Amtliche Schreiben müssen die rein formale Seite abbilden und sind keine Briefe der Klassenlehrerin, mit Herzchen verziert. Sie gehen an die Person in Quarantäne/Isolation und unterscheidet dabei nicht nach Alter. So kann es passieren, dass ein 7-Jähriger ein mehrseitiges formales Gesundheitsamtschreiben erhält, das an ihn adressiert, aber natürlich an seine Eltern gerichtet ist. Niemand würde seinem Grundschulkind ein solches Schreiben auf den Frühstückteller legen wie die Urlaubskarte von Oma. Hier also meine Aufforderung zu einem ersten inneren Abstandnehmen und zum Perspektivwechsel des Blickes auf die Schriftstücke, die ins Haus flattern.
Ein Stück Abstand kann in der Familie für die überschaubare Zeit aber in der Tat angeraten sein und auch ohne den mittelalterlichen Beigeschmack gut integriert werden. Familien mit Risikopatienten sind solche Notwendigkeiten gewohnt, auch bei Erkältungen und Infekten hält man sich fern und desinfiziert gemeinsam genutzte Bereiche. Großeltern mit Immuneinschränkung besucht man auch ohne Pandemie nicht, wenn die Rotznase läuft - die durchaus auch mal 14 Tage laufen kann. Seinen Teenager sieht man manchmal den ganzen Tag nicht - er chillt und brummelt in seinem Zimmer herum und kommt nur zum Essen raus. Auch das - die "Isolation" eines Kindes/Jugendlichen kennen wir in der Familie.
Wir haben also eine ganze Reihe Anknüpfungspunkte aus dem nichtpandemischen Leben, die wir nutzen können, um das Neue an Bekanntes anzubinden.
Je älter die betroffenen Kinder sind, umso mehr Abstand kann man für diese kurze Zeit halten. Es ist – auch – immer eine Frage, wie Dinge, Regeln und Notwendigkeiten in der Familie kommuniziert und umgesetzt werden und wie das bisherige Pandemiemanagement ist. Je aufgeklärter und selbstverständlicher Regeln und "Käsescheiben" des Infektionsschutzes in der Familie verstanden und eingeübt sind, umso einfacher ist die Integration neuer (zeitlich begrenzter) Notwendigkeiten.
Ich möchte an dieser Stelle Quarantäne (als Kontaktperson) und Isolation (als nachweislich infizierte Person) differenziert diskutieren.
Machen wir uns als Erstes klar: eine Quarantäne dauert im Allgemeinen höchstens 14 Tage. Setzen wir das mal ins Verhältnis, das ist etwa so viel wie die Herbstferien oder die Osterferien oder die Weihnachtsferien und das Doppelte der Pfingstferien oder sonstiger länderspezifischer Kurzferien. Wir sprechen hier also über einen überschaubaren Zeitraum, den wir kennen. Auch Betreuungseinrichtungen (nachschulische Nachmittagsbetreuung, Kitas etc.) und Vereine/die Musikschule haben „Ferien“, im Allgemeinen mind. 3 Wochen im Jahr (Vereine etc. sogar analog zu den Schulferien) plus mehrere freie Tage um hohe Feiertage herum. Die Situation „du kannst jetzt 14 Tage nicht in… und nicht zu...“ ist also eigentlich nichts Ungewohntes für Kinder. Auch in den Ferien gehen Kinder nicht in die Schule, sehen ihre Freunde einige Wochen nicht und der Schwimmkurs findet auch nicht statt.
Der erste Schritt des Umganges (und damit der notwendige Perspektivwechsel) ist also das „ins-Verhältnis-setzen“ mit schon lange und selbstverständlich gewohnten Abläufen. Wichtig ist gerade für Kinder, aus dem „Schreckgespenst“ Quarantäne (in denen die Kinder ja gesund sind und hoffentlich bleiben) eine (endliche) sinnvoll begründete Aus-Zeit zu machen.
Isolation bedeutet, dass das Kind infiziert ist. Das ist mehr als „Auszeit“ und bedarf mehr Aufmerksamkeit. Ist das Kind erkrankt, entsteht ein Konflikt zwischen Sorge (für die Nähe sehr wichtig ist) und Infektionsschutz in der Familie (für die Abstand sehr wichtig ist). Diesen Spagat müssen Familien gut ausbalancieren, aber wir kennen auch da Möglichkeiten, mehr Sorge ohne Infektionsgefahr und mehr Abstand ohne Zurückweisung zu gewähren. Wichtig ist, ein Abstand-nehmen nicht wie ein Wegsprerren und beängstigendes Ausgrenzen zu vermitteln, sondern seine Notwendigkeit zu erklären und gute achtsame Ausgleichszeiten zu gewähren. Man kann solche Zeiten nutzen für längere Termine-mit-sich-selbst, mit (siehe Türchen 2) passenden angemessenen Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten, die die Aufmerksamkeit des Kindes konzentriert auch über einen längeren Zeitraum binden, guter und liebevoller Kommunikation, mit Maske-tragen in der Familie, Lüften beim Zusammensein – wir haben genügend „Käsescheiben“ aus der Swisscheese-Strategy der Pandemiebekämpfung, die wir auch in die Familie integrieren können. Manche Familien haben sich einen kleinen Luftfilter (Filterart beachten) angeschafft, der geschickt eingesetzt für zusätzlichen (nicht alleinigen!) Schutz sorgen kann (Aufstellrichtung beachten). Sind finanzielle Mittel beschränkt, kann man sich ein solches Gerät mit einer oder mehreren anderen Familie(n) im Haus oder der Nachbarschaft teilen oder leihen.
Isolation und Quarantäne sind die Zeiten, in denen die Pandemie uns ganz nah kommt und die Gestaltung dieser Zeit kann mit verschiedenen Möglichkeiten, Perspektivwechseln und v.a. der verlässlichen Sorge um das betroffene Kind wie eine Jonglage gesehen werden, in der wir mit verschiedenen Bällen agieren – einige Bälle (die der Beschäftigung und Kommunikation) wählen wir selbst, andere nicht. Vergessen Sie nie den Ball "Besorgnis" - auch Kinder verstehen und wissen, dass die Pandemie gefährlich ist und deswegen weltumspannend diese Ausnahmesituation besteht, von der sie jetzt direkt betroffen sind.
Im Unterschied zu gut geplanten Ferien überfallen Familien diese Quarantänen und Isolationen plötzlich – natürlich führt das zu Stress und organisatorischen Herausforderungen, die wir in den Ferien nicht haben, aber mein Blick geht zuerst auf die Kinder – und die sind für den entstehenden Stress nicht verantwortlich und sollten möglichst wenig von ihm betroffen sein. Sie sollten – um möglichst gut durch diesen Zeitraum zu kommen – eine Quarantäne nicht als furchtbar empfinden, sondern als Auszeit, als längeren Termin-mit-sich-selbst, als ähnlich-wie-Ferien… Wie gesagt, es geht um die Kommunikation mit Kindern. Sie sollten wissen, warum sie in Quarantäne sind und welchen Sinn die Maßnahme macht (Akzeptanz fördern), in einem zweiten Schritt gut damit umgehen können und drittens die (eventuell) entstehende „Lange Weile“ für sich nutzen.
Der mdr hat eine tolle Sammlung mit (auch ungewöhnlichen – Perspektivwechsel!) Ideen veröffentlicht, mit denen man die 14 Tage (!) gut überstehen kann – in nachpandemischen Zeiten ist das auch eine schöne Fundgrube für Feiertage und Ferienzeiten.
Leider bedeuten hohe Infektionszahlen, dass Quarantänen Familien auch öfter betreffen können und die Herausforderungen sich zunehmend stapeln. Aber auch dann ermutige ich zu einem Perspektivwechsel: Ach herrje, das kennen wir schon. Na dann, was nehmen wir uns dieses mal vor?
So sollte der Blick der Kinder sein, für alles andere sind wir Erwachsenen verantwortlich.
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