In Bayern finden Mannschaftsspiele wieder ohne Publikum statt. Doch das Spiel wirkt steril, es könnte beinahe eine beliebige Trainingseinheit sein. In einem leeren Audi Dome, bei meinem ersten Basketballspiel, ausgerechnet dem ersten Geisterspiel dieser Saison – fast allein. Ein Erfahrungstext.
Ognjen Jaramaz bekreuzigt sich, dann geht er zurück aufs Feld. Drei Minuten vor Ende des dritten Viertels soll er einen Einwurf machen. Inmitten seiner Basketball-Teamkollegen steht er, zielt, wirft – und trifft. Der Spielstand dreht sich zu Gunsten der MLP Academics – Siegeshoffnung. Nicht lange, dann wirft Nick Weiler-Babb einen Freiwurf – und trifft ebenfalls. Nach mehreren weiteren Angriffen, Freiwürfen und Fouls gehen die Spieler aus Heidelberg nach dem dritten Viertel mit 57 zu 52 gegen den FC Bayern Basketball in Führung in die Pause. Die Underdogs führen gegen die bisher erfolgreichen Bayern, unter den Anzugträgern am Spielfeldrand knistert die Anspannung. Das Spiel nimmt unerwartete Wege.
Euphorie und Aufregung der Spieler finden allerdings kein Echo. Die Ränge sind beinahe leer, es wird nicht zurück gejubelt. Die Nähe der Spieler untereinander ist fast gruselig, eineinhalb Meter Abstand will man laut rufen. Während in weißen und schwarzen Trikots auf dem Feld gekämpft wird, kämpft die Lautsprecherstimme gegen die Leere und Einsamkeit auf den Rängen an. Was beinahe an Normalität auf dem Spielfeld herzustellen versucht wird, findet keine Antwort. Corona spielt mit, unübersehbar. Auf den Rängen nur Geister.
Seit Samstag finden „große, überregionale Veranstaltungen“ in Bayern wieder ohne Zuschauer*innen statt. Geisterspiele bei der Fußball-Bundesliga wurden lange beklagt, doch auch im Basketball müssen die Fans nun von daheim zusehen – wie bei der Basketball-Bundesliga (BBL). Am Freitag verkündete der FC Bayern Basketball, dass „vorerst auch bei den Heimspielen im Audi Dome kein Publikum mehr zugelassen“ ist. So treffen sie ihren Gegner, die MLP Academics Heidelberg, an diesem 12. Spieltag vor leeren Rängen.
Geister statt Zuschauer*innen
Der Sicherheitsmann am Eingang schickt uns weiter. „Das sind die von der Journalistenschule“, ruft er seinem Kollegen zu. Der Mann mit der orangen Jacke nickt. „Dort entlang geht es zum Presseeinlass“, sagt er und weist mit beinahe einladender Geste zu einer grauen Tür, die halb offen steht. Davor stehen ein paar junge Männer, sie haben knallgrüne Bänder und Presseanhänger um den Hals. Über ihnen leuchtet durch die Dunkelheit „Audi Dome“ in Rot und Weiß. Wir werden eingelassen, 2G plus kontrolliert. Für ein Geisterspiel ist erstaunlich viel los, der Journalist*innen-Eingang wirkt erstaunlich normal, mal von Masken, Abstand und Impfpass-Kontrolle angesehen.
Im Stadion läuft schon das Aufwärmen. Wir stehen am Eingang und sind unschlüssig, dann setzen wir uns in die erste Reihe. Sitzplätze sind ausgeschildert, nur jeder vierte Platz darf besetzt werden. Vereinzelt sitzen Pärchen von zwei Sportsfreunden in den Rängen, ansonsten ist das Stadion leer. Es wirkt klein, fast wie ein Spielfeld, an dessen Seiten einfach eine undefinierbare Wand empor geht. Neben den riesigen Spielern wirken Schiedsrichter und Schiedsrichterin beinahe wie Kinder – ich will gar nicht wissen, wie viele Köpfe der kleinste von ihnen größer ist als ich.
Wie um die Stimmung zu retten, läuft die Musik auf voller Lautstärke. Auf dem Feld wird trainiert, die Gastgeber, der FC Bayern Basketball, spielen sich warm. Ein Typ in Dunkelblau gibt Kommandos. Es sieht für einen Sportlaien wie mich sehr professionell aus. Dann verlassen sie den Platz, das Licht geht aus, „Basketbaaaaaaaaaaaaall“ dröhnt es aus den Lautsprechern. Die Stimme verkündet die Spielernamen, die Spieler laufen ein – ohne großen Jubel. Das vereinzelte Geklatsche verstärkt eher den Eindruck, den Lautstärke und Wortwahl eigentlich verbergen wollen – es ist kaum jemand zum Zuschauen vor Ort. Es funktioniert, solange man nur den Bildschirm beobachtet – ansonsten ist es ein bisschen traurig. Das Licht geht wieder an, die leeren Ränge leuchten. Das Geisterspiel beginnt.
Ein steriles Spielumfeld
Ich bin kurz verwirrt, weil ich kein Bayern-Rot auf dem Spielfeld finde, um festzustellen, dass Bayern Zuhause wohl in schwarz spielt. Auch gut. Während der Angriffe läuft keine Musik, die Rufe auf dem Spielfeld sind übertrieben laut zu hören. Für die Spieler ist das bestimmt praktischer als sonst, sie müssen nicht gegen Fans anschreien – aber es kommt keine Stimmung auf. Sogar das Quietschen der Schuhe auf dem Hallenboden ist zu hören. Es klingt ein bisschen wie früher im Basketballunterricht in der Schule – wie im Training eben. Spielgeräusche ohne Fangesänge – steril beinahe. Auf Seiten der Gäste ist wenigstens unter den Spielern auf der Bank Stimmung – es wird gerufen und angefeuert, bis der Trainer unterbindet.
Das erste Viertel geht 20 zu 16 für die Bayern aus. Bayern steht gerade an der Spitze der Tabelle, deswegen ist das mäßig überraschend. Meine Vorliebe für die Underdogs lässt mich trotzdem auf Heidelberg hoffen. Weniger aufgeladen geht die nächste Halbzeit los, bald haben sich die Männerstimmen aber wieder warmgeschrien. Wie viel Aerosole in der Luft sind, das will man gar nicht so genau wissen. Spieler Nummer 15 der Heidelberger heißt Geist, in diesem Angriff trifft er nicht. Zweites Viertel, Lucic versenkt einen Freiwurf, kurzer Jubel. Zum eigenen Jubel fehlt den Spielern wohl langsam der Antrieb, so ohne Fans. Gespielt, um zu spielen. 33 zu 33, am Ende des zweiten Viertels steht es unentschieden. Aufsteiger Heidelberg behauptet sich. Langsam fange ich an, ein bisschen mitzufiebern.
Es geht schnell weiter, Heidelberg scheint meiner bescheidenen Beobachtung nach anzuziehen – der Ausgleich zur Halbzeit scheint ihnen Motivation gegeben zu haben. Allerdings hat Heidelberg auch schon drei Teamfouls wie die knallrote kleine Zahl auf der Spielstandtafel anzeigt. Hinter der Bande sitzt ein Spieler der Bayern auf einem Spinning-Rad, zum Aufwärmen, vermute ich. Was es alles gibt. Die Heidelberger Auswechselspieler jubeln laut, ein Hauch von Zuschauerbegeisterung. Weiler-Babb wirft ein, er sieht ein bisschen aus wie Will Smith in „Prince of Bel Air“. Zwischen den Angriffen wischt ein Typ unter dem Korb mit einem runden breiten Mob. Das dritte Viertel holen die Heidelberger.
Es hätte so schön sein können. Mittlerweile stehen die Spieler auf der Bank, das angestrengte Stöhnen der Spieler wird lauter, die Trainergesten nachdrücklicher. Gegen Ende scheint alles ganz schnell zu gehen. Eine Sekunde vor Ende des Spiels noch ein Aufreger: „Zweifaches technisches Foul“ gegen die Bayern. Das vierte Viertel und damit das Spiel endet 77 zu 71 für die Bayern. Schade. Fazit zur Geisterspiel-Erfahrung? Es wirkt steril, trotz allem. Die leeren Zuschauertribünen, ja, gespenstisch. Eine beliebige Trainingseinheit? The show must go on, die Saison muss beendet werden. Ob das Spielern und Fans auf diese Weise besser tut, als es ganz abzusagen, darf bezweifelt werden. Aber Kontinuität – neben TV-Verträgen, versteht sich – ist wichtig, etwas zum Festhalten während dieser so unplanbaren Pandemie – deswegen spielen sie.
[Text entstanden in einem Workshop an der DJS]
Dir gefällt, was Sarah Kohler schreibt?
Dann unterstütze Sarah Kohler jetzt direkt: