Es ist schon fast eine kleine Tradition: Seit 2019 mache ich mir Gedanken über die je­­weilige Jahreslosung, die uns im neuen Jahr begleiten wird. Die Losung für 2022 lautet: „Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Johannes 6, 37). Oder, um in der grafischen Ausgestaltung von Stefanie Bahlinger zu bleiben: „Meine Tür steht offen!“

Mit diesen Worten spricht Jesus den Menschen Mut zu. Er stellt klar, dass man sich auf seine Hil­­fe verlassen kann. Wenn, man sich auf ihn einlässt. Er macht diese Zusage, obwohl er un­mit­telbar zuvor – als die Menschenmassen nach der erfolgten Speisung der Fünftausend wei­te­re Wun­der sehen wollten – festgestellt hat: „Ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht.“ (Joh. 6,36).

So geht es uns in unserem Alltag vermutlich auch oft. Wir nehmen die vielen „kleinen Wunder“ oft nicht wahr. Zu abgestumpft, zu sorgenbeladen gehen viele von uns ge­rade jetzt durch die Pan­demie-Zeit. Zu groß scheinen manche Probleme. Und nicht selten fragen wir nach dem „Warum?“. Jeder von uns kam mit Sicherheit in seinem Leben schon an Punkte oder Weg­mar­ken, wo er sich diese Frage gestellt hat. Mit Gram. Vorwurfsvoll. Traurig. Hadernd. Sei es an­ge­­sichts von Schi­cksals­schlägen, von unerwarteten Unfällen, Un­glücken oder schwerer Krank­heit. Sei es an­ge­sichts be­ruflicher Probleme oder familiärer Zwistig­kei­ten. Nach Tren­nun­gen oder gar Schei­dun­gen. Oder, ganz aktuell, angesichts emo­tionaler Dis­kus­sionen, die ein Zu­ein­an­der­fin­den un­möglich machen. Die spalten. Quer durch die Gesellschaft, den Freun­des-, Kollegen- oder Familienkreis. Gründe gibt es viele.

Dabei übersehen wir nicht selten das, was die taubblinde amerikanische Schriftstellerin Helen Keller (1880-1968) so schön und treffend formuliert hat: „Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere; aber wir sehen meist so lange mit Bedauern auf die geschlossene Tür, dass wir die, die sich für uns geöffnet hat, nicht sehen.“

Es gibt sie immer wieder, diese geöffneten Türen, die uns in schwie­ri­gen Situationen neue Kraft geben. Manchmal sind es gerade die kleinen, unscheinbaren Gesten: ein (An-)Lächeln, ein freund­li­ches Wort, eine tröstende Berührung. Ein kleines Zeichen der Anteilnahme, des Zuspruchs. Ein guter, freundschaftlicher Ratschlag. Das Öffnen eines neuen Blickwinkels. Auch hier gibt es unendlich viele Erlebnisse. Sie werden unsere Probleme und Sorgen mit Sicherheit nicht immer lösen (können). Und dennoch sind sie wichtig: Sie sind die kleinen Wunder des Alltags.

Vielleicht sind es diese Gesten, die der evangelische Theologe Johann Albrecht Bengel (1687-1752) im Sinn hatte, als er formulierte „Gott hilft uns nicht immer am Leiden vorbei, aber er hilft uns hindurch“. Auch das steht hinter der Losung für dieses Jahr.

Jeder von uns kann dabei seinen eigenen Beitrag leisten. Einer dieser Helfer Gottes sein. In dem wir auf unsere Mitmenschen achten, indem wir andere nicht abweisen, sondern Türöffner für sie sind. Nicht immer im Großen – das würde uns vermutlich über­for­dern. Aber umso öfter im Kleinen.

So wünsche ich uns allen, dass wir in diesem, neuen Jahr persönlich und als Gesellschaft wieder mehr zueinanderfinden, die kleinen Wunder des Alltags wahrnehmen und Türen öff­nen können.

In diesem Sinne wünsche ich ein frohes, glückliches und vor allem auch gesundes neues Jahr und alles Gute für 2022!

(Motiv: Verlag am Birnbach – Motiv von Stefanie Bahlinger, Mössingen)

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