Die EU-Kommission hat den umstrittenen «ergänzenden delegierten Taxonomie-Rechtsakt» definitiv verabschiedet und stuft damit Investitionen in Atom- und Erdgaskraftwerke für eine Übergangszeit als nachhaltig ein. Die noch verbleibenden rechtlichen Möglichkeiten der Mitgliedsstaaten und des EU-Parlamentes, die EU-Taxonomie zu Fall zu bringen, verlangen qualifizierte Mehrheiten, die kaum zu erreichen sind. Die Wirkung dürfte sich in Grenzen halten. Zudem bleibt die Energiepolitik Sache der Mitgliedsstaaten.
Eigentlich geht es in der EU-Taxonomie ja darum, das weitverbreitete Greenwashing bei nachhaltigen Geldanlagen zu unterbinden, mittels eines Kriterienkatalogs, der klar definiert, was als nachhaltig gilt und was nicht. Das macht Sinn, es verpflichtet die Anlagefonds zur Offenlegung, und es hilft Anlegerinnen und Anlegern, sich im Dschungel der Finanzanlagen besser zurechtzufinden. Der unumstrittene Teil ist bereits am 1. Januar in Kraft getreten. Er definiert sechs Umweltziele der EU, die einzuhalten sind und von denen bei mindestens einem ein «wesentlicher Beitrag» zur Erfüllung nachgewiesen werden muss. Daneben werden drei Kategorien definiert, die den Grad der Nachhaltigkeit angeben. Ökologisch nachhaltige Aktivitäten, Aktivitäten, die einen Beitrag zu Klimazielen ermöglichen und Aktivitäten des Übergangs, die darauf ausgelegt sind, eine nachhaltige Produktion zu erreichen. Für alle gelten die sechs Umweltziele. Von vornherein ausgeschlossen sind deshalb insbesondere Erdöl und Kohle.
Um die dritte Kategorie geht es im jüngsten Entscheid der EU-Kommission. Denn diese hat nun nach längerem Hin und Her, Expertenberichten und viel Lobbyarbeit entschieden, dass Atom- und Erdgaskraftwerke als Übergangstechnologien in die Taxonomie aufgenommen werden. Konkret heisst das, dass sich als nachhaltig bezeichnende Anlagefonds in ihren Broschüren verpflichtet sind, aufzulisten, für welche Kategorien sie das Geld ihrer Kundschaft investieren. Dass sie damit auch Investition in Erdgas und Atomkraft als nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie kennzeichnen dürfen, erstaunt, zumal etwa Chinain seiner Taxonomie Erdgas ausschliesst und Südkorea in seiner Version der Atomkraft das Nachhaltigkeits-Label verweigert hat. Die EU-Kommission hat dabei den ursprünglichen Entwurf nochmals etwas gelockert und ist Deutschland, das auf Erdgas als Übergangstechnologie pocht, weiter entgegengekommen. Strengere CO2-Grenzwerte, die die Beimischung von klimafreundlichem Gas erfordern, sollen statt schon ab 2026 erst ab 2035 gelten. Bis 2030 reicht es schon, wenn sie Kohlekraftwerke ersetzen. Ab 2035 müssen sie dann mit grünem Wasserstoff betrieben werden können. Neue AKW sind bis 2045 zugelassen, sofern bis spätestens 2050 ein konkreter Plan für ein Endlager vorliegt.
Das ist ziemlich starker Tobak. Es ist insbesondere mehr als fraglich, ob Atomkraft und Erdgas die sechs Umweltziele der EU einhalten: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. Und noch fraglicher ist es, ob sie einen «wesentlichen Beitrag» zur Erreichung mindestens eines der Ziele leisten. Die österreichische Regierung hat denn auch angekündigt, vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen, um die Einstufung der Atomenergie als nachhaltig zu verhindern.
Doch mit der Taxonomie ist es so eine Sache. Sie basiert letztlich weniger auf Fakten als auf den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. China etwa setzt kaum auf Erdgas, und in Südkorea ist der Atomausstieg längst beschlossene Sache. In der Europäischen Union gehen die Interessen der Mitgliedsstaaten meilenweit auseinander. So ist es schlicht undenkbar, dass Frankreich auf die Atomkraft verzichten wird, während in Deutschland auch die neue Bundesregierung Erdgas als Übergangstechnologie betrachtet. Für einige nach wie vor stark von der Kohle abhängige osteuropäische Staaten könnte es zum Herkulesakt werden, kurzfristig auf diese ohne Nutzung von Erdgas oder Atomkraft zu verzichten. Sie alle hoffen, mit der Aufnahme in die EU-Taxonomie billiger und ohne schlechtes Gewissen ans grosse Geld privater Investorinnen und Investoren zu kommen. Denn von den vielen Milliarden des «Green Deal» werden sie weder für Atomkraft noch für Erdgas etwas abbekommen. So oder so: Ohne privates Geld wird die europäische Energiewende niemals zu finanzieren sein. Der jüngste Beschluss der EU-Kommission ist deshalb ein klassischer politischer Kompromiss. Und er sollte auch nicht überschätzt werden. Die Energiepolitik bleibt Sache der Mitgliedsstaaten. Und das Anlegen jene der privaten Investoren. Wenn mit Atomkraft, womit allerdings kaum jemand mehr rechnet, sofern es keine Subventionen gibt, Geld zu verdienen ist, wird es sich auch finden. Und Erdgaskraftwerke wären mit ziemlicher Sicherheit auch ohne EU-Taxonomie gebaut worden. Wer indes die vergleichsweise bescheidenen Investitionen in diese Technologien mit jenen in die «neuen erneuerbaren Energien» vergleicht, kommt zwangsläufig zum Schluss: Atomkraft und Erdgas werden mehr und mehr zu Nischenprodukten. Und vielleicht sind sie eines nicht allzufernen Tages, der selbst von der EU-Kommission nun mit einem Datum versehen und herbeigesehnt wird, schlicht überflüssig.