Eine Einschätzung von H. Jürgen Heinbuch
Manchmal muss man sich fragen, was sich Verlage eigentlich so denken. In den patriotischen USA mag ein Titel wie „A promised Land“ sehr gut funktionieren, in Deutschland eher nicht. „Ein verheißenes Land“ klingt nach religiösem Gospel-Geschwurbel oder eben nach der gewohnten USA-Lobpreisung. Tatsächlich aber verbergen sich hinter diesem Titel äußerst interessante Einblicke in das politische System der Vereinigten Staaten.
Barack Obama, 44. Präsident der Vereinigten Staaten, plaudert aus dem Nähkästchen des Weißen Hauses. Auch wenn sicherlich vieles unerwähnt bleibt oder auch bleiben muss, schafft der erste Teil der Memoiren, der vom Beginn seiner Kampagne bis zum Ende der ersten Amtszeit reicht, einen Blick dafür, wie die amerikanische Politik tatsächlich funktioniert. Im Gegensatz zu seinem Nachfolger Donald Trump, skizziert sich Obama nicht als Macher, der alles zu schaffen vermag. Darf ein US-Präsident (an sich) zweifeln, seine Ziele in Frage stellen oder sich gar Vorwürfe machen, wenn etwas nicht so gelaufen ist, wie gewünscht? Obama sagt „Ja“ und stellt sich.
Natürlich ist es eine Verteidigung der eigenen Handlungen und eine teils heftige Kritik am politischen Gegner, aber diese landet niemals unter der Gürtellinie. Wer sich fragt, wie es zur Wahl Donald Trumps kommen konnte, gewinnt hier einen tatsächlichen Einblick in die Mechanismen der amerikanischen Demokratie und auch in die Macht der Medien, die deutlich über das bei uns gewohnte Niveau hinausgeht.
Letztendlich beschreibt Obama im Detail, welche Kompromisse ein Präsident eingehen muss, um seine Ziele zu erreichen, wie erpressbar er ist – auch aus den eigenen Reihen. Es war schon einiges los während seiner ersten Amtszeit: die Subprime-Finanzkrise, Probleme im Irak und in Afghanistan, Griechenland, Bin Laden, Sarah Palin, die Tea Party, die Gesundheitsreform (Obamacare) und die Dreamer-Debatte … um nur einige zu nennen. Man erfährt auch aus erster Hand, was Obama von seinen Kollegen Merkel, Sarkozy und nicht zuletzt von Medwedew und Putin hält.
Wenn man den Titel einfach ausblendet, bietet das doch recht dicke Buch (und das ist nur der erste Teil!) einen hochinteressanten und tiefen Einblick in die Funktionsweise der US-Politik. Nebenbei lässt sich erahnen, warum sein Vize und heute President elect, Joe Biden, so handelt, wie er es bislang schon angedeutet hat. Und natürlich wird auch der kometenhafte Aufstieg Donald Trumps in der Politik beschrieben – und wie dieser sich durch das ständige Wiederholen unwahrer Aussagen zum Geburtsort Barack Obamas („Birtherism“), die von den Medien begierig aufgegriffen wurden, ins Rampenlicht katapultiert hat – und warum er dann vier Jahre später tatsächlich zum Nachfolger Obamas avancierte.