1,5 Milliarden Menschen ächzen im Nordosten Indiens und Pakistans unter Temperaturen, wie sie sonst nur im Hochsommer erreicht werden. Solche Wetterextreme werden zunehmend zur Normalität.

49 Grad Lufttemperatur wurden am 30. April in Jacobabad, einer 200'000 Einwohnerstadt im Süden Pakistans, gemessen –der an diesem Tag höchste registrierte Wert weltweit. Die 49 Grad liegen elf Grad über dem Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990. 1,5 Milliarden Menschen in ganz Pakistan und im Nordwesten Indiens ächzen schon seit Wochen unter einer enormen Hitzewelle mit Temperaturen, wie sie sonst nur im Hochsommer erreicht werden. Es war der heisseste April seit 122 Jahren. Der mit Wasserkraft gewonnene Strom muss rationiert werden, Klimaanlagen und Kühlgeräte sind ausser Betrieb. Im Punjab in Indien war es im März um neun Grad wärmer als normal. Die Hitze in der «Brotprovinz» schädigt auch den Weizen. Es wird mit Ernteausfällen von einer halben Tonne und mehr pro Hektare gerechnet.

Auf dem US-Fernsehsender CNN kommentierte Chandni Singh, Mitglied des Weltklimarats IPCC und Forscher am indischen Institut für menschliche Siedlungen: «Diese Hitzewelle ist beispiellos. Sie ist intensiver, sie kommt früher, und sie dauert länger. Es ist genau das, was die Klimaexperten vorhersagen. Ich rechne mit einer ganzen Kaskade von gesundheitlichen Schäden». Im «Guardian» spricht der pakistanische Klimaminister Sherry Rehmann von einer «existenziellen Krise», die das ganze Land im Mark treffe. «Die Gletscher schmelzen im Rekordtempo, Tausende sind von Erdrutschen bedroht, und die Wasserreservoire trocknen aus, unsere grossen Stauseen sind praktisch leer.» Ihr Appell geht an die Staatengemeinschaft. Diese Wetterextreme würden noch schlimmer werden, «wenn die globalen Führungspersönlichkeiten nicht sofort handeln.» Sie spielt damit vor allem auf weitgehend ausbleibende internationale Hilfen an, um dem stark von der Kohle abhängigen Land auf die Sprünge zur Klimaneutralität zu helfen. Auch Indien ist meilenweit davon entfernt. Das bevölkerungsmässig zweitgrösste Land der Welt wird, wenn nichts geschieht, in den kommenden Jahrzehnten zum führenden CO2-Emittenten aufsteigen. Der März war weltweit zu warm. Keine einzige Messstation verzeichnete Temperaturen unter dem Durchschnitt der vergangenen Jahrzehnte. Das galt auch für den Januar. Auch das ist die neue Normalität. Die ersten drei Monate des Jahres 2022 liegen, obwohl dank der kalten Meeresströmung La Niña eher mit einer leichten Abkühlung zu rechnen wäre, an fünfter Stelle der Messreihen.

Mehr als nur aussergewöhnlich warm war es auch an den beiden Polkappen. Im März lagen die Durchschnittstemperaturen in der Arktis um bis zu 22 Grad über dem Durchschnitt der Jahre 1951 – 1980, während in der Antarktis am «Dome C» am 22. März zu Winterbeginn mit minus zehn Grad die wärmste je gemessene Temperatur aufgezeichnet wurde. Im Durchschnitt der vergangenen 30 Jahre wären minus 48,5 Grad zu erwarten gewesen. Auch die Eisdecke war dünner denn je, im Osten der Antarktis brach ein Eisberg von der Grösse New York City’s weg.