60 Prozent des Zements weltweit werden in China hergestellt. Das hinterlässt, weil Kohle dazu verbrannt wird, einen gewaltigen CO2-Fussabdruck. Wie es gelingen soll, bis 2060 eine emissionsfreie Produktion zu schaffen, steht in den Sternen.
200 bis 450 Kilogramm Kohle müssen verfeuert werden, um eine Tonne Zement und Klinker, dem Treibstoff der Bauindustrie, zu produzieren. Mindestens 600 Kilogramm CO2 werden dabei freigesetzt. Damit fährt ein Auto mit Benzin bei einem Verbrauch von 6 Litern auf hundert Kilometer eine Strecke von rund 4'000 Kilometern. Der CO2-Fussabdruck der Zementindustrie ist gigantisch: acht Prozent der globalen CO2-Emissionen. Das ist mehr als das Doppelte der Luftfahrt oder des Schiffsverkehrs. Und weil China einen Weltmarktanteil von 60 Prozent an der Zementproduktion hält, hat die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt ein grosses Problem. 1,23 Milliarden Tonnen, das sind 14 Prozent der chinesischen CO2-Emissionen, gehen auf die Zement-Herstellung zurück - mehr als ganz Japan an Kohlendioxid produziert.
Das lässt erahnen, vor welch gigantischer Aufgabe dieser Industriezweig steht, wenn er Schritt halten will mit dem von Präsident Xi Jinping vorgegeben «Double Carbon» - Ziel: Höhepunkt der CO2-Emissionen 2030, Null-Emissionen 2060. Aktuell plagen die Industrie ganz andere Sorgen: explodierende Kohlepreise, die sich binnen eines Jahres nahezu verdoppelt haben, und die Covid 19 – bedingten Lockdowns, die zu einem Nachfrageeinbruch geführt haben. Das nagt an den Gewinnen. Und die würden dringend benötigt, um den verlangten Selbstreinigungsprozess in Gang zu bringen. Zudem wird die Zementindustrie in diesem Jahr in das nationale chinesische Emissionshandelsystem integriert, was zu weiteren Kosten führt. Möglich sei es, meinen die Autoren einer Studie im Online-Wissenschaftsmagazin ScienceDirect. Dazu brauche es aber deutlich ambitionierte Umstiegs-Szenarien, namentlich mit Investitionen in Solarenergie für eine elektrizitätsbasierte Produktion und dem Aufbau einer Kreislaufwirtschaft. Mit letzterer liessen sich die schnellsten Resultate erzielen. Ein Drittel weniger CO2-Emissionen seien möglich. Die Kosten beziffern die Studienautoren mit 40 bis 50 Milliarden Euro. Es liege an der Politik, für die entsprechenden Rahmenbedingungen zu sorgen.
Doch dort bestehen einige begründete Zweifel, wie ernst es dem allmächtigen Präsidenten Xi Jianping damit ist. Zwar feiert China sich in der staatsnahen «Global Times» gerade selbst mit einer gewaltigen Effizienzsteigerung der Wirtschaftsleistung. Die CO2-Emissionen pro Dollar des Bruttoinlandprodukts seien im vergangenen Jahrzehnt um 34 Prozent gesunken. «Es war eine Dekade mit einem soliden Fortschritt hin zu einer grünen Entwicklung mit weniger mit Schadstoffen angereicherten Tagen und weniger schwarzem und unsauberem Wasser, mehr blauem Himmel, weissen Wolken, klarem Wasser und grünen Bergen», übte sich Han Wenxiu, Mitglied des Büros für finanzielle und ökonomische Fragen im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas, in schönen Worten. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesamten CO2-Emissionen Chinas um ein Viertel zugelegt haben. Das Bruttoinlandprodukt nahm im selben Zeitraum um das Zweeinhalbfache zu, der Anteil an den weltweiten Exporten von elf auf fünfzehn Prozent. Damit ist zumindest die Entkoppelung des wirtschaftlichen Wachstums und der CO2-Emission beeindruckend gelungen. 18 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung erbringe China heute, das Bruttoinlandprodukt liege mit 12'500 US-Dollar pro Kopf an der Schwelle zu den «Hochlohnländern».
Damit ist die Wirtschaftsmacht China aber auch mit Abstand zum grössten CO2-Emittenten der Welt geworden, trotz gewaltiger Investitionen in erneuerbare Energien, die China ebenso an die Spitze bei Wind- und Solarkraftnutzung oder bei verkauften Elektrofahrzeugen gebracht haben. Doch auch die Parteispitzen bestreiten nicht, dass das nicht mehr als der Anfang sein kann. Präsident Xi Jinping hatte die Weltöffentlichkeit 2020 an der UNO-Generalversammlung mit seiner Ankündigung, 2030 den Höhepunkt der CO2-Emissionen zu erreichen und nur 30 Jahre später CO2-neutral zu werden, überrascht. Doch die Taten, die diesen grossen Worten folgen, sind bisher völlig unzureichend. Der ThinkTank «climateactiontracker.org», der die Klimapolitik einer ganzen Reihe von Ländern kritisch begleitet, erteilt für China mit «Highly insufficient» die zweitschlechteste Note auf der fünfstufigen Skala. So tue das Land insbesondere zuwenig, um für eine gerechte Verteilung der weltweit noch zur Verfügung stehenden Klimagasemissionen zu sorgen. Aber auch die nationale Politik erhält ein «unzureichend», denn damit liesse der Temperaturanstieg noch nicht einmal auf drei Grad begrenzen. Zudem beschränke sich China bei den Klimagasen auf CO2 und habe keinerlei Pläne, auch andere klimaschädliche Gase, etwa Methan, zu reduzieren. Das könne alleine einen weltweiten Temperaturanstieg um 0,1 Grad verursachen.
Wie gewaltig die klimapolitische Herausforderung für China ist, zeigt der Blick auf die Zementindustrie. Die grössten Produzenten haben angekündigt, schon bis 2025 den «Peak» bei den CO2-Emissionen zu erreichen. Doch das mutet geradezu schönfärberisch an. Denn es mangelt schlicht am technologischen Fortschritt, der eine CO2-freie Zementproduktion möglich macht. Nicht nur in China. So ist etwa in Deutschland erst ein Pilotprojektangelaufen, das die industrielle Machbarkeit von solarthermischen Kraft mit einer CO2-Abscheidung prüft. Andere Projekte laufen in Spanien, Frankreich und den Vereinigten Staaten. Die grosse technische Herausforderung besteht darin, Betriebstemperaturen bis zu 1'500 Grad zu erreichen, was in Spanienin einem Pilotprojekt schon gelungen ist. Von einer grossindustriellen Anwendung ist man aber noch weit entfernt. Conch Cement, einer der grössten Zementproduzenten Chinas, hat derweil den Bau von Photovoltaikanlagen mit einer Kapazität von einem Gigawatt angekündigt, mit dem allerdings nicht näher konkretisierten Ziel, ab 2030 die CO2-Emissionen bis 2060 auf Null zu senken.