Bis 2030 wollen die USA nur noch halb soviel CO2-emittieren wie 2005. Das ist überaus ambitioniert, aber machbar, sagt eine Forschergruppe auf Basis von sechs unterschiedlichen Modellierungen. Den Schlüssel hält die Politik in der Hand. Es muss gehandelt werden. Jetzt. Es sieht nicht danach aus.

Photovoltaik-Anlage auf dem Weinberg von Cooper Vineyards in Virginia. Der Betrieb wurde für die Bemühungen um CO2-Neutralität vom Landwirtschaftsministerium ausgezeichnet. ( BIld: US Department of Agriculture"

Vor 60 Jahren emittierten die Vereinigten Staaten rund drei Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre. Das Land zählte damals 180 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. 2005 waren es mit 6,13 Milliarden Tonnen etwas mehr als doppelt soviel, die Bevölkerungszahl hatte sich auf 295 Millionen erhöht. Bis 2019 sank der Ausstoss auf 5,26 Milliarden Tonnen, bei einer um knapp 35 Millionen gestiegenen Einwohnerschaft. Vor allem die Erschliessung neuer Erdgasquellen hatte diesen Rückgang ermöglicht, an dem selbst die Trump-Administration mit ihrem Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und der weitgehenden Aufgabe jeglicher Umweltpolitik nichts ändern konnte. Die erneuerbaren Energien legten in den Trump-Jahren um rund die Hälfte zu. Doch mit einem Anteil von knapp zehn Prozent an der gesamten Energieproduktion sind die Vereinigten Staaten Lichtjahre vom Ziel der Pariser Klimakonferenz entfernt, zu dem sie sich mit Präsident Joe Biden neuerdings wieder bekennen: die Klimaerwärmung bis 2050 auf 1,5 Grad, notfalls zwei Grad zu begrenzen und die CO2-Emissionen auf Null zu senken.

Als Zwischenziel hat Biden bei seinem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren eine Halbierung des CO2-Ausstoss bis 2030 ausgegeben, verglichen mit dem Referenzjahr 2005, als die höchsten Emissionen der Geschichte gemessen worden waren. Dann wäre das Land etwa auf dem Stand der frühen 1960er-Jahre, mit einer nahezu doppelt so grossen Bevölkerungszahl. Das lässt erahnen, wie ambitioniert alleine dieses Ziel ist. Denn tatsächlich müssen die USA ihren CO2-Ausstoss noch um mehr als zwei Milliarden Tonnen herunterbringen. Das entspricht knapp sieben Tonnen pro Kopf der Bevölkerung oder mehr als fünf Retour-Flügen von New York nach Los Angeles.

CO2-Emissionen der USA seit 1962. Bis 2030 will US-Präsident Joe Biden wieder das Niveau von 1962 erreichen - bei doppelter Bevölkerungszahl.

Was utopisch klingen mag, ist machbar, sagen die Autorinnen und Autoren einer Studie, die im Magazin «Science»veröffentlicht worden ist. Niki Abhyankar, einer der Autoren, der sich mit Elektrizitätsmärken und Politik beschäftigt, gibt den Fahrplan vor: Eine jährliche Verdoppelung der Kapazitäten auf allen Spielfeldern erneuerbarerer Energien und der Umstieg auf Elektrofahrzeuge. Diese Empfehlung basiert auf den Erkenntnissen sechs verschiedener Modellberechnungen, aus denen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den gemeinsamen Nenner herausfilterten. Danach geht es um fünf wesentliche Punkte:

Stromproduktion und Verkehr sind hauptverantwortlich für die Treibhausgasemissionen. Wenn es gelingt, 80 Prozent der Elektrizität erneuerbar zu produzieren (von heute 40 Prozent inklusive Atomenergie) und die Mehrheit der Autos bis 2030 mit Elektromotoren zu produzieren, ist schon sehr viel erreicht.

Das grösste Hindernis beim Aufbau erneuerbarer Elektrizitätsproduktion sind nicht die Kosten, sondern es ist die Politik. Es braucht eine zwischen Bundesstaaten und Bund koordinierte Politik.

Erneuerbarer Strom ist nicht teurer als fossiler, und mit Elektroautos lassen sich pro Haushalt bis zu 1000 Dollar pro Jahr einsparen.

Saubere Energien sorgen für saubere Luft. Bis zu 200'000 frühzeitige Todesfälle lassen sich vermeiden, bis 2050 können bis zu 800 Milliarden Dollar an Umwelt- und Gesundheitskosten vermieden werden.

«Wenn wir die politischen Weichen in diese Richtung stellen, werden wir weniger CO2-Emissionen haben, während Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner viel Geld sparen und viele neue Jobs geschaffen werden», sagt Abhyankar. Das mag wie der Werbespruch eines Solar- oder Windenergieunternehmers klingen. Doch zugleich weist der Wissenschaftler darauf hin, dass insbesondere Gas-, Kohle und Atomkraftwerke wichtig seien, um den Übergang zu moderieren. Sie kämen immer dann zum Einsatz, wenn der erneuerbare Strom knapp ist. «Mit der richtigen Politik können wir die Investoren bei Stange halten, um in dieser Phase am Ball zu bleiben und damit diese ihr Geld nicht einfach abschreiben zu müssen. Gleichzeitig setzt das die Mittel frei für die Investitionen in erneuerbare Kraftwerke.»

Doch wo steht Joe Biden heute mit seinen Klimazielen? Auf dem Gesetzesweg ist er keinen Schritt weitergekommen. Ein Investitionspaket von 555 Milliarden US-Dollar für saubere Energien hängt nach wie an der fehlenden Stimme des demokratischen Senators Joe Manchin aus West-Virginia, einem Kohlestaat, fest. In der kleinen Kammer des US-Parlaments halten Demokraten und Republikaner derzeit je 50 Sitze, Vize-Präsidentin Kemala Harris fällt den Stichentscheid. Doch ohne Manchin fehlt dazu die entscheidende Stimme. Immerhin soll dieser laut Washington Post inzwischen Gesprächsbereitschaftsignalisiert haben. Danach laudwn hinter den Kulissen Gespräche mit republikanischen Senatoren, die im Rahmen der Inflationsbekämpfung ein Gesetzespaket ausarbeiten, das auch Investitionen in erneuerbare Energien und den Klimaschutz beeinhaltet. Es sei ausgesprochen schwierig, einen Konsens zu finden.

So muss sich Joe Biden mit sogenannten Executive Orders behelfen, das sind präsidiale Anordnungen, die annähernd Gesetzeskraft entfalten, die aber auch auf die Amtszeit des Staatsoberhauptes beschränkt sind. Mit einem Federstrich des Nachfolgers oder der Nachfolgerin sind diese vom Tisch. In den vergangenen Jahren sind diese Dekrete mangels ausreichender parlamentarischer Mehrheiten (im Senat sind für Gesetze 60 der 100 Stimmen erforderlich) zum schon fast einzigen Mittel geworden, um die Politik zu gestalten. Joe Biden hat alleine im ersten Jahr seiner Amtszeit deren 67 erlassen – die höchste Zahl seit 1980.

In der Klimapolitik hat er nun den «Defense Production Act» bemüht, ein Gesetz aus dem Jahr 1950, als mitten im Kalten Krieg staatliche Eingriffe in die Wirtschaft erlaubt worden waren, um die Verteidigungsbereitschaft des Landes zu erhöhen. Schon sein Vorgänger Donald Trump hatte das Gesetz bemüht, um die Finanzierung von Impfstoffen gegen Covid 19 zu sichern. Nun hat Biden verfügt, dass für fünf Jahre Investitionen in klimarelevante Technologien aus den Mitteln des Energieministeriums subventioniert werden sollen, sofern sie im Inland hergestellt werden. In den USA mangelt es etwa an Wärmepumpen und Solarzellen, die importiert werden müssen. Dazu musste Biden den nationalen Notstand bemühen, den er nun im Namen der Klimaerwärmung ausgerufen hat.

Es ist mehr als nur zweifelhaft, dass diese Massnahmen ausreichen werden, um das Klimaziel für 2030 zu erreichen. Und im November, wenn das Repräsentantenhaus komplett neu gewählt und ein Drittel der Senatssitze zur Wahl stehen, sieht es ganz danach aus, dass die Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern erringen werden. Dann wird Joe Biden endgültig zur «lame duck», zur lahmen Ente, die ganz auf Executive Orders angewiesen ist, um noch etwas zu bewegen. Das Halbierungsziel könnte dann in noch weitere Ferne rücken. Die Denkfabrik «Carbon Action Tracker» differenziert Wunsch, wie sie Joe Biden personifiziert und Wirklichkeit, wie sie in den Parlamentskammern zelebriert wird, mit zwei Noten: «Fast ausreichend» für die Klimaziele, «ungenügend» für die Klimapolitik.