Letzte Woche hob die Polizei in einer gewaltigen Aktion in Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden ein rechtsterroristisches Netzwerk aus, das Anschläge auf die Versorgungsinfrastruktur und einen bewaffneten Sturm auf den Reichstag zur Errichtung einer Monarchie plante. Diese Woche führte die Polizei Hausdurchsuchungen bei einigen Aktivist*innen der "Letzten Generation" durch, während die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung" aufnahm. Die beiden Ereignisse scheinen auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun zu haben, haben aber mehr Klammerungen und Gemeinsamkeiten, als man auf den ersten Blick meinen könnte.
Aber schauen wir zuerst auf die sogenannten "Reichsbürger", die ich in diesem Artikel als synonym mit dem Umsturzversuch betrachten will. Einer der ersten Umstände, auf den Beobachtende aufmerksam machten, war die soziale Zusammensetzung dieser Gruppe. Beispielhaft für solche Betrachtungen sei hier der ZEIT-Artikel "Der Prinz, die Richterin und ein geplatzter Staatsstreich" zitiert:
Dem Netzwerk sollen 52 Beschuldigte angehören, 25 Personen wurden festgenommen. Es handelt sich um eines der größten Terrorverfahren seit vielen Jahren. Es unterscheidet sich von ähnlichen Fällen nicht nur durch die Dimension und weitverzweigte Struktur mit diversen Untergruppen, sondern auch durch die Zusammensetzung der Beschuldigten: Zu den Verschwörern sollen mit Heinrich XIII. auch ein Prinz eines alteingesessenen deutschen Adelsgeschlechts sowie die frühere Bundestagsabgeordnete der AfD, Birgit Malsack-Winkemann, zählen, dazu ein ehemaliger Kommandeur einer Spezialeinheit der Bundeswehr. Zudem prüfen die Sicherheitsbehörden Verbindungen nach Russland. [...] In Sicherheitskreisen gilt die Mischung aus Adligen, einer AfD-Politikerin und ehemaligen und einem noch aktiven Soldaten als hochexplosiv. Das mutmaßliche Verschwörernetzwerk sei die "gefährlichste Form der Reichsbürger-Bewegung, die wir uns überhaupt vorstellen konnten", gab ein Beamter bekannt – jenes Milieus also, das die Bundesrepublik Deutschland in ihrer jetzigen Form ablehnt und sich das Deutsche Reich zurückwünscht. Es handele sich um eine "aufrührerische Dimension ungekannten Ausmaßes". (Christian Fuchs/Astrid Geisler/Holger Stark, ZEIT)
Das ist nicht eben der Straßenabschaum, der sich in Springerstiefeln in Thüringer Landkneipen trifft und Neonazisongs grölt. Das ist die viel zitierte "Mitte der Gesellschaft", wenngleich die konkreten Personen äußerst randständige Thesen vertreten. Aber Bundeswehroffiziere, AfD-Abgeordnete, Richterinnen und anderen mindestens der gehobenen Mittelschicht angehörenden Personen bringen die Frage auf, warum so viele Leute, denen die Bundesrepublik ja offensichtlich ein ordentliches bis gutes Auskommen gibt, den Staat dermaßen hassen, dass sie auf Terrorismus zurückgreifen, und wie es passieren konnte, dass diese Leute nicht viel früher aufgefallen und gestoppt worden sind - gestoppt hier auch in dem Sinne, dass jemand ihre Radikalisierung zu konterkarieren versucht.
Die Gefahr dieser Leute besteht glücklicherweise nicht darin, dass sie die Demokratie ernsthaft gefähren konnten. Anders als in den USA gibt es keine institutionellen Netzwerke, auf die sie sich selbst im größten Erfolgsfalle hätten verlassen können. Erwartet ernsthaft jemand, dass diese Typen, selbst wenn ihnen der Sturm auf den Reichstag gelungen wäre, dann Rückhalt durch die Verwaltung bekommen hätten? Dass die Polizei sich auf ihre Seite gestellt, dass die Bundeswehr sich ihrem Kommando unterstellt und begonnen hätte, die Leute auf ihrer Feindesliste zu verhaften? Nein, die Mitte hält. Wesentlich wahrscheinlicher ist dasselbe Resultat wie beim Kappputsch 1920, der durch die Verweigerung praktisch sämtlicher staatlicher Institutionen kläglich zusammenbrach.
Nein, die Gefahr dieser Menschen besteht in dem realen Schaden, den sie hätten anrichten können. Darin ähneln sie der RAF. Auch die hatte nie eine Chance, die Demokratie zu zerstören. Aber wer zufällig in ihren Pfad gelangte, konnte Leib und Leben verlieren, ob Proletarier oder Bourgeois. Es handelt sich um Terroristen, und als solche hätten sie getötet. Ihre Anschläge auf die Versorgung, die die Bevölkerung in Unruhe versetzen und zur Revolution bringen sollten (was für eine lachhafte Vorstellung!), hätten Leben gekostet und gewaltige wirtschaftliche Schäden verursacht. Ihr Sturm auf den Reichstag hätte Tote gebracht, und mit Sicherheit hätten politische Gegner ermordet, wo sie ihrer habhaft wurden.
Die "Reichsbürger" sind daher ein Fall für die Sicherheitsbehörden, und die haben sie auch ordentlich ausgehoben - wenngleich die Sympathien für die Rechte schon wieder dazu geführt haben, dass die Leute vorher gewarnt wurden. Aber insgesamt kann kein Zweifel sowohl an der Effektivität der Sicherheitsapparate als auch an ihrer Verfassungstreue beschwören. Wenn ein einzelnes Leak das schlimmste ist, was passiert, so schreibe ich das als Reibungsverlust ab. Bei über 3000 direkt beteiligten Beamt*innen ist es eher ein Wunder, dass das nicht vorher rauskam.
Etwas merkwürdiger, wenngleich nicht unbedingt unerwartet, ist die "Phalanx der Verharmloser", die sich im rechtsdemokratischen Spektrum (vor allem bei der Welt) sofort formierte. So geben die üblichen Verdächtigen auch schon wieder den Blödsinn von den "besorgten Bürgern" von sich, die auf ihre Benachteiligung und Marginalisierung reagierten und die bereits bei Trumps Wahl 2016 Unfug war. Ulf Poschardts Trolling wird wenigstens durch eine klare Stellungnahme ausgeglichen, die aber gleichwohl keine zwei Sätze weit kommt, ohne "aber die Linken!" zu rufen. Anna Schneiders Haltung kann niemanden überraschen, der sie kennt. Völlig unverständlich aber ist das merkwürdige Schweigen der CDU. Drei Tage lang herrschte völlige Funkstille aus der Partei.
Dabei stand Friedrich Merz selbst auf der Todesliste der Partei! Als er sich endlich meldete, schaffte auch er es nicht, ohne das Aufbauen einer Äquivalenz nach "links" (was ohnehin Unfug ist, weil die "Letzte Generation", auf die er abzielt, mit der radikalen Linken nur teilweise deckungsgleich ist) die "Reichsbürger" zu verurteilen. Ich verstehe schlicht nicht, warum. Ein so generisches Statement hätte auch innerhalb einer halben Stunde nach der Aufdeckung veröffentlicht werden können. Schon allein, weil an der Ablehnung dieser Terroristen durch die CDU eigentlich kein Zweifel bestehen kann.
Stattdessen haben wir ganz viele Warnungen vor falscher Hysterie angesichts der Bedrohung durch die "Reichsbürger". Der Verschwörung der "Reichsbürger" und den mit ihnen assoziierten Leuten haftet natürlich eine gewisse Absurdität an. Die Vorstellung, dass 100 teilweise dem Rentenalter bedenklich nahe Leute den Reichstag stürmen und dann eine Monarchie etablieren könnten, ist so abwegig, dass man sich fragt, wie je jemand sich hinter eine solche Unternehmung stellen konnte. Letztlich handelt es sich, wie gesagt, um Kriminelle. Eine Gefahr, sicherlich, aber ein Fall, der die Sicherheitsbehörden beschäftigen muss und nicht eine Sorge um den Erhalt der Demokratie auslösen.
Leider ist dieses Maß besonders im linken Spektrum oft nicht vorhanden. Was ich in den letzten Tagen an dummen Takes lesen musste, von Unterstellungen an die CDU zu Sympathie gegenüber den Terroristen hin zu Vorstellungen über einen drohenden Putsch oder die Machtübernahme rechter Kräfte, geht auf keine Kuhhaut. Insofern ist der Vorwurf der Hysterie, wie ihn etwa Schneider, Poschardt oder viele andere formulieren, völlig gerechtfertigt.
Und mit Hysterie kennen sie sich ja aus. Denn die letzten Wochen haben sie Bedrohung durch den Klimaaktivismus der "Letzten Generation" (den ich, das sei noch einmal betont, nicht sonderlich gut finde) in den schlimmsten Farben gemalt. Den Vogel schoss hier sicherlich der Nazi-Vergleich von Hugo Müller-Vogg ab. Eingetroffen ist davon auch praktisch nichts. Die Vorwürfe von Toten durch Behinderungen von Rettungen ließen sich nicht belegen, ebensowenig die von irgendwelchen anderen entsprechenden Maßnahmen. Dass Verspätungen durch Blockaden ärgerlich sind ist klar, aber die paar Hansel blockieren einen so minimalen Verkehrsbestandteil in Deutschland, dass das ein Rundungsfehler ist und gegenüber dem Recht auf Protest kaum ins Gewicht fällt - und strafrechtlich, wo relevant, ohnehin geahndet wird, denn wenn Klimakleber etwas nicht können, dann, sich dem Zugriff der Staatsmacht zu entziehen.
Und dass das Lahmlegen von Infrastruktur durch Zudrehen von Pipelines (was der Grund für den Vorwurf der "kriminellen Vereinigung" ist, nicht das Straßenkleben oder Suppewerfen), kommt in diesem Kommentar der Tagesthemen sehr gut zum Ausdruck (der übrigens auch als Beispiel für diejenigen, die immer über die "grünen" ÖRR schimpfen, taugen darf):
"Radikale Klimaaktivisten wie die #LetzteGeneration stehen nicht über dem Gesetz" - Was die Razzien gegen Klimaaktivisten bedeuten, dazu die Meinung von @O_Sundermeyer. (red) pic.twitter.com/B8EvQTaVvJ
— tagesthemen (@tagesthemen) December 13, 2022
Genauso wie ich die Methoden der "Letzten Generation" eher kontraproduktiv und überzogen finde, so sehr finde ich allerdings auch die Staatsanwaltschaft über das Ziel hinausschießend. Strafrechtlich ist an den Vorwürfen sicherlich etwas drin (wenngleich noch völlig unklar ist, ob sie vor Gericht Bestand haben werden), aber ob man deswegen ein dermaßen großes Rad drehen muss? Dadurch fördert man letztlich nur einen Märtyrermythos. Und genau diesen konnte ich in den letzten Tagen in meiner Timeline leider zur Genüge beobachten.
Tonnenweise linke Accounts machten Vergleiche zu "Berufsverboten" (einer ähnlich grotesken Überreaktion aus den 1970er Jahren, die besonders die SPD heute gerne vergessen würde), befürchten "mundtot" gemacht zu werden (angesichts der massiven Medienberichterstattung auch kaum weniger unpassend wie die angeblichen Cancellungen allerorten) und sehen generell einen diktatorischen Staat zuschlagen, als würden wir die Debatten von 1968 wiederbeleben. Einmal als Tragödie, einmal als Farce, das trifft wohl auch hier zu.
Letztlich ist die Reaktion in beiden Fällen überzogen. Sie eignen sich wenig zur Verallgemeinerung. Die "Reichsbürger" sind eine extremistische, terroristische Vereinigung. Ihre Mitgliederzahl dürfte nur mit Mühe den vierstelligen Bereich erreichen. Sie sind ein Problem für die Sicherheitsbehörden, schon allein, weil ihnen, anders als den Rechtspopulisten, jede Massenbasis fehlt. Die "Letzte Generation" dürfte sogar Probleme haben, auf eine dreistellige Mitgliederzahl zu kommen, und ist genauso unrepräsentativ. Sie ist nicht terroristisch, aber #FFF und andere dürften gut daran tun, einen gewissen Hygieneabstand einzuhalten. Die "Letzte Generation" begeht unbestreitbar Straftaten, und diese müssen in einem Rechtsstaat verfolgt und geahndet werden. Man kann sich natürlich trotzdem sympathisieren, wenn man das will, aber man sollte sich dann nicht wundern, wenn man sich in eine unangnehme Ecke gestellt sieht.
Die Debatte bleibt dadurch vor allem Identitätspolitik. Ob Journalist*innen bei der Welt oder Politiker*innen bei der CDU, die "Letzte Generation" eignet sich hervorragend für moralistische Überlegenheit, Warnen vor Chaos und Forderungen nach den harschesten Strafmaßnahmen. Währenddessen fühlen sich zig linkstickende Menschen in ihren Warnungen vor den Rechtspopulismus bestätigt, als ob der Sturm des Reichstags und das Wählen der AfD irgendwie dasselbe wären. Umgekehrt eignet sich die "Letzte Generation" für alle Sorten von Aktivist*innen, in düsteren Tönen vor Polizeirepression zu warnen, als ob das Verprügeln von friedlich Demonstrierenden dasselbe wäre wie eine Hausdurchsuchung wegen realen Straftaten, und fühlen sich diverse rechte Kommentator*innen gecancelt, weil allerorten festgestellt wird, dass Rechtsterrorismus schon irgendwie blöd ist. Letztlich werden die Debattenbeiträge nach Schema F und automatisiert abgespult. Das ist ungeheur ermüdend. Das ist nervig. Das kann echt weg.
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