In der Historie war es üblich, dass Herrscher mit Beinamen versehen worden sind. Das mag der Übersichtlichkeit gedient haben und geholfen haben, dass man Herrscher mit häufiger vor­­­­kommenden Namen nicht so leicht verwechselt. Manche dieser Namen waren dabei nicht so­n­­derlich vorteilhaft. In diesem Zusammenhang fallen Namen wie Albrecht der Entartete, Frie­­drich der Fette, Rudolf der Stammler oder Fruela der Aussätzige. Und nun also Olaf der Zau­­derer?

Dieser Eindruck könnte entstehen, wenn man die mediale Berichterstattung über die Ent­schei­dung zur Lieferung von Kampfpanzern des Typs Leopard 2 A6 an die Ukraine verfolgt hat. Da titelte n-tv „Scholz verteidigt Zaudern bei Panzer-Lieferung“, der FOCUS „Der Ab-Kanzler: Scholz´ Zaudern und Schweigen muss [sic!] ein Ende haben“. Der Tagesspiegel attestierte „Ärger über mangelnde Führung“ und titelte „Olaf Scholz´ Zaudern bei schweren Waffen ist kaum nachvollziehbar“. ZEIT online veröffentlichte gar eine „Chronik des Zauderns“. Selbst in der Ampel-Koalition wurde der Kanzler von den Grünen und der FDP angegriffen. „Keine Zeit zu Zaudern: Grüne und FDP attackieren Olaf Scholz“, berichtete web.de. Die Wirtschafts­woche kam in einem ihrer Titel zu dem Ergebnis: „Mit seinem Zaudern hat Scholz Deutschlands Rolle in der EU geschwächt“. Alle scheinen sich einig. Also, Olaf der Zauderer. Punkt.

Der Kanzler wurde zum Getriebenen – von den Medien, von den Grünen, welche noch im Bun­destagswahlkampf plakatierten „Keine Waffenlieferungen in Krisengebiete“, und vom personifizierten Rüstungslobbyismus – besser bekannt als Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Letz­tere ist gleich in mehreren Lobbyverbänden der Rüstungsindustrie Mitglied, u.a. im För­der­kreis Deutsches Heer e.V. und in der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik. Getrieben aber scheinbar auch von Bündnispartnern. Erst der Vorstoß von Macron Schützenpanzer zu liefern und immer wieder Kritik aus Polen und von anderen, man sei in seinem Engagement zu zögerlich. Nicht zuletzt wurde und wird der Westen mit immer neuen Forderungen der Ukrai­ne nach immer mehr und immer schwereren Waffen konfrontiert.

Das hinterlässt Spuren. Kein Wunder, dass auch die Öffentlichkeit den Kanzler zunehmend als führungsschwach und zögerlich empfunden hat bzw. empfindet. Nun ist die Entscheidung gefallen: Deutsch­land liefert Leopard 2-Panzer, stimmt Lieferungen aus anderen Nationen zu. Und es sollen zusätzlich noch Panzer vom Typ Leopard 1 an die Ukraine gehen. Haupttenor in den Medien: Richtig. Aber zu spät. Zu zögerlich.

Prompt kommen neue Forderungen aus der Ukraine: Nun sollen es Kampfflugzeuge und U-Boote werden. Polen hat sich bereits für die Stellung von Kampfjets ausgesprochen. Der Kanzler meinte, das sei eine rote Linie. Das waren Kampfpanzer lange Zeit auch. Die nächsten Diskussionen sind da schon vorpro­gram­miert. Ich sehe schon die Schlagzeile: „Zaudert Scholz erneut?“. Dass die Ukraine alles militärische Material fordert, dessen sie habhaft werden kann, ist aus ihrer Sicht richtig und mehr als nachvollziehbar.

Aber Olaf Scholz ist nicht Verteidigungsminister der Ukraine, er ist deutscher Bundeskanzler. Er hat den in Art. 56 GG formulierten Eid geleistet und geschworen, dass er seine „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren“ und „Schaden von ihm wen­den“ werde. Dazu gehört immer auch eine Risikoabwägung. Die Bundesregierung hat der Ukraine größtmögliche Unterstützung zugesichert und gleichzeitig betont, dass Deutschland nicht Kriegs­partei werden dürfe. Dies ist eine Gratwanderung – unter sich ständig ändernden Rah­men­bedingungen. Dass Scholz ein Kanzler ist, der nicht jede seiner Überlegungen öffentlich preisgibt, halte ich für richtig. Dass er vielleicht nicht ausreichend kommuniziert, mag man kritisieren. Aber man darf dies nicht mit Untätigkeit verwechseln.

Deutschland ist nach den USA und Großbritannien der drittstärkste Unterstützer der Ukraine, finanziell, wie militärisch. Im Bereich der humanitären Hilfe steht Deutschland auf Platz 2 nach den Vereinigten Staaten. Und nach Polen hat Deutschland die meisten Geflüchteten aus der Ukraine aufgenommen. Unser Land leistet seinen Beitrag. Und das ist richtig!

Dabei darf man jedoch nicht übersehen, dass auch unsere Bevölkerung in der Frage der Pan­zer­­lie­ferung gespalten ist. Zwar haben zuletzt in einer Umfrage für den SPIEGEL 54 Prozent einer Lieferung (eher) zugestimmt, aber gleichzeitig hielten sie knapp 40 Prozent für eher bzw. eindeutig falsch. Allgemein werden die Gräben zwischen „Kriegstreibern“ und „Putin-Verste­hern“ tiefer, die Töne rauer. Auch hier muss Scholz als Kanzler abwägen, ausgleichen, die Ge­sell­schaft zusammenhalten. Gleiches gilt bei der Frage, wie die Aufnahme der Geflüchteten erfolgen kann, ohne die Gesellschaft zu überfordern und wie die ökonomischen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine, allem voran die gestiegenen Energiepreise und die darauf­fol­gende Inflation, abgemildert werden können.

Dass sich Scholz mit den Verbündeten abstimmt und zuletzt darauf bestanden hat, dass auch die USA Kampfpanzer liefern, finde ich persönlich richtig. Auch wenn das zunächst Zeit gekostet hat. Die Lieferung von Kampfpanzern war und ist eine neue Kate­go­rie, eine neue Stufe auf der Eskalationsstufe zwischen dem Aggressor Putin auf der einen und der Ukraine und ihren Verbündeten auf der anderen Seite. Die Risiko­streu­ung ist hier wichtig. Noch wichtiger ist das damit verbundene Signal an Russland: Das Bündnis der ukrainischen Unterstützer steht – auch nach fast einem Jahr der sog. „militärischen Sonder­operation“.

Vor diesem Hintergrund halte ich die Kritik der eingangs Zitierten für eine gefährliche, fast schon kriegslüsterne Hysterie. Diese gipfelte meiner Wahrnehmung nach in einem bei t-online am 21.01.2023 im „Tagesanbruch“ veröffentlichten Artikel unter der Überschrift „Volle deutsche Feuerkraft gegen die Russen“. Das ist Wasser auf Putins Mühlen und erinnert mich auf erschreckende Weise an die berühmte Propagandapostkarte Adolf Hoffmanns aus dem ersten Weltkrieg: „Jeder Schuss ein Russ – Jeder Stoß ein Franzos“.

Wohin diese Kriegsbegeisterung geführt hat, haben unsere Vorfahren leidvoll erleben müs­sen. Damals waren es unsere eigenen Landsleute, die begeistert in den Krieg gezogen sind, für „Kaiser, Volk und Vaterland“, unsere Väter, Brüder und Söhne. Diesmal sitzen wir relativ ent­spannt auf den Rängen. Auf der einen Seite die Ukraine zu unterstützen und auf der anderen Seite dafür zu sorgen, dass es so bleibt – dass wir nicht aktive Kriegspartei werden –, ist Aufgabe verantwortlicher Regierungs­arbeit. Nach der Bekanntgabe der Panzerlieferungen hat Scholz sich Scholz im Bundestag direkt an uns Bürger gewendet: „Vertrauen Sie der Bundesregierung, vertrauen Sie mir!“.

In Kriegszeiten sind die leiseren, bedachten Töne nicht selten die zielführenderen – auch wenn sie nicht die großen Schlagzeilen liefern. Vielleicht sollte mancher darüber einmal nach­denken.

Dir gefällt, was Oliver Jauernig schreibt?

Dann unterstütze Oliver Jauernig jetzt direkt: