Zu den wenigen Dingen, die mir dieses Land immer einigermaßen sympathisch gemacht hat, gehört, dass um 'nationale Symbole' vergleichsweise wenig Gewese gemacht und das politische Geschäft eher nüchtern und geschäftsmäßig erledigt wird. Zwar flattern überall an Regierungsgebäuden Flaggen herum und sie gelten protokollarisch als Hoheitszeichen, doch käme niemand auf die Idee, sie mit quasireligiöser Heiligkeit aufzuladen. Umso befremdlicher jetzt das Bohei, das anhub, weil ein paar 'Letzte Generation'-Anhänger das Denkmal 'Grundgesetz 49' mit einer schwarzen Flüssigkeit besudelt haben.

Die backenplusternde Empörung als sei der Menschheit Heiligstes entweiht, als habe sich jemand auf dem Hauptaltar des Kölner Doms entleert oder ein Exemplar der Gutenbergbibel als Toilettenpapier oder eines der Magna Charta als Grillanzünder benutzt, ging quer durch so ziemlich alle Parteien (ja, auch die Grünen machen artig mit). Eine Auswahl kann man sich hier antun. Als Höhepunkt unfreiwilliger Komik kann das gelten, was Frank Müller-Rosentritt (FDP) sich zu diesem Anlass aus der Murmel wrang:

"Mit der öffentlichen Zerstörung des Grundgesetzes hat die Letzte Generation ihre hässliche Fratze endgültig fallen lassen und gezeigt wo sie steht: Gegen den Staat und gegen die freiheitlich, demokratische Grundordnung. Diese Hasser der Freiheit sind der letzte Abschaum."

Nummer kleiner hammses nicht? "Abschaum". Wow. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit anyone? Wegen ein wenig schwarzem Schmodder? Womit werden die Klima-Terroristen uns als nächstes foltern? Mir Vierzylindermotoren? Mit einem Tempolimit gar?

(Übrigens, zur Info, Müller-Dosenschnitt: Entweder jemand bzw. etwas zeigt seine/ihre hässliche Fratze oder jemand bzw. etwas lässt die Maske fallen, capisce? In Ihrem Sprachgebrauch wäre das nämlich so, dass die 'Letzte Generation' durch Fallenlassen ihrer hässlichen Fratze im logischen Umkehrschluss ja ihr wahres, somit unhässliches Gesicht zeigte, oder? Wollte halt mal drauf hingewiesen haben. Und wo genau wurde das Grundgesetz gleich "zerstört", wie zu ventilieren Sie sich nicht entblödeten? Ist da wer mit dem Presslufthammer angerückt?)

Derselben Meinung scheint auch Michael Roth (SPD) Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages zu sein, der die Aktion ernsthaft in die Nähe der "Taliban" rücken wollte. (Zur Info: Die Taliban haben 2001 die Buddha-Statuen von Bamiyan zerstört). Ist da irgendwer mit Baggern und Sprengstoff aufgelaufen? Natürlich nicht. Wie bei allen Aktionen der 'Letzten Generation' wurde peinlich darauf geachtet, weder etwas zu zerstören noch irreparablen Schaden anzurichten.

Dabei finde ich das Statement hinter der Aktion gar nicht mal schlecht, zumindest diskutabel. Man kann das so interpretieren: Wenn das Verfeuern fossiler Brennstoffe nicht bald aufhört, dann wird unser schönes Grundgesetz schon sehr bald das Papier nicht mehr wert sein, auf dem es massenhaft gedruckt wird.  Wenn man den Aktivisten wirklich einen Vorwurf machen will, dann den, dass sie mit solchen Aktionen bloß einem Framing weiter Futter geben, das sie schon allen Ernstes in die Nähe der RAF rücken wollte.

Noch was fällt ins Auge. Echtes Selbstbewusstsein hat kein moralinsaures, hysterisches Geblöke nötig. Eine aufgeklärte Gesellschaft, die keine heiligen Symbole braucht und weiß, dass man sich mit so was nur auf die Stufe von US-Flaggen verbrennenden Mullahs stellt, könnte so was mit einem "Naja, das Grundgesetz wird das schon aushalten" oder schlicht einem Merkelschen "nicht hilfreich" abperlen lassen. Mehr noch: Könnte es sein, dass die heftigen Reaktionen nicht auch ein Indiz dafür sind, dass die so gefeierten, im Grundgesetz kodifizierten Grundrechte, mehr und mehr als leere Versprechungen empfunden werden?

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