Indigene Kinder haben es in Australien nicht immer einfach. Die Kluft zwischen Ureinwohnern und dem Rest der Bevölkerung ist nach wie vor groß. Gleichzeitig entfernen sie sich von ihren Wurzeln. Ein Mentorenprogramm für indigene Kinder will Abhilfe schaffen.

Trevor Evans zeigt stolz auf das Gemälde, an dem alle seine Schützlinge gemeinsam gearbeitet haben. Es zeigt die Handabdrücke der Kinder kombiniert mit einheimischen Tieren Australiens, in den strahlenden Farben des Landes – dem Gelb der gleißenden Sonne, dem Rot-Orange der Erde, dem Blau des Himmels und dem Schwarz der Menschen.

Zwischen 10 und 15 Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 24 Jahren haben sich über vier Monate hinweg jeden Samstag in Evans kleinem Tierpark – dem Secret Creek Sanctuary – in Lithgow getroffen, einer Kleinstadt rund zweieinhalb Stunden Fahrt von Sydney entfernt. In dem Mentorenprogramm, das Evans gemeinsam mit zwei Ältesten aus der indigenen Gemeinde – Bob Sutor und Ceane Towers – auf die Beine gestellt hat, teilten diese ihr Wissen über die Kunst und Kultur, Sprache und Archäologie der australischen Ureinwohner.

Trevor Evans mit dem Bild der Kinder und Jugendlichen. © Barbara Barkhausen
Trevor Evans mit dem Kunstwerk der Kinder und Jugendlichen. 

„Als hätten sie eine neue Familie bekommen“

Evans berichtete von Rauch- und Heilzeremonien und über Lehrstunden zu Steinwerkzeugen und Waffen wie Schilder, Steinäxte und Woomeras, eine Art Speerschleuder. „Außerdem haben wir Bushtucker zubereitet, Didgeridoo gespielt und waren natürlich im Busch unterwegs.“ Bei dem Programm sei es auch darum gegangen, dass die Kinder und Jugendlichen zusammenarbeiteten, selbst wenn sie von verschiedenen indigenen Gruppen stammten.

„Das Programm ist richtig gut angekommen“, sagte der Australier. Das Feedback sei rundum gut gewesen und andere indigene Gruppen hätten inzwischen auch Interesse geäußert. „Das schöne war, dass die Aboriginal Kinder sich untereinander kennengelernt haben“, sagte Evans. Viele hätten sich zuvor gar nicht gekannt oder nicht gewusst, dass der jeweils andere ebenfalls indigen ist. „Denn heutzutage sind ja nicht mehr alle Aborigines dunkelhäutig“, sagte er. Alle hätten sich gut verstanden und einigen habe das Programm geholfen, „sich nicht mehr so isoliert zu fühlen“, sagte Evans. „Viele fühlten sich danach, als hätten sie eine völlig neue Familie bekommen.“

Werkzeuge und Waffen der Aborigines © Trevor Evans

Tiefe Kluft in der Gesellschaft

Letzterer Aspekt – sich nicht isoliert zu fühlen – ist ein besonders wichtiger. Denn obwohl weniger als fünf Prozent der australischen Jugend indigen sind, machen sie ein Viertel aller Selbstmorde bei Minderjährigen aus. In manchen australischen Bundesstaaten sind es sogar mehr als 60 Prozent. 2019 nahmen sich innerhalb weniger Wochen acht indigene Kinder das Leben. Damals sprachen selbst australische Medien, die verhältnismäßig selten über Themen der Ureinwohner berichten, von einer Krise. Der zwölfte „Closing the Gap“-Bericht, der im vergangenen Jahr im australischen Parlament vorgestellt wurde, zeigte ebenfalls auf, wie groß die Kluft zwischen den Ureinwohnern und dem Rest der Bevölkerung Australiens nach wie vor ist. Indigene Kinder hinken in Bezug auf Alphabetisierung, Rechnen und Schreiben den nicht-indigenen Kindern hinterher und auch die Kindersterblichkeit ist deutlich höher als im Rest der Bevölkerung.

Den Kindern eine „zweite Familie“ zu geben, ihre mentale Gesundheit zu stärken und eine Verbindung zur Jahrtausende alten Kultur ihrer Völker herzustellen, ist deswegen Teil des Programms. Vor allem ein Ausflug in den Busch – ins Land des indigenen Gundungurra-Volkes, sei ein großer Erfolg gewesen, berichtete Evans. Sie seien geschwommen, hätten Musik gemacht und sich Geschichten erzählt und für alle Barramundi-Fisch in „Paperbark“, der Rinde eines einheimischen Baumes, und Kängurueintopf mit Bushtucker-Gewürzen zubereitet.

Barrumundi-Fisch in Paperbark © Trevor Evans

„Yarrie Yarns“ – indigene Social-Media-Stars

Das Mentorenprogramm von Trevor Evans ist nicht das einzige Projekt, das eine positive indigene Geschichte erzählen möchte. Auch ein Konzept des Polizeibeamten Adam Frew in Queensland, im Nordosten Australiens, will Barrieren abbauen und Wahrnehmungen positiv verändern. Frew hat – inspiriert vom Konzept „Humans of New York“ – angefangen, indigene Menschen vorstellen, die andere Gemeindemitglieder inspirieren und motivieren. Frew richtete deswegen vor etwa vier Jahren die Seite „Yarrie Yarns“ auf sozialen Medien ein – wobei Yarrabah (Yarrie) „Treffpunkt“ bedeutet und „Yarns“ „Geschichten“.

In regelmäßigen Abständen interviewt der Polizist dafür nun Ureinwohner – Älteste, Lehrer, andere Polizeibeamte, Musiker, Influencer, Jugendliche und Vorbilder in der Gesellschaft. Ihre Geschichten und Fotos teilt er über Facebook, Instagram und Twitter. Am Ende jeden Jahres erhalten die Teilnehmer und ihre Gemeinden zusätzlich Fotobücher, die die Geschichten und Bilder enthalten. Unter seinen„Stars” waren schon eine Schülerin, die Fußballschuhe für ihre Gemeinde sammelt oder ein Helikopter-Crewmitglied, das Leben im einsamen Cape York im Nordosten Australiens rettet. Ein anderes Mal berichtete Frew über einen Lehrer, der sich für indigene Sprachen in den Gemeinden engagiert oder den Künstler, der das indigene Sporttrikot einer Rugby-Mannschaft designte.

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