Zwei Meldungen, die eigentlich zusammengehören, aber irgendwie nicht in einen Zusammenhang gebracht werden von den meisten Medien: die Auszahlungen an Dividenden und die Reallohnentwicklung im letzten Jahr. Darum will ich das nun mal gemeinsam betrachten und ein paar Schlüsse daraus ziehen.
Schon im November konnte man lesen (beispielsweise hier), dass die Dividendenausschüttungen der DAX-Konzerne ein Rekordniveau erreicht haben und um sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind. Und dann gab es gerade letzte Woche die Meldung (s. hier), dass die Reallöhne nach wie vor im Sinkflug sind, im letzten Jahr um satte 3,1 Prozent.
Was dabei interessant ist: In beiden verlinkten Meldungen auf tagesschau.de werden die Leser schon ein Stück weit auf eine falsche Fährte geführt. So heißt es gleich in der ersten Zeile beim Bericht über die hohen Dividenden:
Trotz Ukraine-Krieg und Energiekrise – viele DAX-Konzernen erwirtschaften in diesem Jahr hohe Gewinne.
Da sollte man meines Erachtens das Wörtchen „Trotz“ besser durch „Aufgrund von“ ersetzen, dann käme man der Realität schon ein bisschen näher. Schließlich hat Thomas Fricke schon im vergangenen Juni in seiner Kolumne auf Spiegel Online darauf hingewiesen, dass die kriegsbedingte Inflation aufgrund der gestiegenen Energiepreise von vielen Unternehmen dazu genutzt wird, nun einfach mal die Preise zu erhöhen und damit auch die Profite zu vergrößern. Und das Ergebnis sind dann eben, wenig überraschend, rekordverdächtige Ausschüttungen an die Aktionäre.
Aber auch die Energiekonzerne selbst, die ja eigentlich unter einer „Energiekrise“ besonders leiden sollten, haben nicht wirklich etwas auszustehen, denn Shell beispielsweise konnte im letzten Jahr einen Rekordüberschuss von 38 Milliarden Euro einfahren (s. hier).
Da wundern sich nun die Normalbürger, die gerade mit extrem gestiegenen Energiepreisen zu kämpfen haben. Und diese Energiepreise sind dann eben auch einer der Gründe für die Inflation, die dann laut tagesschau.de für das Sinken der Reallöhne verantwortlich ist. Und dann wird auch gleich noch eine weitere Ursache ausgemacht am Ende des Artikels:
Die hohe Inflation dürfte der Bundesbank zufolge auch wegen hoher Tarifabschlüsse noch eine Weile anhalten. „Spürbare Zweitrundeneffekte auf die Preise sind absehbar“, heißt es im aktuellen Monatsbericht. „Sie tragen dazu bei, dass die Inflationsrate über einen längeren Zeitraum deutlich über dem mittelfristigen Ziel von zwei Prozent für den Euroraum bleiben wird.“
Die Unternehmen könnten wegen höherer Personalkosten ihre Verkaufspreise weiter anheben, befürchten viele Ökonominnen und Ökonomen.
Ach so, die Arbeitnehmer sind schuld, wenn sie nun also weiterhin höhere Tarifabschlüsse fordern, damit die Reallöhne nicht noch weiter sinken. Klar, die enormen Gewinne der Großunternehmen haben mit Sicherheit nichts damit zu tun. Oder warum wird das sonst nicht erwähnt auf tagesschau.de?
Dabei ist es doch klar: Je mehr Geld für die Finanzierung leistungsloser Einkommen von Aktionären, Investoren usw. benötigt wird, desto weniger bleibt dann für diejenigen übrig, die in der Realwirtschaft das Geld erarbeiten, da ihnen ein zunehmend größerer Anteil ihres Einkommens vorenthalten werden muss.
Und genau das passiert ja nun auch gerade, wie man offenkundig an den beiden oben verlinkten Meldungen sieht. Das ist nämlich ein kapitalistisches Grundprinzip: Von Krisen profitieren immer einige wenige in besonders großem Maße, während die Kosten zur Beseitigung der Krise und deren Folgen auf die Allgemeinheit umgelegt werden. Nichts ganz Neues also, aber in seiner offensichtlichen Dreistigkeit zurzeit schon etwas Besonderes.
Was für mich ja so ein ganz kleine bisschen darauf hindeutet, dass man in Wirtschaft und Politik mittlerweile schon so langsam rafft, dass das Wirtschaftssystem am Kollabieren ist, sodass man nun noch schnell so viel wie möglich für sich selbst rauspressen möchte.
Und auch hier gilt dann das, was schon während der Corona-Pandemie galt: Es sind mal wieder die üblichen Nutznießer der Krise bzw. der politischen Entscheidungen des Krisenmanagements. Und diese Profiteure kaufen sich ja nun grundsätzlich schon eine Menge Einflussnahme auf politische Entscheidungen, sei es durch Korruption und Lobbyismus oder durch Pöstchenvergabe und die daraus resultierende Vernetzung mit politischen Entscheidungsträgern. Da hierbei noch nie besonders rücksichtsvoll, ethisch oder moralisch vorgegangen wurde (s. hier), ist wohl davon auszugehen, dass man auch keine Probleme hat, nun im wahrsten Sinne des Wortes über ukrainische und russische Leichen zu gehen, um die sprudelnde Einnahmequelle des Krieges nicht so schnell wieder versiegen zu lassen.
Mal davon abgesehen, dass im eigenen Lande immer mehr Menschen Probleme damit haben, ihre elementaren Grundbedürfnisse (so wie Heizen, Warmwasser, ein Dach über dem Kopf und gesunde Ernährung) zu befriedigen, während bei anderen der Champagner in immer größeren Strömen fließt. Klingt ziemlich feudalistisch? Ist es auch, und genau diese Denkweise liegt ja auch dem Neoliberalismus zugrunde.
Insofern finde ich ja, dass man auf diese Zusammenhänge zwischen hohen Dividenden einerseits und sinkenden Reallöhnen andererseits ruhig öfter mal aufmerksam machen könnte. Das würde dann nämlich vielleicht mal dazu führen, dass sich ein paar mehr Leute fragen, ob so ein Wirtschaftssystem denn wohl das richtige für sie ist.
Aber solche systemkritischen Gedanken sind natürlich von den meisten journalistischen Entscheidern (und erst recht von ihren Verlegern) nicht gewollt …
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