Zum Krieg von Israel gegen die Hamas hab ich ja kürzlich schon mal einen Artikel geschrieben. Die Entwicklung der letzten Wochen, gerade auch in Bezug auf die Reaktionen hierzulande, bringen mich nun allerdings dazu, das Thema noch mal aufzugreifen.
Zunächst einmal habe ich letzte Woche einen Artikel in den Blättern für deutsche und internationale P0litik aus dem September zum Thema Gaza gelesen, der den bezeichnenden Titel „Zwischen Elend und Explosion: Die schwelende Krise im Gazastreifen“ hat. Darin wird geschildert, wie übel die Lebenssituation für die Menschen in Gaza schon vor dem terroristischen Angriff der Hamas und der israelischen Reaktion darauf war und wie es dazu gekommen ist. Das ist durchaus interessantes Hintergrundwissen zur aktuellen Eskalation des Konflikts, und vor allem der letzte Absatz hat etwas ziemlich Prophetisches, wie ich finde:
Wird stattdessen Gaza auch weiterhin ignoriert, ist die nächste Runde von Gewalt und Gegengewalt kaum zu vermeiden. Netanjahus rechtsradikale Koalitionspartner machen bereits Druck in diese Richtung. Siedlungsministerin Orit Strook, selbst radikale Siedlerführerin aus Hebron, brachte im März 2023 sogar eine Wiederbesetzung des Gazastreifens ins Spiel. Das Eskalationspotenzial bleibt also hoch. Es ist daher dringend an der Zeit, dass Bundesregierung und EU endlich auch wieder Gaza „in den Fokus“ nehmen.
Tja, genauso ist es dann ja auch gekommen – und die Erfüllung des Wunsches der Siedlungsministerin ist ein gutes Stück wahrscheinlicher und greifbarer geworden.
Mir liegt es fern, die barbarischen Morde der Hamas in irgendeiner Weise zu rechtfertigen. Allerdings finde ich es wichtig, sich zu fragen, was denn Menschen dazu bringt, solche Gräueltaten zu begehen. „Die sind halt böse“ ist mir da dann ein bisschen zu schlicht – auch wenn so eine infantile Schurkenrhetorik ja immer mehr Platz einnimmt im öffentlichen Diskurs. Genauso wie das Berücksichtigen von komplexeren Konflikthintergründen mehr und mehr aus der Mode kommt.
Und was noch hinzukommt: Zurzeit ist ja bei jeder Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung schnell der Vorwurf des Antisemitismus im Raum. Dabei ist Kritik mehr als angebracht – nicht nur aufgrund des aktuellen Vorgehens, sondern auch generell. Diese Regierung besteht nämlich zu einem großen Teil aus Rechtsextremen, die gerade dabei sind, den Rechtsstaat zu schleifen und die liberale Demokratie in eine illiberale zu transformieren (s. dazu hier und hier).
Mit dem Geschichtsbewusstsein dieser Regierung ist das auch so eine Sache. Schon vor Jahren irritierte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ja bereits mit der Aussage, dass der Holocaust gar nicht auf Hitlers Mist gewachsen wäre, sondern dieser vom Mufti von Jerusalem dazu angestiftet worden sei (s. hier). Klar, im Weltbild eines Rechtsaußen wie Netanjahu müssen halt die Muslime an allem schuld sein – auch wenn sämtliche historische Fakten gegen seine steile These sprechen. Und auch als unlängst der Israels UN-Botschafter im UN-Sicherheitsrat mit einem gelben Stern an der Brust auflief und mal eben Parallelen zwischen dem Hamas-Terror und dem Holocaust zog (s. hier), zeigte man sich doch reichlich geschichtsklitternd, hyperpolemisch und unsensibel in Bezug auf dieses eindeutige Symbol, wie ich finde.
Das führt nun allerdings hier in Deutschland nicht dazu, dass das Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza mal hinterfragt oder eventuell sogar kritisiert wird. Und wenn das dann mal gemacht wird, dann ist auch meistens schnell der Vorwurf des Antisemitismus nicht weit. Das kennt man ja schon von Rechtsextremisten wie Hendryk M. Broder, wenn er oder seine Fanbase Kritik an seinen menschenverachtenden Aussagen gleich mit ebendiesem Vorwurf kontern. Und auch bei der letzten größeren Eskalation in Gaza im Jahr 2014 war das zu beobachten, sodass ich damals bereits einen Artikel über die Querfront von Rechtsaußen und Pro-Israel-Leuten schrieb.
Wenn das damals allerdings vor allem auf rechte Portale und Schmierblätter wie BILD, Junge Freiheitoder Achse des Guten beschränkt war, so ist nun der Rechtsrutsch in Deutschland mittlerweile derart weit vorangeschritten, dass auch aus anderen Kreisen ganz selbstverständlich rassistische Aussagen getätigt werden im Zusammenhang mit oder als Ableitung von dem Israel-Hamas-Konflikt.
Beispiele gefällig?
Nun, da wäre als Erstes mal die Rede zum Antisemitismus von Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck. Moment mal – dafür wurde er doch so richtig abgefeiert, oder? Dann kann das doch nichts Rassistisches beinhalten …
Na ja, ich zitiere mal daraus:
Das Ausmaß bei den islamistischen Demonstrationen in Berlin und weiteren Städten Deutschlands ist inakzeptabel und braucht eine harte politische Antwort. Es braucht diese auch von den muslimischen Verbänden. Einige haben sich klar von den Taten der Hamas und vom Antisemitismus distanziert, haben das Gespräch gesucht. Aber nicht alle, und manche zu zögerlich und ich finde, insgesamt zu wenige.
Da ist sie dann wieder, die Forderung, dass Muslime sich von islamistischem Terror zu distanzieren hätten. Das hat man mittlerweile leider so oft gehört, dass vielen der Rassismus, der so einer Aussage innewohnt, gar nicht mehr bewusst sein dürfte. Denn zum einen werden hier alle Muslime über einen Kamm geschert. Was hat denn bitte jemand, der aus Afghanistan geflüchtet ist, mit der Hamas und deren Morden zu tun? Und warum sollte der sich davon distanzieren? Hat jemand schon mal die Forderung gehört, dass sich alle Deutschen von rechtsextremen Terrorangriffen, wie beispielsweise in Hanau, Halle oder vom NSU in mehreren Orten in Deutschland verübt, distanzieren sollen? Also, ich zumindest nicht …
Und genau da beginnt Rassismus, wenn wir nämlich Menschen nur aufgrund eines einzigen Merkmals klassifizieren, in diesem Fall ihrer Religion. Die Aussage von Habeck lässt nämlich mitschwingen, dass Muslime ja sowieso irgendwie alles latente Terroristen sind, denn sonst müssten sie sich ja nicht explizit vom Terror distanzieren.
Weiter geht’s mit Habecks Rede:
Das Verbrennen von israelischen Fahnen ist eine Straftat, das Preisen des Terrors der Hamas auch. Wer Deutscher ist, wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen, wer kein Deutscher ist, riskiert außerdem seinen Aufenthaltsstatus. Wer noch keinen Aufenthaltstitel hat, liefert einen Grund, abgeschoben zu werden.
Das ist ja genau das, was AfD und rechte Unionspolitiker schon lange fordern: kriminelle Ausländer abschieben! Und wie selbstverständlich betont Habeck auch noch, dass hier dann eine Ungleichbehandlung von Deutschen und Nichtdeutschen bei Begehen von ein und derselben Straftat stattfinden sollte: Bestraft werden beide, aber der Ausländer kriegt obendrein noch einen Tritt in den Hintern und wird des Landes verwiesen. Ich finde so eine Vermischung von unterschiedlichen Rechtsbereichen, in diesem Fall Aslyrecht und Strafrecht, nicht sinnvoll, zumal wenn sie zu einer Ungleichbehandlung von Einheimischen und Nichteinheimischen führt – um nicht zu sagen: wenn sie eine rassistische Grundlage hat.
Und dann haut Habeck auch noch Folgendes raus:
Natürlich muss sich Israel an das Völkerrecht und internationale Standards halten. Aber der Unterschied ist: Wer würde solche Erwartungen je an die Hamas formulieren?
Tja, vielleicht hat man eben an einen Staat, der internationale Abkommen unterzeichnet hat, andere Ansprüche an als an eine Terrororganisation? Ein Staat, der wie Terroristen agiert, muss sich wohl zu Recht als Terrorregime bezeichnen lassen – und Habeck gesteht genau so ein Vorgehen nun Israel zu, da die Hamas ja auch auf bestialische Weise Zivilisten ermordet hat. Völkerrechtler sehen das durchaus ein bisschen differenzierter (s. hier), und ich persönlich finde ja, dass Rache kein Handlungsmotiv für einen Staat sein sollte, schon gar nicht, wenn dieser für sich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit proklamiert.
Auch wird ja wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass es nun in Ordnung ist, die Hamas-Leute auf der Stelle zu exekutieren, wenn man ihrer habhaft wird. Das widerspricht nun so ziemlich meinem rechtsstaatlichen Empfinden, nach dem jeder einen Prozess verdient hat. Nur mal zur Erinnerung: Selbst ein Monster wie Adolf Eichmann hat in Israel einen Prozess bekommen. Dass so was gar nicht mehr thematisiert wird, mag auch daran liegen, dass wir uns schon durch die zahlreichen Drohnenmorde der USA daran gewöhnt haben, dass man Menschen, die man des Terrorismus verdächtigt, einfach so um die Ecke bringen darf – in Ordnung finde ich das dennoch nicht.
Natürlich darf in Habecks Rede auch ein Verweis auf Putin nicht fehlen, und dabei stellt sich mir dann allerdings folgenden Frage: Warum wurde Russland (zu Recht übrigens, wie ich finde) dafür kritisiert, Mariupol in Grund und Boden geschossen zu haben, als sich dort das ukrainische Asow-Regiment verbarrikadiert hatte – wenn das jetzt offensichtlich ganz in Ordnung ist, dass die israelische Armee in Gaza ganz genauso vorgeht und keine Rücksicht auf Zivilisten und zivile Infrastruktur nimmt (s. hier)? Und andersrum: Warum wird der Hamas (ebenfalls zu Recht) vorgeworfen, sich hinter Zivilisten zu verstecken, den Asow-Söldnern hingegen nicht? Da sind ja Werte offenbar mal wieder reichlich dehnbar in Abhängigkeit davon, ob nun ein Freund oder ein Feind diese gerade massiv missachtet.
Doch es geht noch deutlich unverblümter als bei Habeck. So hat die ehemalige Bundesjustizministerin und jetzige Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) doch tatsächlich folgende Forderung gestellt, über die ich gerade bei Facebook gestolpert bin und die von Springers WELT natürlich nur allzu gern aufgegriffen wird:
Geht’s noch? Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind ohnehin eine heikle Sache, die in einem demokratischen Rechtsstaat nicht so ohne Weiteres gefordert werden sollten, aber das nun auch noch nach Kriterien der Nationalität zu gestalten … für mich ist das Rassismus in Reinform. Zumal es ja nun auch nicht so ist, dass Deutsche grundsätzlich nicht antisemitisch drauf sind. Oder soll auf diese Weise etwa verhindert werden, dass die Kruffnucken uns Deutschen jetzt auch noch den Antisemitismus wegnehmen? Sorry wegen dieses polemischen Sarkasmus, aber was anderes fällt mir dazu echt nicht mehr ein …
Darüber hinaus werden mittlerweile auch von Politikern und Journalisten Inhalte empfohlen und weiterverbreitet, die reichlich zweifelhaft sind. So zum Beispiel ein Interview des britischen Senders TalkTV mit dem Publizisten Douglas Murray. Darin wurde dann der Hamas-Terror mal eben mit den Gräueltaten der SS während des Holocausts verglichen – also nichts anderes als Holocaust-Relativierung betrieben. Denn so übel das ist, was die Hamas da in Israel angestellt hat, die perfide durchgeplante industrielle Vernichtung von Menschen ist dann doch noch mal eine andere, deutlich üblere Sache.
Das sehen auch Historiker so, die dieses Interview deutlich kritisierten, nachdem es von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Karin Prien (CDU, schleswig-holsteinische Bildungsministerin – au weia!) und Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm in sozialen Medien geteilt und für großartig befunden wurde (s. hier). Ach ja, Rechtsaußenkolumnist Jan Fleischhauer fand das zunächst auch so richtig dufte – da sieht man gleich mal, in welche Gesellschaft man gerät, wenn man so einen Kram unreflektiert weiterverbreitet.
Und sobald die Kritik dann lauter und vernehmlicher wird, ist man eben „mausgerutscht“, löscht die geschichtsklitternde Kackscheiße, die man da von sich gegeben hat, und tut so, als hätte man gar nichts damit zu tun. Klar, wenn so was erst mal in der Welt ist, dann ist es auch schwer bis gar nicht wieder einzufangen, das ist ja nichts Neues – Hauptsache, man wird dann nicht mehr damit in Verbindung gebracht. Schön von der AfD und ihrer ranzigen Schäbigkeit lernen, das ist leider auch ein Merkmal des aktuellen Rechtsrutsches.
Als wenn das noch nicht genug wäre, kommt dann auch noch Hubert Aiwanger daher und darf in der ARD bei Maischberger rumpoltern. Ich zitiere mal aus einem Artikel von ntv über die Sendung:
In Deutschland gebe es einen aggressiven Antisemitismus, sagt Aiwanger. Schuld daran seien Migranten, die vor allem von den Grünen ins Land geholt worden seien, so Aiwanger.
[…]
Dennoch prangert der Freie-Wähler-Chef besonders Islamisten an, die auf den Straßen die Vernichtung Israels fordern. „Das ist Unsinn, den wir uns ins Land geholt haben“, sagt er. „Wenn man sieht, dass die Demonstrationen die Polizei überfordern, wenn man sieht, dass die am Ende gegen Israel gerichtet sind, dann würde ich die verbieten. Und ich würde Menschen, die dort aggressiv auftreten, auch am Ende abschieben, wenn sie den deutschen Pass nicht haben“, so Aiwanger.
[…]
Aiwanger kritisiert die Ampelkoalition vor allem, weil sie zu wenig tue, um gewalttätige Migranten auszuweisen. Zudem müsse der Staat die Kontrolle an den Grenzen wieder zurückgewinnen. „Wenn wir schon sehen, dass wir Menschen ins Land bekommen, die die Pässe weggeschmissen haben und nicht einmal zugeben, wo sie herkommen!“ Diese Menschen würde Aiwanger nicht mehr einreisen lassen. Stattdessen müsse vor Ort ihre Identität festgestellt werden, und wenn das nicht möglich sei, sollten sie zurückgeschickt werden nach Polen oder Österreich. Man könne die Menschen nicht ins Land lassen und erst dann darüber diskutieren, welchen Status sie hätten. „Wir machen uns zum Deppen der ganzen Welt“, so Aiwanger.
Mal abgesehen davon, dass das nun lupenreines AfD-Geschwafel ist, was der Vorsitzende der Freien Wähler, stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsminister in Bayern da von sich gibt, so finde ich es doch komplett absurd, das von jemandem zu hören, der ja in seiner Jugend selbst an der Verbreitung übelster antisemitischer Schriften beteiligt war – auch wenn sich immer noch auf schäbigste Weise (so ebenfalls wieder bei Maischberger) damit rauszureden versucht, dass das Ganze eine Kampagne gegen ihn gewesen sei und er ja auch noch so jung war – und überhaupt haben die Wähler ihn ja dafür auch noch belohnt bei den Wahlen neulich in Bayern, dann kann das ja gar nicht so schlimm sein …
Dass vielleicht genau dieses Wählerverhalten, das so ein schäbiges Verhalten wie das von Aiwanger noch mit Stimmenzuwachs belohnt, ein riesiges Problem darstellt, auf die Idee kommt „Hubsi“ natürlich nicht. Hauptsache, er kann mal wieder schön gegen Muslime und Geflüchtete hetzen – was interessiert ihr da schon sein Antisemitismus von vorgestern?
Bei so viel widerwärtiger Bigotterie fällt mir nur noch ein, dass ich gar nicht so viel fressen kann, wie ich kotzen möchte. Und so was wird dann im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gebracht – die Medien also mal wieder als diensteifriger Lakai für Rechtsextreme zur Verbreitung ihres menschenverachtenden Gedankenguts (s. hier).
Aber das kennen wir ja mittlerweile schon zur Genüge: Krisen und Konflikte werden vor allem dafür genutzt, um die eigene Agenda voranzubringen, anstatt das konstruktiv nach Lösungen gesucht wird. Das war bei der Corona-Pandemie so, das ist beim Ukraine-Krieg nicht anders und das kann nun auch wieder beim Krieg von Israel gegen die Hamas beobachtet werden.
Und die Richtung dabei ist leider immer nur weiter nach rechts …
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