Mit dem Alter kommen die Wehwehchen. Auch ich bin davor nicht gefeit. Das ist nicht schön, aber lässt sich Nuneinmal nicht ändern. Jetzt besitzt der menschliche Körper ja diverse Organe, von denen, meinetwegen das ein oder andere in Mitleidenschaft gezogen werden darf. Beispielsweise habe ich kein Problem, wenn die Milz angegriffen wäre, zumal ich keine Ahnung habe, wozu die überhaupt da ist. So könnte ich auch gut auf meinen Blinddarm verzichten, der ja angeblich vollkommen überflüssig sein soll. Doch ausgerechnet der macht mir nun keine Beschwerden. Ich kann nicht mehr so lange laufen wie früher, wegen fehlender Ausdauer. Mein Arzt hat mir Sport verordnet, doch ich habe mich für eine Busmonatskarte entschieden. Nur mit einem Organ habe ich Probleme und noch keine Lösung dafür gefunden.
Das Hauptproblem sind meine Ohren. Zwar formschön und wohlgeformt, aber entgegen meinem Alter, leider noch in bester Verfassung. Kein Hinweis auf eine zu erwartende Schwerhörigkeit. Das macht mir das Leben nicht gerade erträglicher. Ich höre alles um mich herum. Ob ich will oder nicht. Meist möchte ich das, was mir so zu Ohren kommt, nicht hören, weil es:

  1. mich in meiner Intelligenz beleidigt.
  2. ich mich für Krankheiten mir vollkommen fremder Menschen nicht interessiere.
  3. mir egal ist, wer Deutscher Meister wird, weder im Fußball, noch im Schokokusswettessen.
  4. mich nicht sonderlich interessiert, wenn man mich dazu zwingt, mitzubekommen, warum sich wer, warum und wann von jemandem getrennt hat.
  5. keinerlei Relevanz für mich hat, dass die Frau neben mir in der Bahn zwanzig Kilogramm abgenommen hat, weil ich mir dann sofort ausmale, wie sie wohl vorher ausgesehen haben muss.

All dies muss ich mir zwangsweise anhören, weil ich ein ausgeprägtes Hörvermögen habe, was mir mein Leben oft genug zur Qual macht. Da beneide ich die Menschen, die alleine im Auto im Stau stehen, wenn ich im vollbesetzten Bus an ihnen vorbeifahre. Die sind natürlich angenervt, aber wenigstens mit sich alleine. Ich hingegen komme zwar früher an mein Ziel, werde aber mit Gesprächen malträtiert, die ich unfreiwillig mitanhören muss. Dies wird nur noch dadurch getoppt, wenn wildfremde versuchen, mir ein Gespräch aufzudrücken. Dann demonstriere ich zwar gestenreich taubstumm zu sein, was jedoch besonders mitteilsame Menschen nicht daran hindert, mich dennoch als Zuhörer zu missbrauchen. Selbst wenn ich einen sofortigen Sekundenschlaf vortäusche, reden sie einfach ungeniert weiter, weil sie vermutlich zuhause niemanden haben, den sie mit ihrem unsäglichen Geschwafel in den Selbstmord treiben können.
Nur meine gute Kinderstube und die Lustlosigkeit auf einen ausführlichen Gefängnisaufenthalt hindert mich stets daran, zu reagieren, wie ich gerne reagieren würde. Dass ich bis zum heutigen Tag noch niemanden ermordet habe, ist nur meiner Selbstbeherrschung zu verdanken. Aber ich bin mir sicher, der tag wird kommen!
Die von mir meistgehasste Frage ist daher auch: „Darf ich mich dazusetzen?“ Diese wird jedoch noch getoppt von: „Dürfen wir uns dazusetzen?“
In beiden Fällen würde ich, um aus meinem Herzen keine Mördergrube zu machen, rufen: „Nein!“
Warum immer ausgerechnet zu mir, treibt s diese Plappertanten? Sehe ich vielleicht aus als würden mich ihre Nichtigkeiten interessieren? Inzwischen gehe ich schon in Cafés, die dafür stadtbekannt sind, den schlechtesten Service, überteuerten Discountkaffee auszuschenken und den trockensten Kuchen im Angebot haben, in der stillen Hoffnung, dort meine Ruhe zu finden. Aber auch dort bleibe ich nicht verschont vor rüstigen Rentnerinnen, einsamen Witwen und sonstigen erzählwütige Menschen, die nichts besser zu tun haben, als mir den Tag zu versauen. Ganz schlimm wird es aber, wenn sich zwei Freundinnen treffen. Warum das dann ausgerechnet an meinem Tisch stattfinden muss, bleibt wohl ein ewiges Mysterium, was wissenschaftlich dringend zu klären wäre, damit ich eine Strategie entwickeln kann, wie ich dem zuvorkomme. Ich habe sogar schon aus purer Verzweiflung kleine Reserviertschilder selbst gebastelt und auf meinem Tisch aufgestellt, jedoch ohne Erfolg. Einmal habe ich vor der Eingangstür des Cafés ein Schild angebracht, mit der Aufschrift: Heute geschlossene Gesellschaft!
Leider wurde es von der Besitzerin frühzeitig entdeckt und ich musste zwei ganze Buttercremetorten bestellen, nur um einem Hausverbot zu entgehen. Danach habe ich weitere Versuche unterlassen, denn auf Dauer kann ich mir meine leidenschaftlich gesuchte Einsamkeit einfach nicht mehr finanziell leisten.
Was unweigerlich dazu führt, mich im Öffentlichen raum mich aufzuhalten, da ich nur außer den eigenen vier Wänden vernünftig arbeiten kann, wenn ich denn könnte! Doch es gelingt mir nur sehr eingeschränkt. Dies liegt vordergründig an meiner unsensiblen Mitbevölkerung, die sich aus rein privaten Gründen, dort aufhält, wo ich versuche zu denken. Rücksichtslos unterhalten diese arbeitsscheuen, nur um mir das Denken zu erschweren, wenn nicht sogar gänzlich unmöglich zu machen. Ein solches Verhalten muss ich geißeln und möglichst zu unterbinden versuchen. Doch die Hartnäckigkeit mancher Zeitgenossen ist grenzenlos. In ihrer ureigenen intellektuellen Anspruchslosigkeit plappern sie lautstark den größten Unsinn in die Welt hinaus. Völlig unreflektiert zeigen sie sich in ihrer ganzen Dummheit und legen es förmlich darauf an, jedweden anderen dies auch zu demonstrieren. Und ich scheine diese Auswüchse geradezu magisch anzuziehen, sehr zu meinem Leidwesen. Diese Zumutung ist auch für mich nicht ohne Gefahr. Denn immer häufiger erwische ich mich dabei, wie ich Mordpläne entwickle. Noch ist es nur Fantasie, kann jedoch jederzeit real werden. Noch hält mich die Furcht vor einer ungerechten Justiz zurück. Denn noch hat sich dort die Meinung noch nicht durchgesetzt, dass es in schweren fällen von dummdreisten Gequatsche es mildernde Umstände geben müsste, falls es zu körperlicher Selbstverteidigung kommt. Erst wenn ein verhältnismäßiges Strafmaß eingeführt wird, beziehungsweise man es als Notwehr einstuft, werde ich mich mit der Ausführung meiner Mordpläne intensiver auseinandersetzen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Als alter Pfadfinder weiß ich: allzeit bereit und jeden Tag eine gute Tat. Ich sehe mich dahingehend in einer Vorreiterrolle für alle die Menschen, die sich auch öffentlich belästigt fühlen. Wir müssen da gemeinsam an einem Strang ziehen und das ist nicht nur im übertragenen Sinne gemeint.
Manchmal habe ich sogar das Gefühl, ich werde regelrecht von solchen Menschen verfolgt, deren einzige Lebensbestimmung es ist, mir die Ohren vollzudröhnen. Und es ist nicht nur ihre Inhaltslosigkeit, die sie ungehemmt in die Welt hinausposaunen. Nein, es ist auch der Tonfall und die Lautstärke. Besonders zwei Gruppierungen habe ich da ausgemacht! In letzter Zeit habe ich diesbezüglich meine Beobachtungen intensiviert und überlege nun ernsthaft, meine gemachten Erkenntnisse, die zu einem großen Teil erschreckend sind, in einer Doktorarbeit, auf wissenschaftlich fundierte Füße zu stellen. Doch mit diesem Vorsatz scheiterte ich bereits, ehe ich noch eine Zeile schrieb. Wie ich erfuhr, sei für einen Doktortitel ein abgeschlossenes Studium Grundvoraussetzung. Diese Hürde, die man mir in den Weg gestellt hat, konnte ich nicht überspringen, ohne einige notwendige Papiere zu fälschen. Beginnend mit einem nichtvorhandenen Abiturzeugnis. Dies wiederum wäre allerdings strafbar, meinte ein mir bekannter Anwalt, der es angeblich gut mit mir meint. Aber einen kleinen Hoffnungsschimmer gab es doch noch. Nachdem er, in meinem Namen, sich kostenlos für mich schlaugemacht hatte, fand er eine Möglichkeit, die mich meinem Ziel, einen Dr. vor meinen Namen zu setzen, ein Stück weit näher kam.
„Wenn du einen Doktorvater findest und ihn überzeugst, eine große wissenschaftliche und relevante Arbeit anzufertigen, dann besteht die Chance auf einen offiziellen Doktortitel. Leider fehlt mir das Geld einen entsprechenden Titel zu kaufen, was als letzte Option auch noch möglich wäre. Dazu benötigt man Nichteinmal ein Wissen! Aber ich weiß viel und habe kein Geld. Schon alleine deshalb kam etwas Gekauftes nicht infrage! So etwas Würdeloses überlasse ich Politikern, die keinen anderen Ausweg sehen sich anders eine Reputation zu erschleichen.
Einen kleinen Wermutstropfen hatte der Anwalt dann doch noch für mich. Ich dürfe, im Falle der Anerkennung meiner Doktorarbeit, nur Dr. h.c., also honoris causa mich nennen. Das wäre dann zwar nur ein Doktor Ehrenhalber, aber Doktor ist Doktor und wer weiß schon, was h.c. überhaupt heißt.
Damit waren die Voraussetzungen geklärt und ich machte mich daran einen Doktorvater zu finden. Zwar habe ich von hause aus einen Vater, doch mangelt es ihm an einem entsprechenden Doktortitel, was früher unsere Beziehung nicht weiter belastet hat. Jetzt sehe ich die Sache natürlich weitaus kritischer. Unumwunden teilte ich ihm dann auch meine Kritik an seiner akademischen Ignoranz mit, was ihn betroffen machte. Leider kam seine Betroffenheit Jahre zu spät für mich und so erklärte ich ihm, mich notfalls für mein Ziel, von einem Doktorvater mich notfalls adoptieren zu lassen. Bei meiner Ankündigung weinte meine Mutter, so gerührt war sie von meinem Bestreben, mir einen Titel zulegen zu wollen. Oder war es, dass sie die Verantwortung und Last an einen Adoptivvater abgeben konnte? Ich weiß es bis heute nicht, denn seit diesem denkwürdigen Tag, als ich meine Entscheidung bekannt gab, sprach sie kein Wort mehr mit mir. Meine ehemalige Mutter hat schon immer seltsam auf Entscheidungen von mir reagiert. Leider war ich auch gezwungen, per Gerichtsurteil mir mein gesetzliches Erbe zu erstreiten, was unser Verhältnis nachhaltig eingetrübt hat. Ob sie jetzt noch Leben entzieht sich leider meiner Kenntnis! Dabei bat ich sie noch inständig, mich darüber auf dem Laufenden zu halten, weil es mich doch persönlich interessieren würde. Da bislang keine dementsprechende Vollzugsmeldung bei mir eintraf, gehe ich davon aus, sie erfreuen sich bester Gesundheit. Und da ich nicht nachtragend bin, gönne ich ihnen das ja auch.
Die Suche nach einem Doktorvater erwies sich komplizierter, als ich dachte. Obwohl ich eine wohlfeile Annonce in verschiedenen Zeitungen aufgab, meldete sich kein Aspirant. Auch ein erneuter Versuch, diesmal sogar mit einem Ganzkörper von mir, was mich fast in den finanziellen Ruin getrieben hat, war nicht von Erfolg gekrönt. Ich stellte meine Suche zunächst zurück, um meine Kräfte zu bündeln. Ich legte mein Hauptaugenmerk auf die eigentliche Doktorarbeit. Als Erstes sah ich mir einige Videos über Doktoren an, damit ich, wenn ich den Titel erst habe, mich sicher auf dem akademischen Parkett bewege. Aber weder Dr. Schiwago, noch Dr. Mabuse brachten mich irgendwie weiter. Sekundärliteratur scheint zu dieser Thematik sehr rar gesät zu sein. Aber für mich kein Grund, meinen Lebenstraum aus dem Auge zu verlieren. Ich begann stattdessen mit meiner wissenschaftlichen Arbeit, die mich an meine körperlichen und psychischen Grenzen bringen sollte. Denn überall dort, wo sich Menschen unterhielten, blieb ich stehen und notierte mir die Gespräche. Dabei bat ich nur allzu oft, man möge langsamer sprechen, da ich in Druckschrift nicht so schnell sei. Das mir dabei entgegengebrachte Verständnis, ließ oft zu wünschen übrig. Ich hätte mir da mehr konstruktive Mitarbeit gewünscht, denn schließlich soll meine Doktorarbeit ja ein Beitrag sein, die Menschheit ein stückweit besser zu machen.
Dann kam mir auch noch dieser lästige Krankenhausaufenthalt dazwischen. Wegen eines Milzrisses musste ich meine Arbeit vorübergehend unterbrechen. Ich geriet in ein Gespräch zweier rivalisierender Fußballhooligans, die mit meiner Mitschrift ihrer Auseinandersetzung nicht einverstanden waren und mir dies auch nachdrücklich spiegelten.
Nachdem ich wieder genesen war, ging ich meine Arbeit wieder mit vollem Elan an. Von dem erhaltenen Schmerzensgeld kaufte ich mir eine Videokamera, um alle Gespräche digital erfassen zu können. Dies war vor allem eine Entlastung meiner Schreibhand. Diese war teilweise abends so schmerzhaft, dass ich nicht mehr in der Lage war, mein mir liebgewordenes abendliches Ritual durchzuführen, was mich sehr unentspannt werden ließ. Darunter musste wochenlang mein Umfeld drunter leiden. Erst als ich auf die andere Hand umstellte, entspannte sich wieder alles. Auf diese Idee hätte ich schon vor Jahren kommen können! Aber wahrscheinlich wird man erst im Alter klug! Eine Erkenntnis, die von Tag zu Tag immer mehr in mir reift. Es ist immer wieder erstaunlich, was sich während der Durchführung meiner wissenschaftlichen Untersuchungen, alles so als zufälliges Nebenprodukt dabei abfällt. Alleine mit diesem ganzen spirituellen Beifang könnte ich ein Buch mit Weisheiten herausbringen. Ach, es gibt ja so unendlich viel, was ich der Welt alles schenken könnte! Leider ignoriert die ganze Welt mich oder vielleicht kennt sie meine Telefonnummer nicht. Deshalb rufe ich nun täglich, jeweils zu den traditionellen Essenszeiten, meine Nummer lautstark aus dem Fenster, bis die Welt endlich anruft.
Und das ist mein Ansporn, der mich jeden Nachmittag aufstehen lässt. Egal ob ich ausgeschlafen habe oder eben nicht. Falschverstandene Rücksichtnahme gegenüber der eigenen Person ist da eben nicht an vorderster Stelle auf der nach oben offenen Wohlfühlrichterskala. Diese habe ich, während einer bettlägerigen Schnupfenphase, selbst entwickelt. Während sich die Viren rasend schnell verbreiteten, nachdem ich ein Volksfest besucht habe, blieb meine epochale Entwicklung vollkommen unbeachtet, was mich in eine persönliche Krise stürzte, die ich erfolglos selbst behandelte, indem ich mir strengste Bettruhe verordnete.
Aber so ist das eben mit dem Genie! Meist bleibt es unerkannt und erst nach dem persönlichen Ableben des Genies, wird er mit Orden und Ehren geehrt, was ihm dann auch nichts mehr nutzt, denn Hin ist Hin und man kann seinen Ruhm nicht mehr zu barer Münze machen. Gerade jetzt, wo sich mein Konto dem Siedepunkt entgegenüberweist, käme mir eine Preisvergabe mit monetärer Gratifikation mehr als gelegen. Jedenfalls weist mein soeben gezogener Kontoauszug schon rein farblich mehr als überdeutlich darauf hin, da er komplett in Rot gehalten ist. Zwar ist meine Bank durchaus noch liquide und könnte mich mit nötigem Geld weiter versorgen, doch stellt sie sich quer. Selbst Beschimpfungen am Telefon und der eindeutigen Androhung eines geplanten Selbstmordes konnte sie nicht überzeugen. Gestern, in höchster Not, wählte ich den Freitod. Festentschlossen stellte ich mich vor meine Bank, um durch Selbstentzündung ein weithinreichend deutliches Zeichen zu setzen, doch leider regnete es und die menschliche Fackel ließ sich nicht entzünden. Was hätte das für ein schönes Bild gegeben!
Andererseits hatte dieses ärgerliche Wetterphänomen auch eine positive Seite, denn wer hätte sonst diese Zeilen schreiben sollen, wenn ich mich für meine Bank entflammt hätte, damit denen einmal ein Licht aufgeht, was Kundenfreundlichkeit bedeutet. Inständig hoffe ich, dass diese mahnenden Worte, eines Tages in meinem Nachlass entdeckt werden und Lehrmaterial an Berufsschulen Pflichtlektüre wird. Möge es allen Bankern dieser Welt, Mahnung und Warnung zugleich sein. Nach meinem Tod werden sie sich kollektiv alle in den Hintern beißen, die mich finanziell zu Lebzeiten verhungern ließen. Ich kann die Zeit bis dahin kaum abwarten und trage vorsichtshalber ab nun stets ein Feuerzeug mit mir, falls ich zufällig einen Bankkaufmann auf privater Ebene treffe. Dann zeige ich ihm aber, was ich von seiner Mischpoke halte. Auch Bankkauffrauen können sich diesbezüglich nicht sicher wähnen, denn in der Beziehung bin ich zutiefst tolerant. Generell bin ich ja bei Frauen ohnehin schon immer sehr schnell entbrannt. Doch meist sah es so aus: Während ich noch lodernd entflammt war, blies sie die Lunte schnell wieder aus!
Diese kleine Anekdote erzähle ich immer gerne in ungezwungener Atmosphäre, wenn sich Wiedereinmal jemand ungefragt zu mir an den Tisch, in meinem Lieblingsbuchladencafé setzt.
Dies ist ohnehin eine Unart, wenn nicht gar eine Unhöflichkeit, ja fast schon eine Belästigung übelster sexueller Art, die immer häufiger grassiert.
Auch heute wieder, just in diesem Augenblick, nähern sich mir zwei junge unterdurchschnittlich attraktive Studentinnen, vermutlich theologischer Ausprägung, wie mir die verkniffenen Gesichter verraten, die deutlich eine Untervögelung ausstrahlen, wenn sie denn eine Ausstrahlung hätten. Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen okkupieren sie den Tisch und zwingen mich dazu, ihren theologischen Verschwörungsthesen lauschen zu müssen. Diese beiden „Jungfrauen des Herrn“ ließen keinerlei Zweifel aufkommen, dass sie es wohl bis zum jüngsten Gericht auch bleiben würden. Selbst zwei Tofuburger könnten mich mehr in eine sexuelle Ekstase treiben, als diese beiden innerlich verrunzelten Glaubensschwestern. Nicht das ich etwas gegen theologische Studentinnen hätte, aber sie müssen doch in Gottes Namen nicht auch so aussehen. Ich möchte schließlich meinen Milchkaffee genießen und nicht das die Milch darin sofort auch noch Sauer wird. Reicht ja schon, wenn ich es bin.
Diese Beiden näher zu beschreiben wäre dann auch vergeudetes Papier, da sie kaum den Weg in mein Bett finden werden. Jedenfalls nicht wenn sie es nicht unbedingt wollen. Normalerweise sollte man ja sich als Menschenfreund erwiesen und jedem eine Chance geben, aber ich vögle nicht gerne unter Niveau. Jedenfalls nicht nüchtern! Andererseits schätze ich natürlich ihre Grundhaltung. Denn sie verrichten ihr Geschäft ja meist im Knien! Dies jedenfalls würde mir ja entgegenkommen. Aber ich entschließe mich dazu, ein entsprechendes Angebot den beiden nicht zu unterbreiten. Erstens entsprechen sie nicht meiner ästhetischen Empfindung, noch bin ich morgens schon gewillt mich zu betrinken, nur damit diese angehenden Theologinnen ihren Spaß haben. Andererseits könnten sie dann bei der Beichte mal was Aufregendes erzählen können. Dann würde ihr Beichtvater aber ganz schön rote Ohren bekommen, denn ich bin gut, verdammt gut. Und was vorzuweisen habe ich auch. Einmal passierte es sogar, dass eine Frau nicht nur vor mir auf die Knie sank, sondern gleich in Ohnmacht. Und dafür hatte ich ihr vorher zwei Caipirinhas ausgegeben. Dies war eine der schlechtesten Investitionen, die ich je getätigt habe. Das war, wie Fernsehen bei Stromausfall. Absolut unbefriedigend! Ich habe sie dann auch, kaum das ich sie wach bekam, unverrichteter Dinge nachhause geschickt. Strafe muss eben sein! Ich habe mir dann ein Bier aufgemacht und Video geschaut. Auch in der Beziehung bin ich gut bestückt! Im Ergebnis war das auch viel effektiver. Man muss halt nur den richtigen Film auswählen. Alte Heimatfilme eigenen sich da nicht so. Am besten funktioniert es bei alten Hollywoodmelodramen. Casablanca habe ich mindestens Dreißig mal gesehen. Doch an die Handlung kann ich mich nicht erinnern. Den Schluss habe ich überhaupt noch nie gesehen, weil ich immer sofort danach einschlafe. Männer können sich eben nicht auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren. Wenn sie es könnten, dann wären sie ja eine Frau. Und dann gingen die Probleme ja erst richtig los. Schließlich möchte ich nicht von angetrunkenen und penetranten Männern angebaggert und abgeschleppt werden, die einen hinterher sofort heimschicken. Dazu bin ich mir zu fein. Wenn ich Frau wäre, dann sicher keine Schlampe oder Flittchen, die mit jedem dahergelaufenen Kerl in die Kissen springt. Als Frau möchte ich es romantisch und möchte vergöttert werden. Wer mich erobern will, der braucht schon Ausdauer und sollte auch nicht zu knapp bei Kasse sein. Wer meine weiblichen Rundungen erkundigen will, der muss ihn erst mit einem echten Pelz verhüllen. Wahre Liebe zeigt sich doch erst in der Großzügigkeit. Aber wenn ich mir diese beiden Bibelfanatikerinnen länger betrachte, können sie von solchen Verehrern, die sie auf Händen tragen und jeden Wunsch von den Augen ablesen, wahrlich nur träumen. Beinahe tun sie mir fast schon leid. Aber was kann ich dafür, dass sie nicht so einen makellosen Körper haben, wie ich ihn besitzen würde, wenn ich eine Frau wäre. Nun sitzen sie schon seit einer halben Stunde da, ohne etwas Substanzielles gesagt zu haben. War ja auch von Anfang an nicht zu erwarten. Von welchen aufregenden Erlebnissen sollten sie auch berichten können? Sie sitzen da, spielen an ihren Smartphones und reden, ohne etwas zu sagen. Und es ist nicht so, dass die eine redet und die Andere zuhört. Nein, sie reden gleichzeitig und scheinen trotzdem, auch währenddessen noch der jeweils anderen zuzuhören. Zum Glück müssen sie nicht auch noch nachdenken, was sie sagen. Sie plappern einfach so drauflos. Für`s Nachdenken haben sie scheinbar keine Kapazitäten mehr frei. Und diesen Dreiklang: reden, Zuhören und auf dem Smartphone tippen, schaffen sie mühelos. Wie sie es schaffen, dabei auch noch Atem zu holen, bleibt mir schleierhaft. Männer wären jetzt schon längst erstickt.
Und selbst wenn sie einmal Atem ziehen, der mir dann natürlich fehlt, nutzen sie die Gesprächspause für albernes Gelächter. Und als würde mich dies nicht schon an den Rand des Wahnsinns bringen, erscheint auch noch eine Kommilitonin und schiebt sich ungefragt einen Stuhl an den Tisch, der immerhin genug Sitzfläche bietet, teilweise ihrem Hintern eine Heimstadt zu bieten. Ich höre deutlich, wie der Stuhl ächzt und stöhnt, unter dem Gewicht, der seine Stabilität bis auf das Äußerste austestet. Das sind so Momente, wo ich Gott auf Knien danke, nicht als Stuhl geboren zu sein.
Mit ihren Oberschenkeln, die aus Statikgründen, dem Hintern proportional angepasst sind, schubbert sie ständig gegen die meinen, was meine Erregung auf den Plan ruft. Wobei sich die Erregung ausschließlich im Kopf und keineswegs in den Lenden abspielt, wo man es erwarten könnte, als gesunder und stets williger Mann. Mann kann und will ja immer. Nur weil ich an meinem Leben hänge, lässt mich dieses Wesen weiblichen Überangebots vollkommen kalt. Sie geht mir nur mental auf die Nerven, denn sie stimmt, inhaltlich genau so leer, in das Gespräch der beiden anderen Sinnlosquatscherinnen mit ein, was ein entspanntes Kaffeetrinken mir unerträglich und unmöglich macht. Und damit ist der Zeitpunkt gekommen, einmal deutlich zu zeigen, wer hier das Erstsitzrecht für diesen Tisch innehat.
„Ich hoffe, ich störe nicht!“, werfe ich, in einer aggressiven Grundhaltung, in die Runde. Besonders adressiert an die Runde, die noch lauter lacht als die beiden anderen, was kaum möglich erscheint.
Ungehört geht mein dezent verpackter Vorwurf im allgemeinen Geplapper unter. Jetzt ist unterschwelliger Psychoterror angesagt, um die lärmenden Sirenen von meinem Tisch und meinem gesamten Leben zu vertreiben. Ich nehme meine Geheimwaffe, den Kaffeelöffel zur Hand und beginne in meiner, inzwischen leeren Tasse, überlaut herumzurühren. Eine Tätigkeit, die angesichts der Tatsache, Kaffee ohne Zucker zu befürworten, für nicht Eingeweihte, als wenigstens sinnlos erscheinen lässt. Doch außergewöhnliche Umstände erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Es ist ein altbewährtes und erprobtes Mittel, was immer funktioniert. Doch die drei Grazien widerlegen diese These, indem sie ungehemmt weiter dusseliges Zeug quatschen. Und nicht nur das, sie ignorieren sogar das Scherbengericht, was ich nur ihnen zuliebe erzeugt habe, indem ich mit dem kleinen Blumenväschen vom Tisch, gegen mein Wasserglas geschlagen habe. Darauf waren die beiden Wassergefäße nicht eingestellt und gingen, entgegen meiner Intention, zu Bruch.
Der Kollateralschaden, meine durchweichte Hose, hielt sich in Grenzen. Die Bedienung kam eilig herbei, so eilig es eben Bedienungen haben, die den gesetzlichen Mindestlohn bekommen und gewöhnlich bei mir trinkgeldmäßig leer ausgehen, was sich ihnen ins Gedächtnis gebrannt hat.
„Was ist denn da passiert?“, fragt sie ahnungs- und auch teilnahmslos.
„Das Wasserglas konnte das Gewicht der Vase nicht abfedern und ergab sich seinem Schicksal. Aus Solidarität tat es ihm die Vase gleich.“, erklärte ich der verdutzt dreinschauenden Bedienung die Sachlage.
Ohne eine unnötige Diskussion anzufachen, deutete ich mit einer eleganten Geste, sie könne nun die Scherben entfernen. Der dazugehörige strenge Blick, den ich ihr zuwarf, ließ keinen Zweifel aufkommen, dass ich an einem aufklärenden Gespräch, wer daran Schuld hat, prinzipiell nicht interessiert. Ich hätte natürlich noch nachschieben können, dass ich sie für den Beweis halte, dass wir uns in der „Servicewüste Deutschland“ befinden, doch war dies diesmal nicht nötig. Sie erinnerte sich wohl noch schmerzhaft an vergangene Woche, wo mein Glas an Vase Trick noch so wundervoll funktionierte. Ihr Blick, auf die mit fünf Stichen genähte Hand, verriet es mir. Laut- und klaglos räumte sie die Scherben vom Tisch. Von all dem bekamen die drei Quarktaschen auf zwei Beinen, nichts mit. Ich grübelte unterdessen und suchte mein Hirn nach weiteren Lösungsmöglichkeiten ab, die mich zum finalen Sieger führen könnten. Erschrocken musste ich feststellen, ich hatte alle Kapazitäten sadistischer Möglichkeiten aufgebraucht. Jetzt musste dringend eine neue Stufe der „ich will allein hier sitzen“ Strategie entwickelt und versucht werden. Aufstehen und einfach gehen ist, wäre und wird nie eine Alternative sein. Fliehen vor dem fein hieße Kapitulation. Das Eingeständnis des persönlichen Versagens! Wie soll ein Mann mit einer solchen Schmach weiterleben können! Jetzt bleibt nur eines noch, ich muss mich auf das verlassen, was meine größte Kraft ist und was mich noch nie im Stich gelassen hat, meinen rationalen und unbestechlichen Verstand. Also lehnte ich mich entspannt in meinem Stuhl zurück, wohlwissend, in wenigen Minuten wird er sich melden und mir eine wirkungsvolle Waffe präsentieren, wie ich die Hoheit über meinen Tisch zurückerlangen kann. Ich wusste, er wird sich erst dann zu Wort melden, wenn er etwas Einmaliges, etwas Wirkungsvolles, etwas für alle Zeit Zerstörendes gefunden hat, was ich Generationen von genervten Männern zurücklassen kann, wenn mich der finale Ruf ereilt, von dieser Welt zu entschweben und ich mich der Feuersbrunst des hiesigen Krematoriums zur Auflösung meiner irdischen Hülle übereigne. Und so warte ich entspannt ab, was mir mein Verstand wohl ausheckt. Geduld ist eine Tugend, die bei mir besonders ausgeprägt ist. Doch heute wird er auf eine harte Probe gestellt, denn die Dreifaltigkeit an meinem Tisch tut alles, um mein inneres Gleichgewicht zu erschüttern. Es scheint ihnen nun ihrerseits ein dringendes Bedürfnis zu sein, mich von meinem Tisch zu vertreiben. Drei Sahnetorten, kolossalen Kalorienausmaßes, werden von der missmutigen Bedienung herbeigekarrt. Damit reduziert sich, meine ohnehin dezimierte Tischfläche, die mir noch zur Verfügung steht. Haarscharf an die Tischkante gerückt, jederzeit bereit, seitlich abzukippen und auf dem Fußboden ein klägliches Ende zu finden, bangt meine Kaffeetasse um ihr Leben. Hilflos sehe ich der Machtübernahme des Dreigestirns zu, denn mein Verstand lässt sich nicht drängen. Ich muss mich mit der Tatsache abfinden, er ist heute nicht in Bestform. Ja er schwächelt. Oder demonstriert er einfach seine Überlegenheit mir gegenüber? Ich weiß es nicht. Dieses zickige Gehabe bringt mich innerlich auf die Palme. Ausgerechnet jetzt wo ich in einer existenziellen Krise mich befinde. Da wird wohl ein ernstes Gespräch fällig. Ich kann mir ja schließlich nicht von meinem Verstand auf der Nase herumtanzen lassen. Er hat sich mir unterzuordnen und mir zu dienen.
„Reiß dich zusammen!“, zische ich leise in mich hinein und schlage mit aller mir möglichen Entschiedenheit, kräftig als Unterstützung meiner Drohung, heftig auf den Tisch, dass die Sahnetorten kollektiv erzittern. Den Redeschwall der Drei kann die Aktion jedoch nicht ausbremsen. Sie reagieren nicht einmal darauf, was ich meiner Kaffeetasse nicht vorwerfen kann. Sie verliert die Contenance und ihr Gleichgewicht und strebt hinab, wo sie böse aufschlägt. Sie ist, kaum unten angekommen, nicht mehr wiederzuerkennen. Erstaunt stelle ich fest, aus wie vielen Einzelteilen doch so eine zierliche Tasse besteht. Die Bedienung sieht sich gleichgültig alles an, was da so vor ihren Füßen auf sie wartet, um beigesetzt zu werden.
„Wenigstens der Tisch ist noch halbwegs ganz!“, meint das schnippige Ding trocken, ohne das ich ihr das Wort erteilt hätte.
Folglich reagiere ich auch nicht auf ihren unqualifizierten Einwurf. Wäre auch schwierig, solange mein Verstand in seiner Arbeitsverweigerungshaltung sich befindet. Solange der seinen Arbeitsprozessor nicht hochfährt, sitze ich hilflos da. Ich bin ein Gefangener meiner selbst! Kein schönes Gefühl. Noch vertraue ich zwar auf meinen Verstand, doch langsam beginnt es zu bröckeln. Ausgerechnet in der prekärsten Situation meines Lebens, sitze ich ohne verstand da. So war es bei der Schulabschlussprüfung, beim Führerschein und beim Erlangen des Seepferdchens. Und jetzt muss ich eine neue schmerzliche Niederlage befürchten, wenn er nicht langsam sich auf seine eigentliche Aufgabe besinnt. Seit beinahe einer Stunde sitze ich nun schon vollkommen verstandsfrei hier rum und mental sind mir die Hände gebunden. Ich leide, wie ich nur selten gelitten habe. Ich habe die Hoffnung schon fast aufgegeben, als sich doch noch etwas ereignet, was mir den Glauben an die Gerechtigkeit zurückbringt. Ausgerechnet die Bedienung, von der ich am allerwenigsten eine konstruktive Unterstützung erwartet habe, tritt mit einer erlösenden Bitte an den Tisch, der endlich die erhoffte Wende bringt.
„Ich muss abkassieren, wir schließen jetzt!“, sagt sie, in ihrem unvergleichlichen monotonen Singsang.
Genüsslich und mit einem Siegeslächeln verfolge ich, wie die drei Tischbesetzerinnen ihre Geldbörsen ergreifen und ohne dabei ihr Gespräch zu beenden, der Reihe nach zahlen, aufstehen und das Café verlassen. Mit einem triumphalen Überlegenheitsgefühl schaue ich ihnen verächtlich nach.
Wieder mit mir und der Welt im Reinen, sehe ich die Bedienung an und ganz glücklich, richte ich mich nun meinerseits mit einer dankbaren Bitte an meine neue Lieblingsbedienung.
„Junge Frau, dürfte ich dann auch bitte zahlen?“
Sie sieht mich kaum an und legt mir einen Rechnungszettel vor, den ich sofort in Augenschein nehme. Darauf ist vermerkt: eine Tasse Kaffee, ein Glas Wasser, eine Blumenvase, dazu noch die Kosten für das Glas und die Tasse. Alles in allem macht es zwanzig Euro. Ich lege ihr den Schein auf den Tisch und beende den Zahlungsverkehr mit den allseits beliebten Worten:
„Ich habe es passend!“

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