Immer wieder vernehme ich bei politischen Diskussionen zum Thema Klimawandel (sowohl in der Realität als auch virtuell) Äußerungen wie die folgenden: Sollen doch erst mal die Chinesen mit dem Klimaschutz anfangen, soll Greta Thunberg doch erst mal in die USA fahren und dort die Umweltsünder anprangern, Deutschland habe ja nur einen Anteil von einigen Prozent am globalen CO2-Ausstoß, da können die Deutschen ja nicht die Welt retten, außerdem wird hier ja schon so viel für den Klima- und Umweltschutz gemacht. Und zudem ist die Überbevölkerung ja ein großes Problem, wenn nicht gar die Ursache für den ganzen Klimawandel. Diesen „Argumenten“ ist allen eins gemeinsam: Man versucht auf diese Weise die Verantwortung von sich zu weisen und anderen zuzuschustern.
Natürlich ist da schon ein gewisser wahrer Kern in den meisten dieser Aussagen, denn in anderen Ländern sind die Umweltzerstörung und das Vorantreiben des Klimawandels mitunter tatsächlich deutlich stärker ausgeprägt als in Deutschland, und natürlich sind die Deutschen nur etwa ein Prozent der Weltbevölkerung, das allerdings auch für etwa zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist. Wie sollen wir (und damit meine ich uns als Teile der deutschen Gesellschaft und Volkswirtschaft) da also die ganze Welt retten?
Dieser vermeintlichen Schlüssigkeit kann man nun allerdings mit einigen sehr deutlichen „Aber“ begegnen.
Wir gehören zu den 10 % Reichsten und sorgen somit für die Hälfte aller CO2-Emissionen.
Unser Lebensstil ist sehr ressourcenintensiv, und global gesehen hat man nun mal das große Los gezogen, wenn man in Deutschland geboren wird, denn man zählt dann in jedem Fall zu den reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung. Da wir an diesem Lebensstil gern festhalten wollen, ist unsere individuelle Verantwortung für den Klimawandel auch entsprechend höher als die von Menschen aus ärmeren Ländern (s. dazu hier – leider nur als Bezahlartikel). Denn die 10 % der Reichsten, zu denen wir eben auch gehören (und was wir so auch in der Regel recht angenehm finden), sind nämlich für die Hälfte der globalen CO2-Emissionen verantwortlich.
Die historische „Schuld“ Deutschlands ist wesentlich größer als nur zwei Prozent.
Der Klimawandel ist eine Sache, die über viele Jahre betrachtet werden muss, und das, was wir heute davon wahrnehmen, geht zu einem großen Teil auf den CO2-Ausstoß von vor einigen Jahrzehnten zurück. Auch wenn der globale Temperaturanstieg so schnell wie noch nie in der Erdgeschichte vonstattengeht, so ist das immerhin noch ein Prozess, der eine historische Betrachtung benötigt. Und da sieht es dann schon mal nicht ganz so irrelevant aus, wen man sich die entsprechende Grafik in einem Artikel auf Spiegel Online von 2014 anschaut. Dort findet sich Deutschland nämlich an sechster Stelle im Nationen-Ranking der größten Klimasünder mit einem Anteil von immerhin 0,03 Grad an der Erderwärmung. Davor sind übrigens nur Länder mit deutlich mehr Einwohnern.
Als Teil der Volkswirtschaft haben wir nicht nur Verantwortung für unser individuelles Konsumverhalten.
Und wenn man sich da dann mal eine Grafik auf dem Statistikportal statista anschaut, in der die zehn größten Klimasünder-Unternehmen Europas aufgelistet sind, dann springen einem dabei gleich mal sieben aus Deutschland ins Auge – allesamt Braunkohlekraftwerke. Da hier in Deutschland immer wieder Regierungen gewählt werden, die Braunkohle als Energieträger fördern und erneuerbare Energien ausbremsen, hat also unser Wahlverhalten einen ziemlich unmittelbaren Einfluss auf den Klimawandel.
Wir haben die Möglichkeiten, etwas dagegen zu machen.
In Deutschland haben die allermeisten Menschen ein Dach über dem Kopf, genug Essen, sauberes Wasser und medizinische Versorgung (zumindest im Regelfall). Das sind (gemäß der Maslowschen Bedürfnispyramide) Voraussetzungen, um sich überhaupt mit politischen, sozialen und gesellschaftlichen Dingen auseinanderzusetzen, die einen nicht nur selbst betreffen. Wer den ganzen Tag damit beschäftigt ist, sich um diese existenziellsten Dinge des Lebens kümmern zu müssen, von dem kann man das schlichtweg nicht erwarten.
Und wir können uns zudem hervorragend informieren (denn wir haben die Möglichkeit, Medien zu nutzen, was eben leider auch keine Selbstverständlichkeit für alle Menschen auf der Welt ist) – aber viel zu viele von uns ignorieren das. Wir können schon seit Jahren wissen, wohin unser derzeitiger Lebensstil und das marktradikale Weltwirtschaftssystem die Menschheit führen, allerdings wird das oftmals lieber ausgeblendet, was ja auch viel bequemer ist, da man sonst das eigene Konsumverhalten hinterfragen (und eventuell sogar einschränkend etwas ändern) müsste.
Die Überbevölkerung ist nur Symptom und nicht Ursache unseres aus dem Ruder laufenden Systems.
Im Zuge der Diskussion über die eigene Verantwortung wird dann auch sehr gern und häufig angeführt, dass ja die Überbevölkerung vor allem das größte Problem und hauptsächlich verantwortlich für den Klimawandel sei. Auch da ist natürlich ein bisschen was dran, denn mehr Menschen produzieren auch mehr CO2, allerdings ist es gerade in den Ländern mit den höchsten Geburtenraten ja so, dass die Pro-Kopf-CO2-Emissionen doch deutlich unter denen von uns hier in Deutschland liegen.
Zudem ist dieses hohe Bevölkerungswachstum vor allem in Afrika und Asien der derzeitigen Welthandelsordnung geschuldet, welche die dortigen Länder immer noch vor allem als Quelle günstiger Ressourcen und Arbeitskräfte sieht (in Bezug auf Afrika ist hierzu ein Interview mit Tom Burgis auf den NachDenkSeiten sehr interessant). Solange sich in vielen asiatischen, aber vor allem auch afrikanischen Ländern keine demokratischen und sozialstaatlichen Strukturen bilden können, weil wir eben davon profitieren, dass es diese dort nicht gibt, werden die Geburtenraten dort nicht so wirklich niedriger werden.
Insofern haben auch wir eine Verantwortung für die Überbevölkerung – nur haben das diejenigen nun so gar nicht im Sinn, die Überbevölkerung vor allem deswegen argumentativ ins Feld führen beim Thema Klimawandel, weil das einen selbst ja nicht betrifft (mal wieder) und man dabei so schön auf „die anderen“ zeigen kann, die bequemerweise auch noch richtig schön weit weg am anderen Ende der Welt zu Hause sind.
Und dann ist da auch noch das Artensterben …
Und als wenn das alles noch nicht ausreichen würde, so ist Deutschland leider auch sehr gut dabei, das Artensterben voranzutreiben – da ist mittlerweile von dem sechsten großen Artensterben der Erdgeschichte die Rede, wie in einem sehr lesenswerten Artikel von Tanja Busse in den Blättern für deutsche und internationale Politik näher beschrieben wird. Auch dies stellt eine elementare Bedrohung des Überlebens der gesamten Menschheit dar, und ähnlich wie beim Klimawandel werden die Warnungen von Wissenschaftlern schon seit längerer Zeit recht konsequent ignoriert. Hierfür kann man also die gleiche Verantwortung, die wir als Deutsche dafür haben, attestieren wie beim Klimawandel.
Keine einfache Sache mit der Verantwortung …
Dass das alles nicht so ganz simpel ist mit der Verantwortung, habe ich vor einiger Zeit ja schon mal in einem Artikel auf unterströmt festgestellt. Was vor allem auch damit zusammenhängt, dass uns vonseiten der Politik und Medien immer wieder ein reichlich schiefes Bild der Verantwortung vermittelt wird, was eben nicht auf ethischen Gesichtspunkten basiert, sondern sich rein an wirtschaftlichen Interessen orientiert.
Und was das angeht, ist es auch wirklich schwierig, als Einzelner überhaupt etwas bewegen zu können. Klar, fürs eigene Gewissen und im Sinne einer Vorbildfunktion ist es natürlich schon sinnvoll, zu versuchen, seine Lebensweise möglichst nachhaltig zu gestalten, aber man sieht ja nur allzu deutlich, was das eigentlich ja immer mehr um sich greifende Umwelt- und Klimabewusstsein bei vielen Einzelnen bewirkt: Der Absatz von SUVs, Kreuzfahrten und Flugreisen erfreut sich in diesem Jahr neuer Höchstmarken. Es scheint also doch eher so zu sein, wie es Kathrin Hartmann in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung und Thilo Bode in einem Interview mit foodwatch darstellen: Als Konsument haben die individuellen Endverbraucher so gut wie nichts zu melden, was die Gestaltung des Gesamtwirtschaftssystems angeht (s. dazu auch hier).
… aber wir müssen sie dennoch wahrnehmen!
Und trotzdem sollten wir uns unserer Verantwortung stellen und diese nicht ständig mit dann letztlich doch (wie oben aufgezeigt) fadenscheinigen Gründen von uns weisen. Wir sind diejenigen, die in einer Volkswirtschaft leben, die nach wie vor davon profitiert, dass der Klimawandel angeheizt, die Umwelt zerstört und das Artensterben vorangetrieben wird – mal abgesehen davon, dass Millionen Menschen für unseren Wohlstand überall auf der Welt zu teilweise erbärmlichen Bedingungen schuften.
Und insofern können wir uns dessen zumindest mal bewusst werden und die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen, was mit dem individuellen Verhalten beginnt und mit der Verantwortung für unsere Regierung (denn die haben wir als Teil der Wählerschaft) endet.
„Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier?“, so hat Rio Reiser schon vor über 30 Jahren gesungen. „Wie, wenn ohne Liebe?“ ist schon mal ein guter Hinweis, wie es funktionieren kann. Und dann kommt das Entscheidende:
„Wer, wenn nicht wir?“
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