Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Maaßen vergleicht „kulturfremde Ausländer“ mit Krebs – Fachleute sind entsetzt
Hans-Georg Maaßen, der ehemalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, sorgte erneut für Aufsehen durch einen Artikel, in dem er unkontrollierte Einwanderung mit Krebs verglich und eine "Chemotherapie für Deutschland" forderte. Maaßen sprach von "schmerzhaften Operationen", um die vermeintliche "Migrationskatastrophe" zu stoppen. Er beschuldigte die Regierung, auf den "Zusammenbruch der deutschen Gesellschaft" hinzuarbeiten und ein "neosozialistisches Gesellschaftssystem" auf den "Trümmern" Deutschlands aufzubauen. Diese Äußerungen riefen Empörung hervor und führten zu Forderungen nach seinem Ausschluss aus der CDU. Obwohl ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet wurde, bleibt Maaßen Mitglied, und die CDU plant, die Entscheidung auf Landesebene anzufechten. Maaßens kontroverse Rhetorik reiht sich in eine Serie umstrittener Äußerungen ein, die bereits zuvor seine Nähe zu rechtsradikalen Ideen zeigten. Die Debatte um seine Person wirft Fragen zur Grenze akzeptabler politischer Diskurse auf und verdeutlicht die Spannungen innerhalb der CDU hinsichtlich extremistischer Tendenzen in den eigenen Reihen. (Robert Wagner, FR)
Ich habe schon öfter darauf hingewiesen, dass diese Dynamik typisch ist. Jemand beginnt den Weg ins politische Rampenlicht mit "sagen, wie es ist", einem Verstoß gegen "political correctness" (oder was dafür gehalten wird), mit leicht anstößigen, aber jederzeit relativierbaren und in den Raum des Akzeptablen zurückzuholenden Aussagen. Das generiert für ein, zwei Medienzyklen Aufmerksamkeit, vielleicht reicht es für einen Buchdeal, eine Kolumne bei NIUS oder einen YouTube-Kanal. Ob aus Sucht nach der neu erlebten Aufmerksamkeit oder einfach um relevant zu bleiben und das neue Geschäftsmodell weiter nutzen zu können, es wird immer weiter eskaliert. Es folgt der nächste Tabubruch, und der nächste, und der nächste, und jedes Mal geht man weiter als vorher. Bei manchen Leuten sorgt das für Fehltritte, die mal mehr, mal weniger nachhaltig sanktioniert werden (Verlust von Kolumnen etc.), führt oft genug auch zu einer neuen Bescheidung danach, um Gras über die Sache wachsen zu lassen (Rainer Meyer ist da Experte drin, oder Sahra Wagenknecht). Bei anderen geht die Spirale immer weiter in den Abgrund (Sarrazin, Maaßen).
Ich glaube, das liegt einerseits an den mangelnden Fähigkeiten (weder Sarrazin noch Maaßen sind politische Genies), andererseits aber daran, dass es nicht nur ein rhetorisches Spiel war, von dem man jederzeit ohne Schaden für die eigene Identität zurücktreten kann, sondern Ausdruck tiefer Überzeugungen. Sarrazin war schon immer jemand mit biologistischem Rassismus, Maaßen schon immer jemand mit rechtsradikalen Ansichten. Sie fielen nur vorher nicht auf. Maaßen ist auch kein Konservativer (mehr), seine Rhetorik ist nicht konservativ. Diese Bezeichnung funktioniert höchstens in den USA, nicht aber in Deutschland. Konservative wollen keine "Krebsgeschwüre" aus dem deutschen Volkskörper chemotherapieren. Das ist die Sprache rechtsradikaler Hetzer.
2) CSU fordert Aberkennung von Doppelpässen bei schweren Straftaten
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) plädiert dafür, Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft bei schweren Straftaten, wie antisemitischer Gewalt, Mord oder Vergewaltigung, die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Er betont, dass Doppelstaatler nicht automatisch lebenslange Privilegien erhalten sollten, unabhängig von schweren Straftaten, und sieht eine Grundgesetzänderung dafür als notwendig an. Herrmann reagiert auf die geplante Staatsangehörigkeitsrechtsreform der Ampelregierung, die eine erleichterte Erlangung des deutschen Passes und die Einführung von Doppelpässen vorsieht. Kritisch äußert er sich gegen einen "Persilschein" für Doppelstaatler, die das Gemeinwesen durch Straftaten schädigen. Die geplante Gesetzesänderung sieht vor, dass Personen, die bereits Straftaten begangen haben oder durch menschenverachtende Handlungen aufgefallen sind, keinen deutschen Pass erhalten sollen. (dpa, ZEIT)
Die CSU fordert hier etwas, das offensichtlich gegen die Verfassung in ihrer aktuellen Form verstößt und fordert das Problem dadurch zu beheben, dass man die Verfassung ändern müsse. Das Muster durchzieht übrigens den gesamten Prozess der Flüchtlings- und Migrationsdebatte. Merkwürdigerweise haben all jene, die sich gar nicht genug über grüne Forderungen nach einer Reform der Schuldenbremse echauffieren können, da gar kein Problem damit. - Ich bleibe dabei: die Forderung nach einer Verfassungsänderung ist natürlich grundsätzlich legitim. Ich halte Herrmanns Forderung für kompletten, rassistisch begründeten Bullshit, die zudem mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft und dem de facto Ausstoß aus Deutschland ein zweirangiges Staatsbürgerschaftsrecht aufmacht, in dem Menschen mit Doppelpass eine erkennbar niedrigrangigere Stellung innehaben. Das ist ekelhaft, besonders wenn man bedenkt, wie wenig Probleme die Partei mit Aiwanger und seinen Spießgesellen hat. Aber das Problem besteht auf inhaltlicher Ebene; Herrmann ist kein Verfassungsfeind. Nebenbei bemerkt: ich weiß nicht, wie viele Leute es gibt, die fordern, dass schwere Straftäter*innen oder solche, die menschenverachtende Handlungen begangen haben, eine deutsche Staatsbürgerschaft bekommen sollen. Kann mir nicht vorstellen, dass das viele sind.
3) Das Problem hat einen Namen: FDP
Die Ampelkoalition in Deutschland steht vor einem politischen Dilemma, nicht einem rechtlichen. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich klargestellt, welche Bedingungen für eine Aussetzung der Schuldenbremse gelten müssen, aber die FDP, die auf ihre "keine Schulden, keine Steuererhöhungen" Maxime beharrt, blockiert. Dies führt dazu, dass die Ampelregierung handlungsunfähig ist. Die Grünen, ursprünglich angetreten, um den Klimaschutz voranzutreiben, sehen sich durch fehlende finanzielle Mittel ausgebremst und überlegen, ob sie weiterhin Teil der Ampel sein sollen. Dank einer stabilen Wählerbasis könnten sie die Koalition ohne großen Schaden verlassen, im Gegensatz zu SPD und FDP, die in den Umfragen abrutschen. Besonders die FDP steht unter Druck, da sie um ihre Existenz bangen muss. Ein Scheitern der Ampel würde zeigen, dass die Partei unter Lindner nicht regierungsfähig ist. Die FDP hat sich inhaltlich in eine Sackgasse manövriert, indem sie als Wirtschaftspartei agiert, während viele Unternehmen die Notwendigkeit des Klimaschutzes erkennen und sich stattdessen für staatliche Subventionen interessieren. Lindner ist isoliert und drängt daher darauf, in der Ampel zu bleiben, auch wenn er wohl Zugeständnisse machen muss, um eine gesichtswahrende Lösung zu finden. (Ulrike Herrmann, taz)
Ich stimme Herrmann insoweit zu, als dass es sich um ein politisches Problem handelt und nicht um ein rechtliches; das haben wir ja bereits hinreichend diskutiert. Der Rest des Artikels aber ist in meinen Augen Unfug. Ich verstehe diese Weigerung auf der Linken, die roten Linien der FDP zu erkennen, einfach nicht. Ich halte die Schuldenbremse ja auch für Unfug, aber die FDP-Wählendenschaft halt nicht. Sie einzuhalten war das zentrale Versprechen von Lindners Wahlkampf 2021, und dass er nun gezwungen ist, sie für 2023 erneut auszusetzen (mit vergleichsweise hanebüchenen Konstruktionen) und in realer Gefahr steht, es 2024 noch einmal tun zu müssen, könnte der Partei bei den Wahlen 2025 (oder früher, wenn es dumm läuft) das Genick brechen. Die CDU wetzt schon die Messer. Wenn die Ampelkoalition halten soll, MUSS man die rote Linie der Schuldenbremse mitbedenken. Sollte die FDP ihre Haltung ändern? Sicher. Wird sie das tun? Kaum. Sie befindet sich in einer ähnlichen Situation wie 2010/11, als sie die überkommenen EU-Fiskalregeln um jeden Preis erhalten wollte. Ich würde argumentieren, dass sie sich ein wenig selbst in diese Sackgasse manövriert hat, aber das ändert nichts an der grundlegenden Bedeutung des Themas für die liberale Identität. Die Atomkraftwerke abzuschalten war auch nicht eben etwas, das mit den Grünen verhandelbar war. Schon die Verlängerung um drei Monate führte zu heftigem Rumoren an der grünen Basis; warum sollte das bei der FDP und der Schuldenbremse anders sein? Man koaliert mit real existierenden Parteien, nicht mit Wunschkonstruktionen, und man sollte aufpassen, wo die Bruchpunkte liegen.
Der Text erwähnt den Gründungsparteitag der Grünen 1980 und diskutiert aktuelle Herausforderungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Ampel-Bundesregierung. Dabei wird auf ein kürzliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Mittelverteilung für den Klima- und Transformationsfonds eingegangen. Weitere Themen sind die Migrationspolitik, der Israel-Hamas-Konflikt und die Haltung der Grünen zum Ukraine-Russland-Konflikt. Der Text thematisiert auch die mögliche Versuchung für die Grünen, sich in einem restaurierten Machtmodell selbst zu verzwergen, und betont die Bedeutung eines realpolitischen Pragmatismus. Insgesamt gibt der Text Einblicke in die internen Dynamiken, Herausforderungen und Positionen der Grünen zu verschiedenen politischen Themen. (Udo Knapp, taz)
Nicht nur die FDP ist angesichts der aktuellen Krise in heftigen Problemen, sondern auch die Grünen. Dieser Kommentar ist, anders als Fundstück 3, in meinen Augen wesentlich realistischer, was die Lage angeht. Die Grünen hängen stabil zwischen 14% und 18%, je nach Umfrage (die ständige Berichterstattung über ihre angeblichen Verluste ist angesichts der Zahlen von FDP und SPD sehr merkwürdig, siehe auch Resterampe l). Eine echte Machtoption fehlt ihnen gerade aber. Mit Ausnahme der AfD ist gerade schlicht keine Partei in einer sonderlich günstigen Lage. Alle stehen zwischen der Aufgabe von Kernpositionen (Schuldenbremse, Migrationspolitik, etc.), überall sind "schmutzige" Kompromisse nötig, müssen Hoffnungen und Erwartungen enttäuscht werden. Die Schuld bei den anderen zu suchen ist sicher verlockend, aber wenig zielführend.
5) Verfassungswidrige Sprachverbote
CDU und SPD in Hessen haben sich auf ein Eckpunktepapier für Koalitionsverhandlungen geeinigt, in dem sie ankündigen, geschlechtergerechte Sprache in staatlichen Institutionen, einschließlich Schulen und Universitäten, zu verbieten. Sie wollen sich am Rat der deutschen Sprache orientieren und auf genderneutrale Schreibweisen verzichten. Der Text argumentiert, dass ein solches Verbot verfassungswidrig wäre, da es das Grundrecht auf Gleichbehandlung verletzt. Die Verpflichtung zur Gleichbehandlung von Frauen im staatlichen Sprachhandeln besteht bereits seit Jahrzehnten. Der Artikel kritisiert auch den Einsatz von Antifeminismus und Anti-Gender-Ideologien als Brücken in die gesellschaftliche Mitte. Der Text betont die Wichtigkeit geschlechtergerechter Sprache und argumentiert gegen das geplante Verbot, das als Verfassungsbruch betrachtet wird. (Ulrike Lembke, Verfassungsblog)
Ich lasse das hauptsächlich mal hier um zu zeigen, dass Forderungen von irgendwelchen Sachen vielleicht verfassungswidrig sein könnten, man das aber nicht weiß, bis es ein entsprechendes Urteil vorliegt. Mein begrenzter juristischer Sachverstand sagt zu Lembkes Ausführungen, dass das eine vergleichsweise weitreichende Betrachtung des Gleichberechtigungsartikels durch das BVerfG erfordern würde - aber es ist jetzt nicht eben so, als sei eine weitreichende Auslegung von Grundrechten in unerwartete Richtungen etwas, das keine Präzedenzfälle mit dem Gericht hätte. Die Forderung von Verboten und potenziell verfassungswidrigen Maßnahmen ist immer kein Problem, wenn man ihnen zustimmt; da kann man dann die juristischen Argumente als vom ideologischen Gegner motiviert verwerfen und das Verbot entsprechend umdeuten. Aber das ändert wenig daran, dass das Ausmaß nicht absehbar ist, bevor man ein Urteil auf dem Tisch liegen hat.
Resterampe
a) Fie FAZ hat was zum krassen Einbruch der Kirchenmitgliedschaften.
b) Drei Gründe, die gegen eine EU-Armee sprechen. Dauerdiskurs zur Vermeidung des eigentlichen Diskurses, in meinen Augen.
c) Diese Analyse zum Grünen-Programm von Jonas Schaible von 2021 ist ziemlich gut gealtert.
d) Has Anyone Noticed That Trump Is Really Old? Eines der vielen Medienversagen, über die ich geschrieben habe.
e) Nochmal zwei Artikel zu Argentinien.
f) Eine Kritik am BVerfG-Urteil zur Schuldenbremse aus juristischer Sicht.
g) Der Spiegel hat eine großartige Übersicht über Sparpotenziale beim Sozialhaushalt.
h) Ein indirektes Streitgespräch zwischen Rudi Bachmann und Lars Feld über eine Reform der Schuldenbremse.
i) Noch mehr Kritik am Zusammenhaltsbericht. (Bluesky)
j) Have You Listened Lately to What Trump Is Saying?
k) Diese Umfragenberichterstattung ist echt nur nervig.
l) Intellektuelle Unaufrichtigkeit bei der Bürgergelddebatte ist leider auch Standard.
m) Die Welt hat einen ausführlichen Artikel zu Wissings Scheitern bei eFuels.
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