Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Wenn einen nichts mehr wundert

Und diese reichen, verwöhnten kleinen Jungs, die in der Schülerunion aufgewachsen sind, wo man bekanntlich schon Punkte fürs Schmusen und Pempan mit Funktionären sammeln konnte; genau diese unqualifizierten Dilettanten, die mal Finanzminister, dann wieder Kulturminister oder Außenminister sind, als würden sie Praktikumsstellen durchprobieren, als hätte das, was sie tun, keine realen Konsequenzen; die mit fremdem Geld um sich werfen, als wären es Sektkorken im Motto am Fluss – genau diese Menschen also haben die Unverfrorenheit, zu sagen, dass "Solidarität keine Einbahnstraße" sein darf, dass "Hilfe nach Möglichkeit stets 'Hilfe zur Selbsthilfe'" sein soll, dass man "Hilfe vor Ort" leisten müsse, dass sich "2015 nicht wiederholen" dürfe. 2015, der einzige Moment, in dem Europa einmal für einen Wimpernschlag so etwas wie kollektive Mitmenschlichkeit gezeigt hat: Das darf sich auf keinen Fall wiederholen! Sebastian Kurz hat die Dreistigkeit, zu sagen, dass jeder, der "gesund ist und arbeiten kann, auch arbeiten gehen muss". Sebastian Kurz, der von Steuergeldern lebt, der dem Staat seit seiner Jugend auf der Tasche liegt, der nicht einmal sich selbst aus der sozialen Hängematte holen kann, der im Bezug auf ertrinkende Flüchtlinge gesagt hat "es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen" – dieser Mensch, der nicht nur seine Haare in Schwankungsbreite frisiert, wagt es, zu behaupten, sein Land sei ihm wichtiger als seine Person. (Elias Hirschl, ZEIT)

Dass unangenehme Leute unangenehme Politik machen, überrascht vermutlich nicht. Wer den Staat als Selbstbedienungsladen sieht, wird ihn auch so führen. Aber ich mag das Narrativ vom "Staat auf der Tasche liegen" nicht. Ich bin sicher kein Kurz-Fan, aber der Mann hat seinem Land gedient (auch wenn man über die Bewertung dieses Dienstes streiten kann!). Er war im Parlament, wer war Minister, er war Bundeskanzler. Das ist nicht "dem Staat auf der Tasche liegen" oder "von Steuergeldern leben". Der Mann hat gearbeitet, und sicher auch hart gearbeitet, und wurde dafür bezahlt. Ich habe null Geduld für diese Politikverachtung. Die Leute machen das nicht als Hobby, das ist ihr Beruf.

2) Zu alt im Kopf?

Und der eigenartige Widerspruch zwischen Größe und Ergebnis ist bei der JU ja tatsächlich erstaunlich. Die Junge Union bezeichnet sich als größte politische Jugendorganisation Europas. Sie hat fast 100 000 Mitglieder - und damit deutlich mehr als die ganze FDP. Besonders attraktiv für Jungwähler scheint sie trotzdem nicht zu sein. Das hat vermutlich auch mit Vertretern wie Philipp Amthor zu tun. Amthor ist erst 28 Jahre alt, hat aber schon die ersten Affären hinter sich. Er hat sich trotzdem wieder in den JU-Vorstand wählen lassen - ausgerechnet als Schatzmeister. Und bei der Bundestagswahl war er trotzdem Spitzenkandidat der CDU in Mecklenburg-Vorpommern. Die Christdemokraten haben in dem Land dann mehr als 15 Prozentpunkte eingebüßt und damit noch viel schlechter abgeschnitten als im Bund. Amthor hat auch seinen Direktwahlkreis verloren, er landete sogar nur noch auf Platz drei. Doch all das scheint ihn nicht nachdenklich zu machen. Er gibt seiner Partei weiterhin beinahe täglich Ratschläge. Denn es gibt ja viele vom Schlage Amthors. Zum Beispiel den Hamburger Parteichef Christoph Ploß. Der Mann ist 36 Jahre alt. Mit ihm als Spitzenkandidat hat der CDU-Landesverband ein katastrophales Ergebnis eingefahren. Aber Ploß tourt trotzdem durch die deutschen Fernsehkanäle und fordert eine konservativere und wirtschaftsliberale CDU. (Boris Herrmann/Robert Roßmann, SZ)

Es ist ein typisches Phänomen aller Parteien - und vermutlich Organisationen generell - dass Misserfolg den eigenen Einfluss eher stärkt als schwächt. Eines der prominentesten Beispiele ist bekanntlich das Labour-Wahlprogramm von 1983, das angesichts ihrer Unbeliebtheit ein Programm mit den unpopulärsten Maßnahmen aufstellte. Diese Gefahr ist natürlich auch für die Union real.

Ich würde aber generell davor warnen, wie im Artikel geschehen den Kontrast zu den Jusos überzubewerten. Jugendorganisationen von Parteien, ob CDU, ob Grün, ob AfD, ob FDP, sind nie repräsentativ für junge Menschen, genausowenig wie es die oberen Ränge der Partei sind. Olaf Scholz' Werdegang ist genauso wenig typisch für Deutschland wie der von Wolfgang Schäuble; etwas, das beide mit den CEOs der großen Konzerne gemeinsam haben. Warum sollte das in den Jugendorganisationen anders sein? Wer sich dort engagiert, will üblicherweise eine politische Karriere machen. Allein dieser Wunsch setzt ihn oder sie von 99% der Altersgenoss*innen ab, Minimum. Das kann nicht überraschen.

3) Chartbook #44: The Cross of Gold – populism, democratic iterations and the politics of money

Then there is the meta question. Set against the backdrop of recent history the fact that we are debating monetary policy at all can seem shocking. In the era of the 1980s and 1990s, insulating monetary policy from democracy was a key priority. The point, Rudiger Dornbusch, the influential MIT macroeconomist, liked to insist, was to put an end to “democratic money”. But for money to be unpolitical, is not the natural order of things. It is the effect of a particular politics, a metapolitics of depoliticization. As Stefan Eich shows us in his forthcoming book, the Currency of Politics, the argument over the politics of money goes back to the ancients. The question should not be – “political money, or not?”. “Democratic money, or not?” The question should be – What kind of politics of money? What kind of democratic money? [...] The Fed in particular was a product of this balance of forces. The Wall Street lobby had its say, as did progressive technocratic ideas. But the Fed that emerged in 1913, as a public body with a governing board located in Washington DC rather than Wall Street, was viewed with deep suspicion by the financial lobby and denounced as product of meddling populist impulses. [...] If the crisis of 2008 did one thing, it ended the illusion that money could be unpolitical. In the years since, central banking choices have been debated and open to public scrutiny. The level of popular engagement is nowhere near that described, perhaps wishfully by Bryan in 1896. But it is nonetheless novel. And, as the blog post by Jäger and Maggor attests, that process, again and again, recurs to the populist moment. (Adam Tooze, Chartbook)

Ich sehe diesen Artikel vor allem als Ergänzung zu unserer Geldpolitik-Diskussion im letzten Vermischten. Es ist ein völliger Irrtum zu glauben, dass Geldpolitik jemals "unpolitisch" sein könnte. Das "unpolitische" am Aufbau etwa von Bundesbank und der nach ihr modellierten EZB ist undemokratisch, nicht unpolitisch. Ich meine das übrigens hier wertneutral; die Idee ist durchaus liberal! Es ging ja immer - und das wurde offen erklärt - darum, die Geldpolitik dem politischen Aushandlungs- und Kompromissprozess, vor allem aber dem Druck der Demokratie zu entziehen.

Das schützt die Geldpolitik einerseits vor populistischem Druck oder spontanen Launen sowie "bad faith actors", aber da die Hüter*innen der Geldpolitik gleichzeitig spätestens durch die neoliberale Wende der 1970er Jahre direkt mit den Interessen der reichen Elite verbandelt wurden, sorgt das gleichzeitig für eine gewaltige Schlagseite. Es wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass die Ursache dieses Wandels im Versagen der vorher etwas "demokratischeren" Geldpolitik der 1960er und 1970er Jahre war (Stichwort Stagflation), aber das ändert wenig daran, wessen Interessen sie seit 40 Jahren dient.

4) Maybe Supreme Court Judges Really Are Driven by Politics

But it is hard to take them seriously when the reality is that their differing philosophies have obvious political consequences. Nowhere is this truer than whether the Court decides to uphold individual rights or instead defer to state restrictions. When a plaintiff challenges a state law as unconstitutional, the Court must decide whether the law actually infringes an individual right and whether the state has a good enough reason for doing so. If the right is deemed “fundamental,” then the state must satisfy a high bar to justify it. That’s because various parts of the U.S. Constitution (especially the Bill of Rights and other amendments) are designed to protect individual rights against government encroachment. But in case after case involving voting rights, abortion, and other hot button issues, the newly emboldened conservative majority has simply deferred to a state’s rules. That is, they have approved of laws that infringe individual liberties without requiring much justification from the state on why those laws are necessary given the specific circumstances. They have credited a state’s rules over fundamental rights. (Joshua Douglas, Washington Monthly)

Mir ist völlig unklar wie irgendjemand ergebnisoffen diskutieren kann, ob der SCOTUS politisch ist. Selbstverständlich ist er das. Und das betrifft, anders als es der Artikel insinuiert, nicht nur die rechtsradikalen Richter*innen, sondern auch die "Moderaten" und natürlich die Liberalen genauso. Der SCOTUS ist im Kern politisch und parteiisch, und das frisst seine Legitimation. Seit 20 Jahren spreche die Konservativen offen über die Kontrolle durch die Ernennung politisch genehme Richter*innen und feiern das als große Leistung; wie soll das nicht politisch sein? Inzwischen sprechen die Progressiven offen von Court Packing und der Einführung von Amtszeiten. Ist das etwa irgendwie unpolitisch? Sind die Entscheidungen das irgendwie? Diese Lebenslügen sind einfach nur nervig.

5) How the GOP won at identity politics

After signing Paul Ryan's deeply unpopular tax cut, and seeing his approval crater, the main domestic accomplishment of the latter part of President Trump's term was bi-partisan COVID relief so large and generous that poverty actually fell during the pandemic even as unemployment skyrocketed. Since Biden's election, Sen. Mitt Romney has been advertising his willingness to further expand the social safety net to enact a child welfare entitlement, while Senate Majority Leader Mitch McConnell allowed a trillion-dollar infrastructure bill that pours huge sums into rail, enacts vital environmental cleanup, and spends significant funds on grid upgrades and electric vehicles to pass the Senate with substantial Republican support. This is not the GOP the Freedom Caucus fought to create — and voters have undoubtedly noticed. It's not that Republicans have gone soft, though. Rather, the GOP can be flexible on policy because its coalition is increasingly held together by identity rather than ideology. This is in part a consequence of educational polarization: Better-educated voters tend to be more ideological and therefore less flexible in their views, while less-educated voters have less-settled views on most policy matters. [...] Given the landscape, it's not hard to see an opportunity for Republicans not only to win, but to build a more durable majority. It's an opportunity I fully expect them to fumble; a party united purely around opposition is not going to have the discipline to chart a path forward, and a party dedicated above all to dividing the country to conquer it can't build a durable majority of any kind. Between widespread indulgence of paranoia and conspiracy-mongering and Trump's own distinct pathologies, plus his ability to make himself the only legitimate topic of conversation, the GOP may well crash the car even if the road to victory is straight and clear. (Noah Millman, The Week)

Ich habe zu viele "durable majority"-Theorien gelesen und nicht passieren sehen, um diesen düsteren Prognosen allzu viel Raum zu geben. Gerade in einem Zwei-Parteien-System gilt das Gesetz von Aktion und Reaktion, und all diese Prognosen nehmen an, dass die Gegenseite statisch bleibt - was nie der Fall ist. Sie machen daher vor allem Sinn um zu beschreiben, wo Änderungen und Reaktionen bei der Gegenseite voraussichtlich auftreten.

Die Erwartung nach den Niederlagen von 2008 und 2012 war, dass die Republicans ihre Haltung zur Immigration ändern würden. Das ist, höflich ausgedrückt, so nicht passiert. Stattdessen änderten sie ihre Haltung zu Krieg und Sozialstaat, was a) wesentlich populärer war und b) neue Wählendenschichten erschloss. Das verlor ihnen zwar c) bisherige Stammwählende, was aber, d), wegen der verzerrten Verteilung der Repräsentation über das Land, das leere Fläche deutlich bevorzugt, nicht ins Gewicht fiel.

Die Democrats müssen eine Antwort darauf finden. Wie die aussehen wird - who knows? Aber sie werden eine finden. Irgendwann. Die Frage ist nur, wie lange das dauern wird.

6) Die Empörung kommt zu spät

Klar, Teenager wollen ihre Peers beeindrucken, und oft ist es egal, wer dabei verletzt wird. Antisemitisch aber sind Teenager vor allem dann, wenn die Gesellschaft sie lässt. Aussagen wie denen von Sarah-Lee Heinrich muss widersprochen werden – analog auf dem Schulhof genauso wie in der digitalen Welt auf Twitter. Dass die Sprecherin der Grünen Jugend ihre Äußerungen als Jugendliche scheinbar normal fand, fällt deshalb vor allem auf unsere Gesellschaft zurück. Antisemitismus, Homophobie, Rassismus, alles irgendwie normal in Deutschland, und noch normaler unter 14-Jährigen. In genau dieser Normalität liegt der Skandal, der niemanden überraschen kann, der jemals Menschen zugehört hat, die nicht zur weißen, christlichen Mehrheitsgesellschaft gehören. [...] Im Moment sind aber vor allem jene Stimmen am lautesten, die sonst antisemitische, rassistische oder sexistische Äußerungen bis aufs Blut verteidigen. Die, die so gern gegen die »Cancel Culture« wettern. [...] Glücklich ist, wer diese wichtigen Lektionen mit 14 Jahren lernt. Pech hat man, wenn man Widerstand gegen Antisemitismus erst als Erwachsener lernt. Schrecklich wäre es, wenn man es nie lernt. [...] Äußerungen einer 14-Jährigen sagen oft wenig über die Person aus, die sie mal werden wird. Und viel über die Welt, in der sie aufwächst. (Janne Knödler, SpiegelOnline)

Ich kann Knödler nur zustimmen. Das Herumreiten auf Jugendsünden ist einfach nur blödsinnig. Nicht, dass ich nicht den ersten Stein auch schon mal geworfen hätte, aber die Hoffnung wäre - wie Knödler das ja in ihrem Artikel auch ausspricht - dass man dann Widerspruch bekommt und, entscheidender, den Fehler einsieht. Das war bei Heinrich offensichtlich der Fall; sie hat mustergültig reagiert. Der folgende Shitstorm ist vor allem Hass und Ablehnung gegen ihre Person und ihre Partei.

Aber auch der Punkt mit den Jugendlichen ist richtig. Und "jugendlich" meint hier bis deutlich in die 20er. "Schwul" etwa ist ein Wort, das praktisch synonym für "schlecht" gebraucht wird. Immer wieder versichern mit Jugendliche, dass sie damit keinesfalls Homosexuelle herabwürdigen oder beschimpfen wollen. Für die gibt es da keinerlei Zusammenhang. Gleiches gilt für viele andere slurs und Schimpfworte. Sie werden aus dem gleichen Grund benutzt, aus dem Jugendliche solche Worte schon immer benutzt haben - als Tabubruch. Dass Tabus manchmal aus gutem Grund bestehen, ist eine Lektion, die sie erst lernen müssen. Manchmal sehr schmerzhaft.

Dieser Artikel zum Thema ist auch sehr empfehlenswert.

7) Democrats have a race problem. It's not what they think.

Politics is about winning votes you don't already have, not just holding onto those you do. As Shor points out, that's particularly important to realize in the U.S. electoral system. Democrats run up huge majorities in the most densely settled areas but struggle in the less urbanized states they need for success in the Electoral College and Senate. That may not be fair according to strict majoritarian logic, but it's the reality. If Democrats want to win, there's little alternative to "pandering" to marginal voters. [...] But that doesn't mean abandoning minorities to the domination of rural whites. Contrary to the stereotypes popular on both right and left, minority voters hold relatively centrist views on culture war issues like immigration, police reform, and gender roles. That's part of the reason Democrats lost ground with these groups in the 2020 election. The real outliers on these issues are college-educated professionals, a group composed disproportionately of whites. In fact, fewer than half of Democratic voters describe their views as "liberal" or "very liberal," with the plurality calling themselves "moderate." (Samuel Goldman, The Week)

Es ist eine Lektion, die ich mir gerade (schmerzhaft) selbst beizubringen versuche. Recht haben ist irrelevant. Das Opfer eines unfairen Systems zu sein ist irrelevant. Es ist wie es ist. Spitzenkandidat*innen zählen, egal wie gerne ich einen Wahlkampf über substanzielle Themen hätte. Identitätspolitik ist König. Und so weiter. Eine erfolgreiche Wahlstrategie muss sich danach ausrichten.

Ein Freund von mir, der bei YouGov und in der Politikberatung arbeitet, erklärte mir jüngst, Baerbock hätte sich und die Grünen als Autofahrenden-Partei präsentieren sollen. Das wäre seiner Ansicht nach Teil des Rezepts für die Grünen-Kanzlerschaft gewesen. Ich habe eine instinktive Ablehnung gegen diese Idee, aber Deutschland IST nun mal das Land der Rasenden und Autofahrenden. Wer Mehrheiten gewinnen will, kann das nicht ignorieren. Ich glaube, deswegen sind die Grünen auch in Baden-Württemberg erfolgreich. Nicht obwohl sie ihre Wurzeln verraten und mit der Autoindustrie kuscheln. Sondern deswegen. Egal wie sehr mich das anbläht.

8) The House of Representatives Is Failing American Democracy

If the irrelevance of the House in this negotiation were an unusual case, it may not be cause for concern. But this is the way most major laws have been made for the past decade: They are products of the Senate with little or no House involvement. This is because the House—whether controlled by Democrats or Republicans—now acts as if it were a unicameral legislature in a parliamentary system, rather than acknowledging that it is only one of two legislative chambers in a presidential system. It routinely passes partisan legislation that cannot pass in the Senate, because it is too far out of the American ideological center. The result is a House of Representatives that now serves only to either block or—in the case of “must pass” legislation—rubber-stamp Senate bills on major issues. Members of the House have largely given up their power, and thus their constituents’ power, to create legislation that addresses our nation’s biggest problems. [...] When one of the two chambers of Congress is not contributing to lawmaking on the most important issues facing our country, our democracy is not healthy. It is especially troublesome when the weak link is the House, because that chamber was intended to play a preeminent role in ensuring the people’s democratic control of the republic. The House has always been considered the bulwark of American democracy. (Daniel Lipinski, The Atlantic)

Diesen Aspekt habe ich bisher nicht auf dem Schirm gehabt, aber es ist ein sehr guter Punkt. Die US-Legislative hat sich effektiv auf den Senat halbiert. Dafür gibt es eine Reihe sehr guter Gründe, aber das ändert nichts an dem Fakt. Ähnliches gilt ja für die Machtverschiebung von der Legislative zur Exekutive, und jüngst von den beiden Zweigen auf die Judikative. Solche Machtverschiebungen gibt es immer wieder, und sie können ihre eigenen Probleme mit sich bringen.

In Deutschland kennen wir diese Debatte über den Bedeutungsverlust des Bundestages ja ebenfalls. Gründe gibt es auch hier genug, aber eigentlich sind sich alle einig, dass es ein ziemliches Problem ist. Aber wie man dagegen etwas tun kann ist weit weniger klar. Denn die Gründe existieren ja, ganz egal, wie sehr ich sie und die Konsequenzen daraus auch ablehne. Die normative Kraft des Faktischen erweist sich als stärker denn Sonntagsreden über Demokratie.

9) Tweet

Wer üblicherweise über "Gender" spricht. pic.twitter.com/wt4HSWrtzx

— Stephan Anpalagan (@stephanpalagan) October 13, 2021

Ich lasse das hauptsächlich wegen der auch hier im Blog oft gehörten Behauptung da, die Gender-Debatte ginge von den Linken aus und sei deren Kernthema. Auch empirisch lässt sich das offensichtlich nicht aufrechterhalten. Es ist ein rechtes Mobilisierungsthema. Die Zahlen der AfD sind geradezu absurd. Spannend übrigens auch, dass die Präsenz der Partei offensichtlich auf Facebook am größten ist; das passt zu der Diskussion aus dem letzten Vermischten.

10) Großer Zapfenstreich: „Soldaten mit Stahlhelm und Fackeln vor Reichstag“ schocken ARD-Zuschauer

Am Mittwochabend fand eine besondere militärische Zeremonie vor dem Reichstagsgebäude statt: Der Große Zapfenstreich. Die ARD übertrug die Bundeswehr-Ehrung vor dem Bundestag live. Viele TV-Zuschauer reagierten regelrecht angewidert auf die alte Tradition des Großen Zapfenstreiches. Mit einem Großen Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude wurde am Mittwochabend der 20-jährige Einsatz deutscher Streitkräfte in Afghanistan gewürdigt. Rund 160.000 deutsche Streitkräfte haben Dienst am Hindukusch geleistet, 59 verloren dabei ihr Leben. [...] Im Netz wurden derweil Kritik laut. Insbesondere linke Politiker und Blogger lehnten die Zeremonie vor dem Reichstagsgebäude als nicht mehr zeitgemäß und unpassend ab. Es hande sich um ein Ritual aus vordemokratischer Zeit. So schrieb Christian Ströbele, ehemaliger Bundestagsabgeordnete der Grünen: „Was soll das militaristische Ritual aus Preußen und NS- Zeit. In dem Krieg starben über 175.000 Mensch-meist Zivilisten. Nichts ist gut in Afghanistan. Was gibts da zu feiern.“ Die ehemalige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth widerte die Zeremonie regelrecht an: „Wenn Deutsche Fackeln in die Hand nehmen sag ich mit Max Lieberman: 'ick kann janich so viel fressen, wie ich kotzen möchte'.“ (Marcel Görmann, Der Westen)

Ich finde diese Aufregung völlig übertrieben. Der Zapfenstreich hat nichts mit den Fackelmärschen der Nazis zu tun. Mir ist klar, dass die Bilder mittlerweile ausschließlich mit der Machtergreifung in Verbindung gebracht werden, aber das ist eher die Schuld des verkorksten Verhältnisses zwischen den Deutschen und ihrer Armee. Jahrzehntelang wurde die Bundeswehr verschämt ignoriert. Jegliche öffentliche Darstellung wurde peinlichst vermieden.

Das hat sich mittlerweile langsam geändert, und die Normalisierung hat zuletzt Fahrt aufgenommen - man denke nur an die Fahrten in Uniform in der Bahn. Ich halte nach 20 Jahren Einsatz und 59 Gefallenen einen Großen Zapfenstreich auch für das Mindeste, was man als Dankesbotschaft senden kann. Mir müssen die Rituale dazu nicht gefallen, aber die gehören eben zur Bundeswehr. Wenn ich verlangen will, dass da weniger Rechtsextremismus läuft - und das verlange ich absolut - dann muss die Armee auch einen Platz in der demokratischen Gesellschaft haben. Und ein Großer Zapfenstreich vor der Heimat der Demokratie sendet da eigentlich eine klare Botschaft.

Gut im Übrigen, dass keine relevanten/aktiven Politiker*innen sich an dieser Kritik beteiligt haben. Stattdessen gibt es da aus allen etablierten Parteien demonstrative Statements der Unterstützung und Bekräftigung. Nur die LINKE fällt wie üblich ein wenig raus.

11) Tweet

Left: Bavarian Conservative arguing that we should not subsidise domestic energy prices when they get too high, only bloody Club-Med countries would think of that

Right: Bavarian Conservative arguing that as soon as motor fuel prices reach 1.99€, the State should do something pic.twitter.com/ixU7vHwvZh

— Giulio Mattioli (@giulio_mattioli) October 13, 2021


Wie bei so vielen Themen gelten eherne Prinzipien meistens eben doch nur solange, bis sie einen selbst betreffen. Die überzeugtesten Marktliberalen schreien gerne nach staatlichen Eingriffen, sobald es um sie geht. Die progressivsten Gesellschaftsveränderer sehen die Grenzen der Meinungsfreiheit da, wo sie nicht mitgehen können. Und so weiter. Diese Heuchelei ist ein menschlicher Faktor, sie kommt immer und überall vor. Sich darüber aufzuregen ist schon fast nutzlos. Ja, was die BILD hier raushaut ist völlig inkohärent. Aber Menschen sind generell inkohärent. Wir sind Menschen, keine wandelnden Philosophieseminare.

Dir gefällt, was Stefan Sasse schreibt?

Dann unterstütze Stefan Sasse jetzt direkt: