Okay, meine Twitterbubble wollte, dass ich über Positives in 2020 schreibe.
Gut! Legen wir los. Auch wenn die düstere Brille oft cool wirkt, wird sie doch auch zu leicht zur Rechtfertigung, wir könnten ja sowieso nichts machen. Also packen wir die rosarote aus und schauen mal in anderer Perspektive auf das Jahr zurück, okay?
Das erste, und ganz große ist für mich, dass wir alle 2020 enorm viel gelernt haben. Über die Aufmerksamkeit, die Wissenschaft genossen hat, zu ganz konkreten Hygieneregeln und nicht zuletzt in Sachen Digitalisierung. Auch wenn vieles davon nicht freiwillig war, wir haben fast alle neues Wissen und neue Fertigkeiten mitgenommen auf die wir Stolz sein dürfen.
Und auch wenn technisch in Sachen digitales "Neuland" noch viel zu tun ist, in den Köpfen ist es seit 2020 präsenter als je zuvor: Wir haben vieles ausprobiert, gelernt was nützlich ist, was nicht, was vielleicht Spass macht und als Gesellschaft haben wir in der Hinsicht die Kluft zwischen "digital natives" und "älteren Jahrgängen" in einem Maß verkleinert, das uns 2019 niemand geglaubt hätte! Auch wissenschaftlich hat 2020 einiges gebracht, gerade im Zusammenhang mit Corona:
Wir alle haben die mRNA-Vakzine mitbekommen. An diesen wurde über 20 Jahre geforscht, jetzt hat 1 Jahr gereicht, sie auf den markt zu zwingen und nach allem, was wir im Momennt wissen, erfüllen oder übertreffen sie unsere Erwartungen:
- relativ einfach zu entwicklen (wir können von reinen Sequenzen beginnen zu arbeiten)
- hocheffektiv - so gut, dass Adjuvantien (Immunreaktion fördernde Beimischungen) unnötig sind
- zellfrei herzustellen (keine Allergene aus Bakterien oder Hühnereiern!
- Sie enthalten keine vermehrungsfähigen Viren oder über längere Zeiträume stabilen Moleküle
Das alles zusammen gibt uns eine neue Technologie im Kampf gegen Viren und zusammen mit den teleskopierten Zulassungsverfahren ist hat das ein enormes Potential uns bei zukünftigen Epidemien oder Pandemien zu helfen!
Aber auch in der Diagnostik hat sich viel getan. Neben PCR- und Antikörpertests haben verschiedene Labore auch Methoden entwickelt, die schon länger diskutiert wurden, aber bisher kaum praktisch augearbeitet (Stichworte LAMP und CRISPR). Manches davon ist ähnlich (wenn auch etzwas weniger) sensitiv und kann auf reiner Sequenzebene entwicklet werden, wie die PCR, und auch wenn Durchführung und Zeitaufwand mit der PCR vergleichbar sind, brauchen diese Methoden meist nur die Chemikalien, nicht den spezialisierten PCR-Cycler, was mehrere 1000 € spart und so molekulare, hochspezifische Diagnostik auch für kleinere und ärmere Labore zugänglich machen könnte - ob in Drittweltländern oder (Gemeinschafts)Arztpraxen.
Auch politisch war 2020 ein Jahr, in dem wir viel Chaos erlebt haben, aber dadurch gingen manche positive Dinge zu Unrecht teilweise oder ganz unter:
Die Biden-Wahl ist sicher eine große Sache, nicht nur weil die USA Trump endlich loswerden, auch weil dadurch weltweit ein nationalistisches, umweltvergessenes, misogynes Vorbild verloren geht. Bei uns vermissen viele AfD-köpfe ihn ja jetzt schon und ob sich diese Partei von der Kombination aus innerer Zerrisenheit, Vorbildverlust und Corona-Schlingerkurs erholen wird, muss sich zeigen - Ich hoffe nicht 😉
Überhaupt hatten wir viel Aufmerksamkeit auf extremen Strömungen in unserer Gesellschaft und haben viel von vertieften Gräben geredet. Aber dabei übersehen wir, dass ganz viele Menschen auf der einen Seite des Grabens auch zusammen stehen und der Graben teilweise tiefer aussieht, weil er weiter am Rand verläuft.
2020 sind Menschen für Black Lives Matters auf die Strasse gegangen, wir haben "Männerwelten" gesehen und gefeiert und viele Probleme, von den Problemen in der Bildung und Pflege zu häuslicher Gewalt, haben eine Aufmerksamkeit bekommen, wie selten zuvor. Zwar löst man keine Probleme durch reines Demonstrieren und Fernsehbeiträge - aber das kann ein Anfang sein und zusammen mit Fridays for Future sehen wir eine Bereitschaft unserer Gesellschaft, Themen endlich auf die Tagesordnung zu bringen, die frisch und aufregend und motivierend ist!
Auch auf der europäischen politischen Bühne sind zwei große Erfolge medial leider ziemlich verpufft: Mit dem Brexit-Deal auf den letzten Metern und der Festschreibung des Rechtsstaatsprinzips im Haushalt gegen die Widerstände einzelner Staaten hat eine EU, die viele als zahnlos gesehen haben zwei enorme Klippen umschifft und vielleicht eine dringend nötige Handlungsfähigkeit zurückgewonnen.
In Deutschland haben wir ein dringend nötiges neues Infektionsschutzgesetz und auch wenn das alles andere als perfekt sein mag - besser als das vorherige, das auf "macht halt, was ihr meint" hinauslief, ist es allemal.
2020 brachte auch zwei Durchbrüche im Naturschutz, die nicht zu unterschätzen sind: Das lange umstrittene Verbot von Bleimunition in Feuchtgebieten und das Verbot der superintensiven Olivenernte in Spanien und Portugal (vorläufig für diese Saison, um Zeit für eine bessere Studienlage zu gewinnen), sind zusammen ein großer Schritt im Vogelschutz und stehen beispielhaft für Niederlagen starker Lobbyverbände und Erfolge von Protesten - auch bei Themen mit geringerer medialer Aufmerksamkeit.
Und auch wenn ich sicher hunderte toller Sachen vergessen habe: Ja, wir können auf 2020 als ein Trümmerfeld zurückschauen und haben gute Gründe dafür. Aber zwischen den Trümmern keimt so einiges und es liegt aus uns allen, diese Keimlinge zu hegen und zu einer bunten Blumenwiese heranzuziehen, die uns alle erfreuen kann.
2020 ist nicht nur ein Jahr zum überstehen und abhaken, wir können daraus positives mitnehmen, lasst es uns tun!
Mäuschen out 😃