Den klugen Paul Mason sinngemäß zitierend, könnte man sagen: Die unbestreitbare Tatsache, dass (westliche liberale) Demokratien zweifellos ihre systemimmanenten Fehler, Schwächen und blinden Flecken haben, macht noch lange keine Diktaturen aus ihnen. Diverse 'alternative' Medien bedienen sich zunehmend einer heillos entgrenzten Sprache, um aktuelle, von ihnen missbilligte Erscheinungen als Anzeichen dafür zu framen, dass wir in einer Diktatur leben. Da wird dann eine eher triviale Beobachtung wie die, dass an einen Mainstream gerichtete Angebote eben Mainstream-Erwartungen bedienen, zu 'Gleichschaltung' hochgejazzt. Der Unterschied zu Jana aus Kassel ist da nicht mehr besonders groß. Haste Kummer - mach die Opfernummer!

'Gleichschaltung' ist ein klar eingrenzbares historisches Phänomen: Die zentral koordinierte inhaltliche Kontrolle und Lenkung der Massenmedien, vor allem Zeitungen und Zeitschriften, durch das Joseph Goebbels unterstehende Reichspropagandaministerium ab 1933. Wer gegen Zensurauflagen und vorgegebene Leitlinien verstieß, wurde verwarnt, musste den Betrieb einstellen wie die traditionsreiche 'Vossische Zeitung', einzelne Medienschaffende, die sich nicht beugen wollten, wie der 'Weltbühne'-Herausgeber Carl von Ossietzky, kamen in Konzentrationslager.

Von 'Gleichschaltung' zu faseln, ist fast immer mindestens ein genauso hanebüchener Unfug wie jede mittelgroße Unbill zum 'Holocaust' aufplustern zu wollen. Auch der ist ein recht genau eingrenzbares und beschreibbares historisches Phänomen: Als 'Holocaust', auch 'Shoah' genannt, bezeichnet man die systematische, planmäßige, industriell betriebene Ausrottung der europäischen Juden ab 1941. Erst in Form von Massenerschießungen, später dann in so genannten Vernichtungslagern. Mag man über die Singularität dessen streiten wie man will, ist dieses Ereignis so gewichtig, dass so ziemlich alle Versuche, es mit irgendwas anderem gleichzusetzen, in der Peinlichkeit enden (müssen) und fast immer zur Verhöhnung der Opfer geraten.

Das nur zur Erinnerung.

Schwer zu bestreiten ist, dass in den konventionellen Medien gewisse Nivellierungstendenzen zu beobachten sind. Zuweilen setzt auch eine Art Herdentrieb ein, der aber meist bald wieder verschwindet. Das alles geschieht aber nicht, weil irgendeine Zentralinstanz diktatorischen Durchgriff ausübt, sondern weil das Geschäftsmodell der klassischen Medien sich seit Jahrzehnten in einer existenziellen Krise befindet. Nicht nur wegen stetig schwindender Verkaufszahlen, sondern auch, weil ein Großteil der Werbeeinnahmen, seit jeher das zweite unverzichtbares Standbein, inzwischen woanders landet, zum Beispiel bei Google. Also bringen Medien vor allem mal das, was möglichst vielen gefällt und somit möglichst hohe Klick- und Verkaufszahlen bzw viele Abos bringt. Gedruckt wird, was der von Marketingexperten und Marktanalysten identifizierten Zielgruppe gefällt, so was wie eine 'Blattlinie' muss dann schon mal hinten anstehen.

Ja aberaberaber, die Öffentlich-rechtlichen! Die machen doch Staatsfunk! Indoktrination! Propaganda! Schön. Und was machen private Medien wie 'Fox News' so?

Natürlich kann man über die 'Haushaltsbeitrag' genannte, monatliche Zwangsabgabe streiten. Das allermeiste von dem, was von meinem Geld produziert oder gesendet wird, interessiert auch mich nicht die Bohne oder ich lehne es ab. Das ganze Talkshow-Unwesen, Volksmusik, Daily Soaps und seichte Serien a’la Rosamunde Pilcher usf. Aber es werden damit auch Sender wie arte, 3sat, Phoenix, die Kulturprogramme im Radio oder der Deutschlandfunk finanziert. Wer ernsthaft behauptet, in diesen Sendern sei ausschließlich Staatspropaganda zu finden, ist entweder taub und blind oder sagt das aus einem ganz bestimmten Grund. Es sollte einem zumindest kurz zu denken geben, dass vor allem Rechte bis Rechtsextreme aller Art die Abschaffung öffentlich-rechtlicher Medien ganz oben auf der Agenda haben. Warum nur? (Man heule mir jetzt gern die Jacke voll mit "Kontaktschuld!" und "Buhuuu, Querfront!", ist mir egal.)

Angelehnt an den Anfang, könnte man sagen: Die unbestreitbare Tatsache, dass öffentlich-rechtliche Medien zweifellos ihre systemimmanenten Fehler, Schwächen und blinden Flecken haben, macht noch nicht zwangsläufig staatliche Propagandaorgane aus ihnen. Wie so was aussieht, kann man z.B. in Ungarn, Russland und in Nordkorea studieren.

Wie ‚'alternative' Medien funktionieren, lässt sich sehr schön am Beispiel von Ulrike Guérot studieren. Die ehemalige Kremser, jetzt Bonner Professorin wurde einem breiteren Publikum durch ihr Querdenker-Traktätchen 'Wer schweigt, stimmt zu' bekannt, in dem sie unter anderem folgende Zukunftsvision ventilierte:

"Zuerst räumen wir auf, jeder in seinem Land. Wir überantworten die Verantwortlichen dem Internationalen Strafgerichtshof, sollte sich herausstellen, dass es nicht die Fledermaus war, sondern doch ein Labor, das uns das Virus beschert hat, wie der dänische Sonderbeauftragte der UNO kürzlich leakte. Wir bitten die USA, sich um Anthony Fauci und Bill Gates zu kümmern. […] Wir schließen die Weltgesundheitsorganisation WHO und durchforsten ihre finanziellen Verstrickungen mit der Pharmaindustrie. Wir lassen die dunklen Gestalten von Pfizer und Co nicht entkommen, wie wir damals, vor zehn Jahren, die Banker haben entkommen lassen." (Quelle)

Unabhängig von der Frage, ob derartiges Geschreibsel nun faschistisch ist oder nicht, braucht es nicht allzuviel Phantasie, um sich auszumalen, wie welchen, die sich gern rechtsrevolutionären Kärcherphantasien hingeben ("Wenn wir mal drrrankommen, dann wirrrd es keine Gnade geben, dann werrrden alle, die jetzt noch satt und zufrrrieden lachen, zur Rrrechenschaft gezogen, dann rrrollen Köpfe…") ob solcher Zeilen vor Glück das feuchte braune Höschen aufgeht. Darauf angesprochen jedenfalls, pflegt sie nicht zu argumentieren, sondern fühlt sich missverstanden, falsch zitiert oder verweist darauf, dass sie das Buch mal eben so hingeschrieben habe. Pardon? Ist es zu viel verlangt von einer Professorin, sich klar genug auszudrücken, um nicht andauernd missverstanden zu werden? Oder das, was man so runterschmiert, vielleicht mal korrekturzulesen? Frag ja nur.

Das Büchlein hat ihr, wie zu erwarten, heftige Kritik eingebracht, was natürlich, wie zu erwarten, in 'alternativen' Medien prompt zur 'Hasskampagne' stilisiert wurde. Das hat allerdings nicht dazu geführt, dass sie aus den nichtalternativen Medien verschwand. Nein, sie publiziert und talkt munter weiter, in 'alternativen' und in 'Mainstream-Medien'. Und fällt dabei immer wieder durch Äußerungen auf, die vor allem dazu angetan sind, den ramponierten Ruf der Geisteswissenschaften endgültig zu ruinieren. Fällt einem eigentlich noch jemandem auf, was für einen miesen Job die staatlich-diktatorischen Gleichschalter und Zensoren da offenbar machen, wenn es ihnen auch nach eineinhalb Jahren immer noch nicht gelungen ist, diese eine 'unbequeme' Stimme zum Schweigen zu bringen? Müssen ja echte Weltmeister am Werk sein, da im Staatspropagandaministerium.

Keine Überraschung, dass sie auch zum Ukraine-Krieg ihre ganz eigene Meinung hat. So meinte sie kürzlich in der auch von mir abgelehnten Sendung 'Markus Lanz',  "sie wisse nicht, »welcher Krieg in den letzten Jahren oder Jahrzehnten irgendwie mal militärisch entschieden wurde«". (Komisch, mir fallen ohne großartige Recherche gleich mehrere Beispiele ein, aber ich bin ja auch keine Bonner Soziologieprofessorin. Kann also an mir liegen.) Unter anderem dafür bekam sie teils heftigen Widerspruch.

Man kann das so ausdrücken: Eine Professorin mit zweifelhafter Qualifikation hat nicht nur beim Lanz öffentlich dumm Tüch geredet und musste sich dafür, den Regeln und der Dramaturgie des Formats 'Talkshow' folgend (Talkshows sind, nebenbei, ein Unterhaltungs- und kein Diskursformat), einhellige Kritik gefallen lassen. Aber das wäre halt weniger Diktatur. Also phantasiert man, wie die ehemaligen Nachdenk-Seiten, lieber von "Treibjagd". Drunter machen sie’s ja nicht. Lebt Frau Guérot noch oder wurde ihr schon das "Sau tot!" geblasen? Interessanterweise sind die meisten der als Belege für eine angebliche "Treibjagd" zitierten, Guérot-kritischen Tweets klarer und geistreicher als der Artikel selbst. Die Fans wird es nicht stören.

Abgesehen davon, dass es inzwischen ein lohnendes Geschäftsmodell ist, hat das Ganze nicht das Geringste zu tun mit Aufklärung oder gar kritischem Diskurs, sondern allein damit, eine gelegentlich als 'Gegenöffentlichkeit' bezeichnete Blase am kochen zu halten, indem man ihr das klassische Selbstviktimisierungs- und Verschwörungsnarrativ (Er hat das N-Wort gesagt! Hängt ihn!) unterjubelt: Da draußen ist Diktatur, wir alle sind in höchster Gefahr! Aber der doofe Mainstream blickt das nicht. Nur die Aufgewachten, die Happy few, zu denen, du, liebe:r treu:e Leser:in gehörst, blicken durch. Weil ihr euch nicht manipulieren lasst und weil ihr - Tusch! - hinterfragt und selber denkt.

(Fun fact: Wer ernsthaft behauptet, nicht manipulierbar zu sein, lügt. No exceptions.)

Frau Guerot ist übrigens nach wie vor Professorin der Universität Bonn. Als staatlich alimentierte Lehrstuhlinhaberin steht ihr Besoldungsstufe C 4 zu, was in Nordrhein-Westfalen aktuell je nach Einstufung ca. 6.000-8.000 Euro monatlich einbringt. Hinzu kommen vermutlich erkleckliche Buch-, Vortrags- und Auftrittshonorare. Die ganze Publicity nicht zu vergessen. Auch für sie gilt, was damals schon für Thilo Sarrazin galt: Wenn so das Leben einer Ausgestoßenen und Verfemten im Deutschland des 21. Jahrhunderts aussieht, auf die Treib-, Hexen- und andere Jagden veranstaltet werden, dann möchte man liebend gern tauschen mit ihr.

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