Gendern ist ein Phänomen der Medien, Universitäten und Twitter-Threads. Aus den Reihen der Unionsparteien wurde jüngst die Forderung laut, „geschlechtergerechte Sprache“ in öffentlichen Einrichtungen zu verbieten, die eine Debatte um die gesellschaftspolitische Bedeutung von „Gendersprache“ entzündete. Angesichts ihrer Natur und Zielrichtung ist der Vorschlag nur folgerichtig.

Inklusivität und Exklusivität von Sprache
Unterstriche, Sternchen und neuerdings auch Doppelpunkte: Begründet werden die uneinheitlichen Versuche, Sprache „geschlechtergerecht“ zu gestalten, mit ihrer vermeintlichen Exklusivität. Die deutsche Sprache sei nicht inklusiv genug, denn sie schließe Frauen und „Nichtbinäre“ aus, indem etwa für Personengruppen zumeist ausschließlich die männlichen Varianten genutzt werden („Anwälte“ statt zum Beispiel „Anwältinnen“). Das generische Maskulinum bezieht sich aber schon seinem Namen nach lediglich auf das Genus, nicht auf den Sexus der mit ihm bezeichneten Entitäten. Zwar können beide Geschlechtsebenen punktuell kongruent sein, das grammatikalische Geschlecht hat mit dem biologischen Geschlecht aber prinzipiell nichts zu tun.
Die Implementation von Gendersprache im öffentlichen Raum missachtet zwar diesen einfachen Grundsatz der deutschen Sprache, hat aber eigentlich einen gänzlich anderen Hintergrund. Das generische Maskulinum führe mit seinem Fokus auf das „Männliche“ auch zu einer männlich dominierten Gesellschaft. Hintergrund ist die These des postmodernen Dekonstruktivismus (insbesondere des französischen Philosophen Jacques Derrida mit seiner machtbezogenen Diskurstheorie), dass Sprache die Realität lediglich „konstruiere“. Veränderung in der Art und Weise, wie wir über die uns umgebende Welt sprechen, könnten demnach also auch Veränderungen in der Wirklichkeit hervorrufen. Diese These wurde Anfang der 1990er-Jahre von Judith Butler, Koryphäe der Gender Studies, aufgegriffen und zu ihrer mehr einer Ideologie als Wissenschaft gleichenden Geschlechtertheorie weiterverarbeitet. Die Quintessenz dieses gedanklichen Körpers lautet kurzum: Wenn Sprache „männlich“ dominiert ist, muss man sie „inklusiver“ gestalten, damit es reelle Veränderungen hinsichtlich der Stellung von Frauen und Sonstigen in der Gesellschaft geben kann. Nicht nur ignoriert diese Idee allerdings den Unterschied von Genus und Sexus, er ist auch völlig unwissenschaftlich. Es lässt sich kein Kausalzusammenhang zwischen Sprache und dem Handeln von Menschen erkennen. Wäre dies der Fall, müssten uns Staaten mit genuslosen Sprachen wie Japan oder die Türkei in Sachen Gleichberechtigung meilenweit voraus sein.

Aktivistischer Sprachoktrois
Gendern ist also gewissermaßen die aktivistische Kehrseite der postmodernen Sekte, es soll die pseudo-wissenschaftlich formulierten ideologischen Gestaltungsansprüche des politischen Postmodernismus gesellschaftlich implementieren. Oft wird suggeriert, es handele sich hier lediglich um „Sprachwandel“, den es in der Geschichte der menschlichen Sprache immer gegeben habe. Sprachwandel aber vollzieht sich in organischer Weise über mehrere Jahrzehnte und Generationen, sodass man ihn im Regelfall gar nicht bewusst wahrnimmt. Gendersprache ist dagegen eine der Gesellschaft oktroyierte, artifizielle Sprachdisruption, die sich innerhalb weniger Jahre proliferiert hat und zu einem politischen Trend avanciert ist. In den Medien und vor allem im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehört die Nutzung von Asterisk und Kolon fest zum darstellerischen Repertoire. „Geschlechtergerechte Sprache“ (korrekterweise müsste es „geschlechterobsessive Sprache“ heißen) ist also seit einigen Jahren selbstverständlicher Teil der Selbstinszenierung der vor allem urbanen und akademischen Wohlstandsbourgeoisie.
Umfragen zeichnen in der Allgemeinbevölkerung ein gänzlich anderes Bild. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL kommt zu dem Ergebnis, dass insgesamt 82 Prozent der Befragten das Thema für weniger wichtig (28 Prozent) oder gar nicht wichtig (54 Prozent) halten. Über die Hälfte fühlen sich von Gendern in geschriebenen Texten belästigt, sogar drei Viertel stören sich am stimmlosen Glottisschlag im gesprochenen Wort. Infratest Dimap kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Hier lag die Ablehnung bei 65 Prozent und ist sogar von 56 Prozent im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Interessant ist hier vor allem, dass sich selbst bei den Grünen eine knappe Mehrheit (48 Prozent zu 47 Prozent) gegen „geschlechtergerechte Sprache“ stellt. Auch bei den anderen Parteien überwiegt die Ablehnung: SPD-Anhänger lehnen Gendersprache zu 57 Prozent ab, Anhänger der Union zu 68 Prozent, der FDP zu 77 Prozent, der AfD zu 83 Prozent und sogar die der Linkspartei zu 72 Prozent. Ein Großteil der Bevölkerung kann mit dem Sprachdiktat also wenig anfangen. Es handelt sich in erster Linie um das ideologische Prestigeprojekt einer saturierten Elite, die dem eigenen problemfreien Alltag mit obsessivem Virtue Signalling einen neuen Sinn verleihen will. Gendersternchen werden zum Zwecke der moralischen Selbstinszenierung wie eine Monstranz vor sich her getragen. Da sich die Mehrheit der Journalisten links der Mitte verortet, überrascht es wenig, dass sich vor allem die Medien an die Spitze der vermeintlichen Avantgarde stellen.

„Progressivität“ als Etikettenschwindel
Gendersprache ist angeblich ein „progressives“ Signal für mehr Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Der Begriff „Progressivität“ beschreibt aber seit geraumer Zeit längst keine fortschrittlichen Positionen mehr, sondern verkehrt seine ursprüngliche Bedeutung eher ins Gegenteil. „Safe spaces“ werden als Speerspitze des Fortschritts zelebriert, sind jedoch nichts anderes als moderne Segregation. Quoten gelten als „modernes“ Mittel zur Bekämpfung von Benachteiligung, rekurrieren jedoch auf das archaische Prinzip eines Vorrangs von Herkunft vor Leistung und lassen das meritokratische Fundament der Gegenwart erodieren. „Antirassismus“ verkauft sich als Allheilmittel gegen Rassismus, reproduziert ihn jedoch vielmehr, indem er letzteren als Teil einer esoterischen Rassen-Schizophrenie überall vermutet und die Rolle ethnischer Unterschiede manifestiert. „Progressivität“ ist mithin nicht nur ein sekkantes Wohlfühlschlagwort, sondern zumeist auch eine Chiffre für in Wahrheit reaktionäres und regressives Gedankengut. Die Vermischung von grammatikalischem und biologischen Geschlecht macht Sprache nicht geschlechtsneutral, sondern verwandelt sie in Schützengräben eines gesellschaftlichen Kulturkampfes. Gendersprache ist ein pseudo-progressiver und moralistischer Code, dessen Nutzung die „Erhabenen“ von den vermeintlich „Rückständigen“ und „Ewiggestrigen“ trennen soll. Das Resultat ist also gerade nicht Inklusion, sondern handfeste Spaltung und Exklusion. Menschen, die sich gegen diese Form der Sprache stellen, werden auf diese Weise geradezu gebrandmarkt und in der Debatte diskreditiert. Auch verkompliziert „geschlechtergerechte Sprache“ in geschriebener Form den Lesefluss immens und erschwert Nicht-Muttersprachlern das Erlernen der ohnehin bereits als außerordentlich komplex geltenden deutschen Sprache um ein Vielfaches.

Fundamente der Moderne
Als demokratisches Pendant zur weltanschaulichen Neutralität des Staates, die etwa im Rahmen der Debatte um Kopftuchverbote für Lehrerinnen eine wichtige Rolle spielt, ist die politische Neutralität staatlicher Institutionen von ebenso großer Relevanz. Für die Aufrechterhaltung dieser zentralen Errungenschaft der Moderne ist ein Verbot gegenderter Sprachformeln nur folgerichtig. Gendern ist keine „Selbstverständlichkeit“, sondern ein politisches Statement. Der Staat aber sollte sich aus solchen Auseinandersetzungen heraushalten. Im Zweifelsfall haben sich Behörden und andere Einrichtungen an die geltende deutsche Rechtschreibung oder an die Sprachvariationen zu halten, die in der Bevölkerungsmehrheit Anerkennung finden. Rechtschreibung wird hierzulande nicht gesetzlich statuiert, doch lehnt als Indikator etwa der deutsche Rechtschreibrat explizit zumindest Sonderzeichen inmitten von Wörtern ab. Der französische Präsident Emmanuel Macron verbot bereits im Mai diesen Jahres schriftliches Gendern an Schulen. Anders als im zentralistischen Frankreich wäre das in Deutschland wesentlich schwieriger, da Bildung und der größte Teil der staatlichen Verwaltung in den Aufgabenbereich der Länder, Kreise und Kommunen fallen. Ratsam ist ein solches Vorhaben allemal, denn Sprache soll einen, nicht spalten. Die Nutzung von Sternchen und Doppelpunkten steht weder im Einklang mit der deutschen Rechtschreibung, noch erfüllt sie den von ihr vorgegebenen (für sich genommen bereits dysfunktionalen) Zweck. Vielmehr handelt es sich um ein reines Ideologieprojekt, das auch als solches gekennzeichnet werden sollte. Die Verteidigung der politischen Neutralität des Staates ist kein um Für und Wider kreisender Kampf der Tagespolitik, sondern zielt letztlich auf den Schutz einer der elementaren Grundlagen unseres pluralistischen Gemeinwesens.

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