Herbert Diess gibt Wasserstoffautos und synthetischen Treibstoffen im Individualverkehr keine Chance. Er klingt dabei nicht nur wie ein E-Autofanboy, er ist auch der grösste Lobbyist der BEV-Industrie. Was ist davon zuhalten?
Physikalische Effizienz allein greift zu kurz
Der VW-Chef spricht die physikalische Effizienz des Fahrzeuges an und hier hat er vordergründig recht: Ein BEV (Battery Electric Vehicle) braucht für die gleiche Strecke weniger Energie. Doch diese Argumentation greift viel zu kurz:
1. muss man das ganze (Öko-)System betrachten und nicht nur die Effizienz des einzelnen Fahrzeuges.
2. ist nicht die technische Effizienz entscheidend, sondern die ökonomische.
Gerade deshalb hat sich übrigens der Verbrenner schon vor rund 100 Jahren gegen den Elektromotor durchgesetzt, obwohl dieser schon damals effizienter war. Die technische Effizienz des BEV sollte dazu führen, dass das Batterie-Auto in Sachen Unterhalt und Betriebskosten günstiger betrieben werden kann als das FCEV (Fuel Cell Electric Vehicle, Wasserstoff) oder ICE/HEV (Internal combustion engine, Verbrenner oder Hybrid Electric Vehicle). Bei den Betriebskosten ist dies heute nur dank steuerlicher Ungleichbehandlung der Fall. Doch dies ist nur die halbe Wahrheit. Das BEV-Ökosystem hat mehrere Probleme:
1. Just-in-time Strom
Der Strom für BEV muss grundsätzlich dann produziert werden, wenn das Fahrzeug geladen wird. Dieses Problem wäre grundsätzlich lösbar. In Kombination mit der Dekarbonisierung der ganzen Wirtschaft (was einen steigenden Stromverbrauch mit sich bringen wird) und der Energiewende (in der Schweiz Energiestrategie 2050), welche den Ausstieg aus der Kern- und Kohleenergie beinhaltet, wird dies jedoch zu Herkules-Aufgabe. Um das Speicherproblem von Strom in grossem Stil zu lösen, werden wir die Technologie Power to X brauchen. Was nichts anderes heisst als Wasserstoff und E-Fuels (synthetischer Treibstoff, welcher mit Hilfe von Strom hergestellt wird). Also selbst wenn FCEV und ICE Fahrzeuge nicht zum Zuge kommen sollten, wird man für den Individualverkehr zumindest indirekt Wasserstoff und E-Fuels brauchen, um Batteriefahrzeuge im Winter laden zu können. Alternativ könnte man mit einer hohen Anzahl an Batterien arbeiten, was wiederum die Probleme 2 und 3 massiv verstärken würde.
2. Infrastruktur(-kosten)
Das BEV-Ökosystem benötigt im Gegensatz zu FCEV und ICE eine dezentrale Infrastruktur. Dies macht die Infrastruktur teuer und führt zu einer Kostenexplosion: «Je mehr BEV aus dem Netz geladen werden, desto höher sind die Kosten für Stromleitungen und Ladestationen.» (Kober et al, 2019). Das heisst nichts anderes, als dass – im Gegensatz zum Verbrenner – die Infrastrukturkosten pro Fahrzeug zunehmen, je mehr Fahrzeuge es gibt. Insbesondere beim Stromnetz zeigt sich dieses Problem sehr ausgeprägt. Schnelllader aber auch eine hohe Anzahl von konventionellen Ladern an einem Ort (Beispiel Tiefgaragen) führen zu einer massiven Belastung des Stromnetztes und sind ohne massiven Ausbau des Netzes in der Regel nicht lösbar. An vielen Orten ist es zudem technisch nicht möglich, dass Netz so auszubauen, dass es diese Zusatzbelastung bewältigen kann. Zudem stelle man sich nur einmal vor, was auf den Nord-Süd-Achsen wie Gotthard oder Brenner los wäre, wenn Deutsche, Belgier, Niederländer, Schweizer und CO. alle mit ihren Batterieautos nach Italien in die Ferien fahren wollten.
3. Ressourcen
Für die Batterie-Technologie sind Unmengen an Rohstoffen nötig – selbst wenn man in Zukunft einen Grossteil der Batterie recyceln kann. Schon heute sind viele der für die Batterie-Technologie benötigten Rohstoffe knapp erhältlich. «The UK, for instance, wants all new cars to go electric from 2030. But to switch Britain's 31.5 million petrol and diesel vehicles over to a battery-electric fleet would take an estimated 207,900 tonnes of cobalt, 264,600 tonnes of lithium carbonate, 7,200 tonnes of neodymium and dysprosium, and 2,362,500 tonnes of copper. This amounts to twice the current annual world production of cobalt (used in battery electrodes), an entire year's world production of neodymium (to make electric motor magnets) and three-quarters of the world production of lithium (battery electrolyte).» (BBC, 2021). Wenn wir uns vor Augen halten, dass es auf der Welt rund 1.4 Milliarden Pkw gibt, erkennen wir die Dimension des Ressourcenproblems. Dazu kommt: Die Probleme 2 und 3 verstärken das Ressourcenproblem.
Diess verschweigt Vorteile der Alternativen
Herbert Diess verschweigt nicht nur die Schwächen des BEV-Ökosystems, er redet auch die Alternativen – FCEV und ICE mit synthetischem Treibstoff – systematisch schlecht. Wie bereits erwähnt, mag der VW-Chef damit recht haben, dass ein BEV weniger Energie (sprich weniger Storm) braucht für die gleiche Strecke als ein FCEV oder ein ICE. Aber weil er verschweigt, dass man die Treibstoffe für FCEV und ICE Zeit und Ort unabhängig produzieren kann, kommt Herr Diess zum Schluss, dass Wasserstoff und synthetischer Treibstoff gegen die Batterie keine Chance haben. Doch gerade diese Zeit- und Ortsunabhängigkeit ist die Stärke von Wasserstoff und insbesondere von synthetischen Treibstoffen. So kann man Wasserstoff zum Beispiel dann produzieren, wenn der Strom Spot billig ist, weil Wind- und Sonnenenergie gerade mehr Storm produzieren, als am Markt benötigt wird. Zudem kann man E-Fuels überall auf der Welt produzieren, also auch dort wo Wind- und Sonnenenergie eine viel höhere Effizienz aufweisen als bei uns. Zeit- und Ortsunabhängigkeit führen dazu, dass der Wasserstoff und die E-Fuels ihren Effizienz- und Kostennachteil wettmachen können (siehe u.a. Frontier Economics, 2020). Dies sollte es ermöglichen, dass die Betriebskosten von ICE einem BEV gleichkommen. Des Weiteren darf man nicht ausser acht lassen, dass man heute schon an synthetischen Treibstoffen arbeitet, welche sich ohne Strom herstellen lassen (z.B. das ETH-Start-up Synhelion).
Die ökonomischen Vor- und Nachteile von BEV, FCEV und ICE (inkl. HEV) kurz zusammengefasst:
· Vorteile des BEV: Tiefe Betriebs- und Unterhaltskosten
· Vorteile des FCEV: relativ tiefe Unterhalts- und Infrastrukturkosten
· Vorteile des ICE: Tiefe Betriebs- und Infrastrukturkosten
· Nachteile des BEV: Hohe Infrastrukturkosten
· Nachteile des FCEV: relativ hohe Betriebskosten
· Nachteil des ICE: Hohe Unterhaltskosten
Fazit
Kommen wir zu einem Fazit: Getrieben von absurden Regulierungen der EU und von staatlichen Aktionären muss VW bzw. Herbert Diess die BEV-Strategie verkaufen. Dabei redet er die BEV-Technologie besser, als sie ist und redet die Alternativen systematisch schlecht, in dem er viele Aspekte bewusst weglässt. Aber am Ende des Tages wird Herr Diess zumindest in Europa wohl recht behalten, weil die EU nichts anderes als die BEV-Technologie haben will, auch wenn dies ökonomischer und energiepolitischer Unsinn darstellt. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass die sichere Stromversorgung von heute auch wegen Millionen Batterie-Fahrzeugen in Zukunft nicht mehr geben wird und Stromausfälle zunehmen werden.
P.S. Es ist übrigens sehr interessant, dass der Konzern von Herr Diess hinter den Kulissen in Brüssel aber auch in der Schweiz politisch für synthetische Treibstoffe lobbyiert und selbst grosse Projekte zur Produktion von synthetischem Triebstoffen vorantreibt, zum Beispiel Porsche in Chile. So ganz glaubt man die PR-Sprache des eigenen Chefs also nicht...
Zum Abschluss noch einige Literaturempfehlungen:
https://www.psi.ch/sites/default/files/2019-07/Kober-et-al_2019_Weissbuch-P2X.pdf
https://www.nature.com/articles/s41578-021-00325-9
https://www.bbc.com/news/science-environment-57234610
https://publikum.net/denkfehler-elektroauto-warum-der-verbrenner-eine-zukunft-hat/
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