Seit Stunden sitze ich nun schon im Tunnel und denke nach. Das leere Blatt Papier, was sich auf meinem Laptop abzeichnet, spiegelt meine düstere Stimmung hervorragend wieder. Was ich jetzt brauche, ist Ruhe und Geduld. Konzentriert und angespannt warte ich auf die Eingebung, die unabdingbar ist für mein literarisches Fortkommen. Der beste Milchkaffee der Stadt hat bereits den Kältegrad erreicht, den kein guter Kaffee je erreichen sollte. Doch ich habe mir geschworen, erst wieder einen Schluck zu nehmen, wenn die Inspiration mich ereilt hat. Doch offenbar sah der Kaffee das anders und friert nun vor sich hin.

Ich sitze in meiner Lieblingsbuchhandlung, mit angeschlossenem Kaffeeausschank und starre in die Gegend, suchend, geradezu flehentlich, nach einer Idee. Innerlich quetsche ich mein Hirn aus, hoffend es kommen wenigstens ein paar Tropfen heraus, die mich die neue Geschichte beginnen lassen. Doch mein Hirn scheint ausgequetscht wie eine Zitrone und schlechte Laune macht sich breit. Zunächst noch innerlich verborgen, doch dann auch rein äußerlich sichtbar. Ab und zu knurre ich halblaut mir den Unmut heraus. Noch sitze ich alleine an meinem Tisch und mein Blick signalisiert, dass es besser so bleiben möge, denn ich kann in der Situation für nichts garantieren. Es könnte sonst zu einem höchst aggressiven verbalen Ausbruch kommen. Ich kenne mich. Die beiden Buchhändler auch, die mich bereits ängstlich beäugen. Eigentlich bin ich ja ein herzensguter Mensch, wenn bei mir die Ideen nur so sprudeln. Aber gerade ist alles ausgetrocknet. Die anderen Gäste wagen kaum, sich zu unterhalten. Meine Augen haben ihnen bereits signalisiert, es besser zu lassen, falls sie die zwanzig Uhr Tagesschau noch erleben wollen. Eine Stammkundin, die mich genau kennt, kommt herein und sieht sofort, was Sache ist. Feinfühlig wie sie ist, zieht sie augenblicklich, ohne lautes Geräusch ihre Pumps aus, denn das Klick-Klack der Absätze, könnte einen Vulkanausbruch provozieren.

Barfuß schreibt sie ihre Bestellung auf einen Zettel und reicht ihn dem weiblichen Teil der Buchhändler zu. Der männliche Buchhändler blickt zu mir und schaut ratlos auf den Zettel, den ihm seine Kollegin hinhält. Ihr beider Blick geht hinüber zur Kaffeemaschine. Die Frau will einen Cappuccino. Dazu ist es, unabdingbar die Kaffeemaschine zu bedienen, was wiederum mit einem Geräusch verbunden ist. Was heißt Geräusch, es wäre ein infernalischer Lärm, der, wenn ich dem nun ausgesetzt werde, eine nie da gewesene Stimmungsexplosion provoziert. Alle wissen das und doch muss das Geschäft irgendwie am Laufen gehalten werden. Mit Zeichensprache macht die weibliche dem männlichen Kollegen klar, sie habe einen Vorschlag, wie man den Kundenwunsch doch befriedigen kann, ohne mich in der Konzentration zu stören und so Schlimmeres verhindern. Ihre, mit vollem Körpereinsatz gespielte Pantomime, deutet eine Lösung an. Ihr Kollege, der nicht nur männlich, sondern auch ihr Chef ist, nickt lautlos begeistert zu. So geräuscharm wie nur möglich, zieht die Weibliche ihren Mantel an und vermeidet es den Reißverschluss, zu betätigen, und schleicht aus der Buchhandlung, hin zur Konkurrenz, um dort einen Cappuccino zu kaufen, mit dem sie nach wenigen Minuten zurückkehrt. Zum Glück sind es bis dorthin ja nur zwei Busstationen. Zufrieden setzt sich die Stammkundin in die hinterste Ecke, legt sich einen Zuckerwürfel in den Mund und löst ihn mit einem Schluck Kaffee, lautlos auf. Ein stummes Aufatmen bei allen Beteiligten. Die Ruhe bleibt gewahrt und ich warte weiterhin auf meine Eingebung. Einmal bereits habe ich drei tage in diesem zustand verharrt und die Buchhändler mussten in der Buchhandlung übernachten, weil keiner von ihnen es wagte, mir zu sagen, es sei Feierabend. Ich bin gerne hier, weil es einfach einen tollen Service gibt, der einmalig ist.

Alles hätte so schön harmonisch weitergehen können, doch dann kommt dieser Typ rein. Mit einer Rücksichtslosigkeit, die ihres Gleichen sucht, lässt er einfach die Eingangstür los, die deutlich ins Schloss fällt. Ich zucke bereits, doch ist es nur meiner unglaublichen Nervenstärke zu verdanken, dass ich nicht vollends ausraste. Doch wenn Blicke töten könnten! Und als wäre nicht auch schon so alles furchtbar genug, setzt sich dieser Unglücksrabe, ohne die Genehmigung einzuholen, zu mir an den Tisch. Mir gegenüber! Eine pure Provokation, doch ich versuche, ihn einfach zu ignorieren. Bereits nach Sekunden wird mir klar, es wird mir nicht gelingen und der Kerl spielt mit seinem erbärmlichen Leben. Ich werfe ihm meinen berühmten und unmissverständlichen Blick zu, der stets funktioniert. Doch dieser Lebensmüde, der wohl nicht sehr an seinem Leben hängt, bestellt doch tatsächlich verbal einen Kaffee! Totenstille! Wenn jetzt eine Mücke kacken würde, man könnte es hören.

Ich staune über mich selbst, wie entspannt ich bleibe.

Doch das ist nur rein äußerlich. Innerlich habe ich bereits das Messer gewetzt, Patronen in den Revolver gesteckt und den Strick geknüpft.

Da sitzt mir dieses Mondgesicht, noch lebend, gegenüber und begreift nicht, wie er sich hier zu verhalten hat. Sieht der denn nicht, dass ich denke? Glaubt der vielleicht, ich gucke hier nur so aus vergnügen in die Gegend? Schließlich denke ich ja nicht für mich, sondern für die Welt, die Welt meiner Leser! Und dieser Typ sitzt da und grinst mich leicht grenzdebil an und stopft sich Kopfhörer in die Ohren und hört Musik, als ob das hier ein freier Raum wäre, indem jeder machen kann, was er will.

Manchmal kann man ja den Menschen ansehen, welche Musik sie hören. Doch so wie der guckt, muss die Musik wohl rückwärts laufen! Er sitzt nur da, lautlos! Wie ein Stillleben! Dabei sieht er mich mit seinem dämlichen Grinsen an. Er tut wirklich alles, um ihn abgrundtief zu hassen! Und ich tue ihm diesen Gefallen! Alleine für dieses blöde Angrinsen verdient er ein Messer zwischen die Rippen. Plötzlich füllen sich seine Wangen mit Luft voll und ich ahne, er wird doch nicht gleich losprusten. Und was tut er? Er prustet los. Was zum Teufel hört der Typ für eine Musik, die diesen Lachflash verursacht? Die beiden Buchhändler, beiderlei Geschlechts, nähern sich mir, um im Extremfall mich festzuhalten, bevor ich mich auf den Kerl stürze und ein Blutbad anrichte, was sie dann wegmachen müssten. Ist ja schließlich nicht mein Laden.

Jeder normale Mensch würde doch merken, wie fehl am Platze dieses laute Lachen wäre, doch von Einsicht ist von der zukünftigen Leiche nichts zu merken. Der scheint wohl keine Hinterbliebenen zu haben, auf die er Rücksicht nehmen muss! Nachdem kräht wohl kein Hahn. Wer will auch schon mit einem Deppen zusammen sein, der so bescheuert in die Welt grinst. Jedes einzelne Kichern ist wie ein Messerstich in mein Herz. Wie eine Leibwache stehen die beiden geschlechtlich paritätisch besetzten Buchhändler hinter mir und streicheln meine Schultern, um im Falle eines Angriffs, noch das Schlimmste zu verhindern. Doch ich brauche keine rohe sinnlose Gewalt, um jemanden zu töten. Meine Worte können wie eine Guillotine sein, die messerscharf herabfällt und den Anderen kopflos zurücklässt.

„Was hören sie denn da?“, höre ich mich plötzlich sagen, in einem süßlich fröhlichen Ton, der mir selbst Angst einflößt.

Doch ich erhalte keine Antwort. Stattdessen grinst er weiterhin mich an und wackelt jetzt auch noch völlig grundlos mit dem Kopf. Der scheint zu wissen, wie man jemanden zur Weißglut treibt. Doch auch ich bin noch nicht am Ende aller Weisheiten. Jetzt setze ich meine gefährlichste Waffe ein. Ich lächle. Ich lächle einfach zurück. Aber es ist nicht irgendein Lächeln, es ist mein gefährlichstes Lächeln. Ein Mephisto-lächeln! Minutenlang Lächeln wir uns nun gegenseitig an. Und keiner gibt nach. Ein ebenbürtiger Gegner. Der Showdown ist in vollem Gange. High Noon liegt in der Luft. Ich beginne breiter zu lächeln, um ihn meine Dominanz spüren zu lassen. Es zerreißt mir fast die Mundwinkel, doch jetzt Nachgeben ist keine Option. Hier und jetzt muss für alle Zeit geklärt werden, wer hier das Sagen hat. Ich werde jedenfalls vor diesem Lächler nicht einknicken, selbst wenn meine Mundwinkel aufplatzen und ich ausblute. Das Schweigen aller im Raume bestärkt mich darin, denn es zeigt mir, sie halten alle zu mir. Ich bin ihr Hero! Diese Buchhandlung mit Kaffeeausschank ist mein Revier, mein Wohnzimmer, mein Zuhause! Da wird nach meinen Regeln gespielt. Und dieser Typ, dieser Lächelanfänger, ist in meine Privatsphäre eingedrungen und versucht sich hier ein-zulächeln. Das kann nicht geduldet werden. Ich bin zum Äußersten bereit. Zu einer kriegerischen Auseinandersetzung gibt es keine alternative. Er oder ich! Und es wird keine Gefangenen geben! Die Hoheit über meinen Arbeitsplatz muss jetzt geklärt werden. Mag es hier auch Stammgäste geben, sehr zu meinem Unmut, ich bin immer noch der Oberstammgast! Darauf Rücksicht zu nehmen, sollte doch eine Selbstverständlichkeit sein. Wird gegen dieses ungeschriebene Gesetz verstoßen, willkürlich oder im vollen Bewusstsein, so ist es ja wohl mein gutes Recht, dagegen vorzugehen. Und diese, mir selbst verliehene Macht, gilt es nun durchzusetzen.

Ich entscheide mich also für das schärfste Wort, was mir zur Verfügung steht und habe auch keinerlei Skrupel, es gegen meinen ärgsten Feind anzuwenden. Einen Augenblick zögere ich noch, nicht aus Feigheit, vielmehr aus Menschlichkeit, ihm die letzte Chance zu gewähren, bevor ich gnadenlos zuschlage. Und dann wird nichts mehr sein wie bisher! Selbst die Bücher in den Regalen scheinen die Luft anzuhalten. Einige von ihnen, in der Kinderabteilung wimmern bereits. Nur die dicken Schwarten von Stephen King scheinen ungerührt. Sie haben dem Grauen schon viel zu oft in seine hässliche Visage geschaut, dass sie nichts mehr beunruhigen kann.

Dann endlich ist es soweit. Ich verschärfe ein letztes Mal  meinen Blick, der dem der Medusa sich annähert, die ja jeden zu Stein erstarren ließ, der sie angesehen hat. Leider ist mir diese Gabe nicht in die Wiege gelegt, was ich schon immer sehr bedauert habe, sonst würden sich die Statuen und Standbilder in meiner Umgebung, um ein Vielfaches explosionsartig vermehrt und wie Pilze aus dem Boden geschossen haben.

Für einen Moment genieße ich noch die unheilvolle Ruhe vor dem Sturm, ehe die trügerische Stille jäh durchbrochen wird. Ich kenne mich genau und das macht mir Angst, denn gegen mich bin ich machtlos. Wenn es kommt, dann kommt es und ich bin dann nicht mehr imstande es aufzuhalten. Und jetzt ist es so weit. Deutlich spüre ich die Gefahr, die von mir ausgeht. Die beiden Buchhändler, die längst aufgegeben haben mich zu beruhigen, sind längst hinter dem roten Sessel, der mein angestammter Platz ist, in Deckung gegangen und halten sich gegenseitig die Ohren zu. Langsam, aber unaufhaltsam spüre ich, wie es sich seinen Weg bahnt, tief aus meinem Inneren und fest entschlossen, sich nicht mehr aufhalten zu lassen: DAS WORT!

Sicherlich, es ist nicht groß, hat kaum Bedeutung. Oft wird es einfach nur so daher gesagt. Aber diesmal hat es eine unmissverständliche Botschaft. Es ist aufgeregt, denn an ihm hängt nun ein Menschenleben! Wird es seiner Verantwortung gerecht oder wird es sich bei seinen Kollegen lächerlich machen? Unsicher bleibt es zunächst im Hals stecken und wagt noch nicht den Sprung aus dem Mund, wohl wissend, das es dann kein Zurück mehr gibt.  Wenn es erst einmal draußen ist, gibt es keine Möglichkeit mehr, sich wieder zurückzuziehen. Ich nehme ein letztes Mal tief Luft, um DAS WORT mit ungeheurer Wucht herauszukatapultieren. DAS WORT stemmt sich mit allem ihm zu Verfügung stehenden Mittel gegen den Luftstrom, der sich im Zwerchfell und den Flanken gesammelt hat und mit geballter Kraft nach oben drängt. Die Zunge vibriert bereits nervös, denn sie ist die größte Unterstützung für DAS WORT. Zungenlos wäre DAS WORT nur ein unverständliches und undefinierbares, kraftloses, matschiges Gestammel. Niemand würde dann voller Hochachtung von ihm sprechen als DAS WORT!

Wer DAS WORT führt, der hat die Macht!

Und das, was mir hier gegenübersitzt und so nichtsahnend vor sich hin lächelt, ist sich der Tragweite seines Handelns nicht bewusst. Sehenden Auges erkennt er nicht die Gefahr, die unaufhaltsam auf ihn zukommt. Denn DAS WORT ist unerbittlich und keinesfalls bereit Gefangene zu machen. Ich kenne es ja bereits aus einer früheren Erfahrung. Noch heute schaudere ich, wenn ich daran zurückdenke. Damals, als es zum Ersten mal aus mir herausgebrochen ist, erschrak ich doch sehr über seine ungeheure Wucht. Denjenigen den es traf, habe ich nie wiedergesehen. Ich erinnere mich nur noch, wie er wankend und zitternd die Kneipe verließ, wo er mich zuvor angerempelt hat und dabei mein Bier verschüttet.

Solch eine frevelhafte Tat durfte natürlich nicht ungesühnt bleiben. Jeder anständige Alkoholiker wird mir hier zustimmen.

Noch scheint dieses lächelnde Etwas, das da mir gegenüber sitzt, keine Vorstellung von dem zu haben, was da gleich auf es zukommen wird. Fast kann er einem schon leidtun, aber eben nur fast! Doch jetzt, da DAS WORT sich schon auf dem Weg befindet, hin zu dem, der meine Kreise stört, bin ich nicht mehr in der Lage ihm Einhalt zu gebieten. Denn DAS WORT hat sich selbständig gemacht und sich meiner Kontrolle entzogen. Es ist genauso wie ein trotziges Kind, dem zuzutrauen wäre, seine Eltern beim Jugendamt anzuschwärzen, bloß weil sie ihm an der Supermarktkasse nichts Süßes kaufen wollen.

Deutlich spüre ich in meinem Hals: DAS WORT bahnt sich seinen Weg. Unaufhaltsam, im Strom des Atems, der ihm die notwendige Schubkraft verleiht, schiebt sich DAS WORT nach oben, hin zum Gesichtsausgang. Meine Lippen haben bereits klein beigegeben und sich devot ergeben, leicht geöffnet. Kein Hindernis hält nun DAS WORT noch auf. Und dann ist es da! DAS WORT, das alles ändern wird und soll. Nachher wird nichts mehr sein, wie es vorher war. Bevor DAS WORT sich in das Gesicht des Feindes eingräbt, sorgt ein warmer Atemstrom dafür, dass sich die Haare meines Gegenübers in die Höhe stellen, aus panischer Angst, was da wohl kommen mag. Einige ergeben sich sofort und fallen feige auf den Boden. Dort werden sie sofort von den am Boden lebenden Wollmäusen verschluckt und sind mit bloßem Auge nicht mehr auszumachen. Sie bleiben wohl bis zum Frühjahr dort liegen, bis sich einer der beiden Buchhändler, in einem spontanen Anfall von Reinigungswut, alles zusammenkehren, um so die tatsächliche Farbe des Bodens wieder sichtbar werden zu lassen.

Am Ende des lebensbejahenden Stroms kommt nun DAS WORT zum Vorschein. Harmlos und überhaupt nicht gefährlich stellt es sich vor. Doch der Schein trügt. Als Solches ist DAS WORT unspektakulär. Doch ihm anhängig ist ein Fragezeichen, was erst das wahre Ausmaß deutlich macht.

„Was?“

Da ist es endlich, worauf ich so lange gewartet habe!

„Was?“, wiederhole ich mich, denn das dummdreiste Lächeln meines gegenübersitzenden Feindes, hat weiter Bestand.

Statt nun den Ernst der Lage zu erkennen, nickt dieser lächelnde Ignorant nun auch noch. Was soll mir das sagen? Ist es womöglich seine ungelenke Art mir zu signalisieren, dass es sich dabei um eine devote Unterwerfungsgeste handeln soll?

DAS WORT, meine absolut tödliche Waffe, verpufft im Nichts. Ich bin niedergeschlagen und ratlos. Wenn schon DAS WORT so sehr seine Wirkung verfehlt, was kann ich dann noch tun. Doch gerade als ich mich dazu entschließe zu kapitulieren, da geschieht etwas vollkommen Überraschendes. Der Mann, der sämtliche Provokation an sich abperlen lässt, zieht plötzlich die Stöpsel aus den Ohren und spricht zu mir.

„Haben sie mit mir gesprochen?“

Dankbar nehme ich diese verbale Kenntnisnahme meiner Person auf. Länger hätte ich seine Ignoranz an mir auch nicht mehr ertragen.

„Ja!“, sage ich kurz, mit der nötigen Verachtung.

„Oh!“, sagt der Todgeweihte.

Doch für mich kommt diese Entschuldigung zu spät und ich spanne meinen ganzen Körper an, um, falls es sich dabei um eine Finte handelt, mental gerüstet bin.

Einen Moment sitzen wir uns gegenüber und nichts geschieht. Ein unhaltbarer Zustand für mich und ich entscheide mich zu einem Frontalangriff.

„Was soll dieses alberne Lächeln? Dieses dummdreiste Grinsen, dieses alberne Gegluckse?“

Ich lasse die Vorwürfe einwirken und warte auf die Reaktion, die Entschuldigung, die Bitte um Verzeihung und dem Blutschwur, es nie wieder zu tun. Doch dies tue ich Vergebens! Der von mir geistig bereits Ermordete sieht mich nur fragend an. Das lasse ich ihm nicht durchgehen, denn das ist meine Domäne. Wer hat denn hier als Erster gefragt? Das war ja wohl ich und deshalb ist eine Gegenfrage beziehungsweise in diesem Fall ein Gegenfragengucken inakzeptabel! Und genau das werde ich ihm nun mitteilen, mittels eines gut Hörbaren und nicht argumentativ Anzufechtenden: „Tzzz!“

Mit dieser Machtdemonstration hat er offenkundig nicht gerechnet, denn ihm entfährt nur ein lautloses und erbärmliches Schulterzucken. Jetzt habe ich ihn endlich intellektuell am Wickel. Er ist in die Falle getappt.

„Mögen Sie keine fröhlichen Menschen oder suchen Sie einfach nur Streit?“, fragt dieser Unglücksrabe plötzlich, ohne das ich ihm zuvor das Wort erteilt habe.

„Da hängt wohl jemand nicht an seinem Leben!“, denke ich, während ich einen entgegengesetzten Gesichtsausdruck zeige, um ihn endgültig zu verwirren.

Mit einem Male verändert er seine Gesichtsphysiognomie von einem dauerhaften Lächler, hin zu einem gewaltbereiten Schwerverbrecher mit der Tendenz zum Massenmörder. Das nötigt mir zugegebenermaßen etwas Respekt ab. Um nicht zu sagen, mein bislang erfolgreiches Leben könnte an einem Schlusspunkt angekommen zu sein, wo man sich rasch einige Abschlussworte einfallen lassen sollte, die der Nachwelt erhalten bleiben. Diese Verschiebung des Kräfteverhältnisses habe ich so nicht kommen sehen. Bis es zu dieser Blickverschiebung kam, hatte ich die Sache vollkommen im Griff, die mir nun aus der Hand zu gleiten droht. Meine Siegchancen scheinen zu schwinden und ich muss mir rasch eine neue Strategie einfallen lassen, ehe er mein Lebenslicht ausbläst, was mir, so wie sich sein brutal ausgestaltetes Gesicht jetzt darstellt, unmittelbar bevorsteht. Mir bleibt nun nichts mehr anderes übrig, als eine Antiaggressionsdeeskalationsstrategie zu fahren und auf Erbarmen zu hoffen.

Ich hoffe inständig, dass meine gewässerten Augen bei ihm Mitleid auslösen. Vorsichtig schaue ich zu ihm hoch, denn inzwischen steht er, in ganzer Körpergröße, vor mir, was mich zwingt nach oben zu sehen. Keine schöne Aussicht, die da zu mir herunterschaut. Eine grimmige, argwöhnische Gruselmaske, hinter der sich das freundliche Lächeln von vorhin verbirgt. Die Hände geballt und zum sofortigen Zuschlag bereit. Leider ergreift mich nun auch noch ein Zittern, was meinen ganzen Körper ergreift, der damit noch elender daherkommt. Überhaupt muss ich mir selbst vorwerfen, dass ich derzeit kein besonders anmutiges Bild abgebe. Ich bin schon heilfroh mir nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Jetzt aber gilt mein Hauptinteresse darin, mit heiler Haut aus dieser Buchhandlung zu gelangen, möglichst ohne körperliche Blessuren. Doch ein gewaltfreier Ausweg scheint derzeit kaum möglich. Hingegen bei einer körperlichen Konfrontation sehe ich mich, mit deutlichem Abstand, auf dem zweiten Platz. Es kann eben immer nur einen Sieger geben! Das muss ich als guter Demokrat akzeptieren, wenn es auch zu meinen Ungunsten ist. Mir bleibt jetzt nur noch eine einzige Chance, der drohenden Niederlage zu entgehen.

Ich muss ihn in ein freundliches Gespräch verwickeln, um ihm zu demonstrieren, dass ich eigentlich ganz anders bin, als er wohl denkt, wie ich bin. Und so starte ich meine Friedensmission!

„Der Kaffee ist hier wirklich lecker!“

„Danke!“, melden sich die beiden Buchhändler ungefragt hinter dem Sessel, wo sie ungeduldig auf das Kriegsende warten.

Unverändert hält mein Widerpart seine Gesichtszüge aufrecht. Von Abrüstung ist noch nichts zu sehen. Sein starrer Blick, der mich durchdringt, scheint sich sogar noch zu verstärken. An einer Entspannung scheint er noch kein Interesse zu haben oder aber das von mir vorgegebene Thema liegt ihm einfach nicht. Also muss ein Neues her.

„Lecker Kuchen gibt es ja auch!“, versuche ich einen neuen Beschwichtigungsversuch.

„Käse- und Rüblikuchen gibt es heute!“, kommt eine Ansage hinter dem Sessel, seitens der verkaufsinteressierten Buchhändlerin.

„Aha!“, meldet sich mein Gegner.

Diese erste kleine Reaktion verbuche ich für mich als großen Erfolg. Es scheint mir, als hätten wir doch noch eine gemeinsame Gesprächsbasis gefunden. Ich lächle ihn entwaffnet an, dem noch nie jemand widerstehen konnte. Doch Er kann! Unverändert sind seine Züge. Doch ich lasse mich von dem kleinen Rückschlag nicht irritieren. Vielleicht war ihm meine Lächelattacke nicht aufrichtig genug. Ich muss mich ihm einfach besser erklären.

„Es wird viel zu wenig gelächelt in unserer Zeit. Das wurde mir jetzt erst bewusst, als ich sie vorhin lächeln sah!“, sage ich unsicher.

„Ich habe nicht gelächelt, ich habe geschmunzelt!“, knurrt er und ich halte den Atem an.

War das nun ein Friedensangebot? Wenn ja, dann bin ich gerettet.

„Und ihr Schmunzeln hat mein Herz aufgehen lassen!“, versuche ich mich, geschickt einzuschmeicheln, so das er es nicht gleich bemerkt.

„Du willst dich wohl bei mir einschmeicheln?“

Erleichtert atme ich auf. Er hat mit geduzt, was ich als einen großen Fortschritt in unserer noch jungen Beziehung betrachte. Für mich ist klar: Die Richtung stimmt.

Jetzt kommt es nur darauf an, wie ich geschickt weiter agiere, um noch mehr sein Vertrauen zu gewinnen.

Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und wäge meine Worte sehr sorgsam und mit Bedacht.

„Du Nein! Dein Schmunzeln ist wirklich bezaubernd gewesen. Ich schwör!“, verkünde ich, in aller mir gebotenen Ernsthaftigkeit.

Und da passiert es. Das nicht zu hoffen Gewagte. Sein Schmunzeln kehrt wieder. Ich überlege, ob ich ihn dafür in den Arm nehmen soll oder ob es noch verfrüht ist. Ich möchte ja nicht „Das kleine Pflänzchen Hoffnung“ zertreten, noch ehe es richtig aufgeblüht ist.

„Darf ich Sie um etwas bitten?“, erkundigt er sich plötzlich ganz schüchtern.

Aus dem eben noch brutal wirkenden Schläger ist ein sanftes handzahmes Reh geworden.

„Natürlich!“, antworte ich, in einem angemessenen pastoralen Tonfall.

Wie ein langjähriger väterlicher Freund berühre ich sanft seine Schulter, um ihm ein wohliges Gefühl zu vermitteln, dass er mir alles sagen kann, so wie seinem Beichtvater.

Er entspannt sich sichtlich und ich spüre, wie gut ihm meine kleine Geste tut. Für einen Moment sieht er mich dankbar an und dann tut er etwas, was sehr ungewöhnlich ist, wenn man bedenkt, das wir uns in einer Buchhandlung befinden. Er streift sich seinen Pullover über den Kopf und zum Vorschein kommt ein makelloser muskulöser Oberkörper, dem jeder den Atem verschlagen würde, der daran Gefallen findet. Ich bleibe äußerlich völlig cool. Innerlich bin ich vor Neid zerfressen. Ich wage es nicht, ihn anzustarren. Dafür aber offensichtlich die Buchhändlerin. Denn unter dem Sessel höre ich sie inbrünstig seufzen, vor Verlangen. Der Buchhändler hingegen sagt nichts. Offenbar hat es ihm die Sprache verschlagen.

„Dürfte ich Sie wohl um ein Autogramm bitten? Hier quer über die Brust?“

Diese Bitte überrascht mich nun, wenn gleich ich ein wenig geschmeichelt bin, denn es kommt ja nicht alle Tage vor, dass ich Autogramme auf nackte Haut gebe. Eigentlich ist es überhaupt das erste Mal, dass mich jemand um ein Autogramm bittet, außer vielleicht einmal der Paketbote.

Er hält mir einen wasserfesten Edding-Stift hin und zieht mit seinen Händen die ausgesuchte Hautstelle stramm.

„Vor und Zuname?“, erkundige ich mich und setze noch hinzu: „Auch die Adresse?“ Und lache ganz alleine über meinen gelungenen kleinen Scherz.

„Nur den Namen bitte. Und deutlich. Damit der Tätowierer es gut nachstechen kann.“

Erst jetzt bemerke ich die Stille, die hier vor Ort entstanden ist, wenn man von dem Dauer-seufzen der Buchhändlerin absieht.

„Sie wollen sich meinen Namen tätowieren lassen? Das haben sie dann ja ein Leben lang.“

„Ja genau!“, jubelt er und strahlt.

„Aber warum denn ausgerechnet von mir?“

„Weil ich gerade ihr Buch angehört habe und es mich glücklich macht. Seit ich es höre, bekomme ich das Lächeln nicht mehr aus meinem Gesicht!“

Diesen Worten konnte ich nichts entgegensetzen. Ich nahm den Stift und schrieb meinen Namen quer über seine Brust und setzte von meinem neuen Buch noch die ISBN Nummer drunter.


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