Ich werde immer mal wieder gefragt, warum ich in meinen Artikeln keine gegenderte Schreibweise verwende. Das mache ich durchaus bewusst, und die Gründe dafür sind nicht, dass ich etwas gegen Gleichstellung von Frauen und Männern hätte, sondern andere, die ich hier kurz erläutern möchte.

Leseschwierigkeiten

Der Hauptgrund für mich, nicht zu gendern, ist, dass es auf diese Weise Menschen, die aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten mit dem Lesen haben, erschwert würde, meine Texte zu lesen.

Die Gründe dafür, warum sich Menschen schwertun mit dem Textverständnis, können ja vielfältig sein. Neben einer Lese- und Rechtschreibstörung (LSR) können dies ja auch generelle kognitive Defizite sein, und auch Menschen, die nicht deutsche Muttersprachler sind, haben zuweilen Schwierigkeiten beim sinnerfassenden Lesen von Texten.

Deswegen wird ja beispielsweise immer öfter in Behörden oder anderen öffentlichen Institutionen die sogenannte leichte Sprache verwendet, und das finde ich auch sehr sinnvoll. Schließlich geht es bei Funktionstexten vor allem darum, dass jeder, der das liest, auch genau und richtig versteht, was ausgesagt werden soll.

Gegenderte Schreibweise bewirkt nun das genaue Gegenteil, denn auf diese Weise werden Texte schwerer lesbar. Dazu muss man sich nur mal ein Wort wie „Kund:innenberater:innen“ vor Augen führen. So zu schreiben ist also kontraproduktiv in Bezug auf Inklusion und schließt somit Menschen aus, die ohnehin schon Probleme mit Schriftsprache haben. Und das ist für mich schlichtweg inakzeptabel, denn Sprache ist für mich immer noch vor allem ein Vehikel, um Inhalte rüberzubringen. Wenn das für zunehmend mehr Menschen erschwert oder eingeschränkt wird, dann ist das nicht mehr mit dieser Funktionalität zu vereinbaren.

Gerade in Zeiten, in denen die Probleme, mit denen Menschen konfrontiert werden, immer komplexer werden, erscheint es mir umso wichtiger, auf Inhalte zu fokussieren und nicht auf die Form, zumal wenn diese dann auch noch das Verständnis erschwert.

Verfälschung der Inhalte

Eine Alternative dazu, die Lesbarkeit mit * oder : zu verschlechtern, besteht darin, dass man neutrale Formulierungen benutzt. Also beispielsweise „Mitarbeitende“ statt „Mitarbeiter*innen“.

Das Problem dabei: Mitarbeitende und Mitarbeiter sind was Unterschiedliches. Genauso wie ein Student nicht zwingend gerade ein Studierender und ein Studierender nicht unbedingt auch Student sein muss.

Hier ergibt sich eine Verschlechterung der sprachlichen Präzision, wenn nicht gar eine Verfälschung, was zu einer Verarmung der Ausdrucksmöglichkeiten führen kann.

Ähnliches ist zu beobachten, wenn aus Gründen der Kompaktheit der Plural statt der Einzahl gewählt wird, also „die Kund:innen“ statt „der Kunde/die Kundin“ oder „die Ärzt*innen“ statt „der Arzt/die Ärztin“, weil eben im Singular nicht einfach so gegendert werden kann. Das macht dann Sätze zwar u. U. besser lesbar, doch auch hierunter leidet die sprachliche Präzision und die Vielfalt des Ausdrucks, wenn man beispielsweise schreibt, dass man sich um „die Schüler:innen“ statt um „jede:n Schüler:in“ oder „jede Schülerin/jeden Schüler“ kümmert.

Das Weibliche als Anhängsel

Das ist nun eine eher sehr persönliche Empfindung von mir, aber für mich wird durch das Anhängen der weiblichen Endung nach einem * oder : der Charakter eines Anhängsels betont. Da hat man dann das eigentliche Wort, und nach einem Zeichen, das von vielen zumindest noch als ungewohnt angesehen wird, kommt dann noch die weibliche Form mit ran.

Das ist dann nicht nur eine ästhetische Sache, sondern eben auch eine der Wertigkeit, wie ich finde. Klar, das liegt natürlich daran, dass die weiblichen Formen in der deutschen Sprachen in der Regel eine Abänderung der männlichen Formen mit zusätzlicher Endung sind – aber muss man das dann auch noch extra so optisch oder auch akustisch in Form einer Pause betonen?

Gleichstellung stelle ich mir zumindest anders vor …

Trennung von offizieller und privater Sprache

Kennt Ihr jemanden, der in einer ganz normalen privaten Unterhaltung gendert? Ich zumindest nicht …

Und auch in privater schriftlicher Kommunikation kommt das zumindest in meinem Umfeld so gut wie nicht vor.

Insofern ist hier eine Trennung zwischen „offizieller“ Sprache, wie sie in den Nachrichten und vielen Medien verwendet wird, und „tatsächlicher“ Sprache, wie sie die Menschen einfach so nutzen, zu beobachten. Und dem kann ich nicht wirklich etwas abgewinnen, denn das ist dann schon wieder eine Spaltung in unserer Gesellschaft, und davon haben wir ja wahrlich schon mehr als genug.

Mal davon abgesehen, dass bei mir dann auch solche unangenehmen Assoziationen wie zu Orwells Neusprech geweckt werden …

Feigenblatt, um den Status quo aufrechtzuerhalten

Nach wie vor haben wir einen Gender-Pay-Gap in Deutschland, nach wie vor bekommen Mädchen rosa Spielzeug und Klamotten und Jungs das Ganze in Blau, nach wie vor werden Mädchen durch die Erziehung in typischen „Frauenberufe“ (die dann auch oft schlechter bezahlt werden) gedrängt, nach wie vor wird haufenweise unbezahlte Care-Arbeit vor allem von Frauen geleistet, nach wie vor dürfen Frauen nicht einfach so über ihren Körper entscheiden in puncto Schwangerschaftsabbruch, nach wie vor finden viel zu viele Femizide statt, die zudem oftmals noch nicht mal als solche benannt werden (s. hier), nach wie vor werden Frauen allzu oft vor allem auf ihr Äußeres reduziert, nach wie vor finden sich viel weniger Frauen als Männer in Führungspositionen, nach wie vor sind sexistische Social-Media-Kommentare auf Äußerungen von Politikerinnen oder Journalistinnen leider eine Selbstverständlichkeit und werden sogar öffentlich unter Klarnamen getätigt …

Aber – hey – wir gendern jetzt! Fragt sich nur, ob sich auf diese Weise an den eben aufgezählten Missständen etwas ändern wird. Was ich nämlich eher bezweifle.

Dazu muss man ja nur mal in englischsprachige Länder schauen, denn dort gibt es ja (bis auf wenige Ausnahmen, wie beispielsweise „policeman“ und „policewoman“) keine männlichen und weiblichen Formen der Substantive. (Dass man das ja so im Deutschen auch handhaben könnte, hab ich vor gut einem Jahr schon mal in einem Artikel vorgeschlagen.) Und wie schaut es dort mit patriarchalen Strukturen aus?

Zumindest sind mir Großbritannien und die USA bisher nun nicht eben gerade als Hochburgen der geschlechtlichen Gleichstellung und des Feminismus aufgefallen … Und auch Sexismus ist dort leider reichlich vorhanden.

Was ja den Schluss nahelegt, dass dieses Denken vielleicht gar nicht so sehr von genderter bzw. nicht gegenderter Sprache beeinflusst wird, wie es die bei uns geführte Debatte darum nahelegt.

Oder vielleicht ist es ja sogar andersrum, dass sich gesellschaftliches Bewusstsein in der Sprache manifestiert. Wenn also bestimmte Denkweisen als antiquiert und überholt gelten, dann drückt sich das auch in einer anderen Verwendung sprachlicher Begriffe aus. Zumindest kann man so was ja bei den Begriffen „Zigeunerschitzel“ und „Negerkuss“ beobachten, auch wenn es hier natürlich einige Trotzköpfe von Rechtsaußen gibt, die diese Worte nach wie vor aus Gründen der Provokation benutzen und sich über deren zunehmende Nichtverwendung stets echauffieren. Aber solche Typen kann und sollte man ja eh nicht so richtig ernst nehmen.

Bestärkung von Vorurteilen der Patriarchatsverfechter

Und dann sollte man sich doch auch fragen, wen man denn mit einer gegenderten Sprache erreicht, also im positiven Sinne bestärkt. Das dürften vor allem diejenigen sein, die ohnehin schon nichts mit Sexismus und Patriarchat am Hut haben. Diejenigen hingegen, die das beides für gute Sachen halten, wird man hingegen eher nicht zum Umdenken bewegen, sondern ihnen vielmehr noch Futter dafür liefern, an ihren veralteten Ansichten festzuhalten. Schließlich haben sie nun in jeder Nachrichtensendung etwas, worüber sie sich aufregen können, wenn dort gegendert gesprochen wird.

Und wenn man sich über die Form aufregt, kann man nicht nur den Inhalt einfach so hinnehmen, sondern hat eben stets auch eine schöne Nebelkerze zur Hand, um von den tatsächlich relevanten Diskussionen bezüglich nach wie vor auch bei uns bestehender patriarchaler Strukturen abzulenken.

Identitätspolitik als Teil der Teile-und-herrsche-Strategie (s. hier und hier) – das ist leider nichts Neues, aber dennoch etwas m. E. Grundeverkehrtes, denn gerade bei solchen Themen wäre eine Zusammenführung der Menschen und ihrer Positionen wichtiger als eine weitere Spaltung, um tatsächlichen gesellschaftlichen Fortschritt zu erzielen.

Und insofern ist es für mich auch kein Widerspruch, mich nach wie vor gegen Patriarchat und Sexismus sowie für feministische Anliegen zu engagieren und auszusprechen, ohne dabei auf gegenderte Sprache zurückzugreifen.

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