"Warum machst Du das?" — "Wie hältst Du das aus?" — "Wie schaffst Du es, die Hoffnung nicht zu verlieren?"
Diese Fragen bekomme ich immer wieder gestellt, wenn jemand mitbekommt, wie ich in Diskussionen mit Querdenkern gehe, mit Verschwörungsmystikern, mit Impfgegnern oder generell mit Menschen, die eine sehr abseitige Vorstellung davon haben, wie die Welt funktioniert.
Die Geschichte, warum ich überzeugt bin, dass das, was ich tue, wirkt, habe ich immer mal wieder erzählt. Es ist an der Zeit, sie ausführlicher niederzuschreiben.
tl;dr: Wir machen das nicht wegen der Fundamentalisten, sondern wegen der stillen Mitleser.
Was jeder, der in die Diskussion mit Fundamentalisten jeder Coleur geht, realisieren sollte: Man wird den direkten Gesprächspartner, das Gegenüber nicht erreichen. Wer sich in die Öffentlichkeit stellt und mit felsenfester Überzeugung Halb- und Scheinwissen, Verschwörungserzählungen und offene Lügen verbreitet, ist durch Argumente nicht zu erreichen. Der Zug ist abgefahren*.
Das bedeutet nicht, dass es sinnlos wäre, ihnen — öffentlich — zu widersprechen. Im Gegenteil.
Gerade in den sozialen Medien gibt es eine nicht zu verachtende Zahl stiller Mitleser. Von diesen stillen Mitlesern sind viele auch nur schlecht oder mittelmäßig informiert. Und wie viele Menschen, die sich nicht rund um die Uhr intensiv mit einem Thema beschäftigen können, sind diese nicht immer so richtig sicher, wem sie glauben sollen und was nun wirklich die Wahrheit ist. Ich wünschte, unsere Medienerziehung und die Medienkompetenz der Bevölkerung wäre besser, aber unser Schulsystem hat in diesem Punkt in der Vergangenheit viel versäumt (und versäumt weiterhin zu viel). Damit müssen wir arbeiten.
Diese stillen Mitleser lassen sich, anders als überzeugte Fundamentalisten, aber erreichen und das ist auch eine größere Personengruppe, als die Gruppe der Hardliner.
Aber nun zur Geschichte:
Es trug sich zu, dass vor inzwischen vier oder fünf Jahren, eine Frau eine Frage auf ihrem Facebook-Profil öffentlich — also für alle lesbar — stellte.
Sie wäre sich so unsicher wegen der Windpockenimpfung. Ob die denn auch wirklich nötig sei.
Es trug sich zu, dass vor inzwischen vier oder fünf Jahren, auf Facebook eine Frau eine Frage auf ihrem Profil öffentlich — also für alle lesbar — stellte. Sie wäre sich so unsicher, wegen der Windpockenimpfung. Ob die denn auch wirklich nötig sei.
Nicht verwunderlich, schlugen sehr bald die ersten Impfgegner dort auf und verbreiteten ihre übliche Angst- und Panikmache, während sie gleichzeitig die Risiken durch die Erkrankung selbst in Abrede stellten.
Schließlich bekam eine kleine Facebook-Gruppe davon Wind, in der sich Menschen zusammengeschlossen hatten, um gegen medizinische Desinformation vorzugehen. Unter den Mitgliedern der Gruppe gab es nicht wenige Personen in Medizinberufen, aber auch die Nichtmediziner waren im Allgemeinen ausgezeichnet informiert und fähig, sachlich und kompetent zu argumentieren.
Auch ich beteiligte mich und war damit beschäftigt, Fakten zu vermitteln und Falschinformationen als solche erkennbar zu machen.
Da die Diskussion hoch her ging, aktivierte ich meine 'Geheimwaffe': eine Bekannte. Nennen wir sie Corinna. Corinna hatte das Pech, als Kind den schweren Verlauf der Windpocken durchzumachen und trug nicht nur eine lebenslange Lungenschädigung davon. Der hässliche Nachkömmling der Windpocken, die Gürtelrose, brachte sie bereits ins Krankenhaus und ging nicht ohne monatelange Schmerzen und eine Nervenschädigung zu hinterlassen.
Da ich wusste, dass Corinna jederzeit bereit ist, ihre Geschichte zu erzählen, um anderen Kindern die lebenslangen Folgen einer Windpockenerkrankung zu ersparen, mit denen sie leben muss, bat ich sie, zur Diskussion dazu zu kommen.
Sie tat, was sie immer in solchen Fällen tut. Sie erzählte ihre Geschichte ruhig und mit den Emotionen einer Person, die ihr ganzes Erwachsenenleben unter einer Erkrankung leidet. Eine Erkrankung, die heute mit einer Impfung ganz einfach in Schach gehalten werden kann.
Nicht lange darauf blockierte die Frau, die am Anfang so ganz unverfänglich im Ton einer besorgten Mutter nach Informationen gefragt hatte, einen Teil der Diskussionsteilnehmer. Allerdings nur solche, die sich für die Impfung ausgesprochen hatten.
Doch ein paar Leute, die weniger aktiv in der Diskussion gewesen waren, hatte sie übersehen. Und diese berichteten uns am folgenden Tag Erstaunliches.
Die unschuldige Frage, die die Diskussion gestartet hatte, war gar nicht so unschuldig gewesen.
Die Fragestellerin war eine überzeugte Impfgegnerin und sie hatte eigentlich nur Argumente gegen die Impfung sammeln wollen. Und das, um einige unsichere Eltern in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zu überzeugen von einer Impfung abzusehen.
Da sie die Frage aber öffentlich gestellt hatte, geriet das Ganze zu ihrem persönlichen Waterloo und sie beschwerte sich am folgenden Tag, dass sich nun — anders als sie geplant hatte, — Menschen aus ihrem Bekanntenkreis für die Windpockenimpfung entschieden hätten.
Besonders beeindruckt hatte diese Eltern, wenig verwunderlich, Corinnas persönliche Schilderung.
Seit diesem Tag weiß ich mit Sicherheit um die Kraft der stillen Mitleser.
Fakten wirken nicht so gut wie persönliche Geschichten. Aber das bedeutet nicht, dass sie wirkungslos wären. Wenn ihr könnt und Bekannte habt, die an den Folgen einer impfpräventablen Krankheit leiden, bittet sie, ihre Geschichte zu erzählen**. Wenn ihr nicht könnt, arbeitet eben sauber mit Fakten.
Unsinn, der einfach unwidersprochen im Internet stehen bleibt, gebiert neuen Unsinn. Deswegen: übt Gegenrede***. Es fühlt sich oft sinnlos an, aber das ist es nicht. Vertraut darauf, Menschen zu erreichen und möglicherweise entscheidend zu beeinflussen, von denen ihr nie erfahren werdet.
*) Das stimmt nicht ganz. Es sind auch Menschen aus irrationalen Denksystemen zurückgekommen. Aber das ist oft das Ergebnis von jahrelanger (willentlicher und freiwilliger(!)) Beschäftigung mit der Realität.
Wie Steven Novella erzählt:
"And I have gotten through to people, although – not usually one on one, but like through my podcast. But that is because I get to talk to tens of thousands of people at once. And so, when you dealing those kind numbers, people will email me and will say that they did come out that way of thinking over time. Like eventually we sort of broke through, we cracked through."
**) Was ihr nie, NIE, NIEMALS machen dürft, ist, eine solche Geschichte zu erfinden. Das merkt man. Damit schadet ihr dann mehr, als ihr nutzt. Erfindet keine nicht existenten Freunde oder Bekannte, nur um eure Position zu stärken. Das schlägt nur auf euch zurück und macht euch für alle Zukunft unglaubwürdig.
***) Wichtig bei Gegenrede ist, höflich und sachlich zu bleiben. Idealerweise auch respektvoll. Besonders auch dann, wenn die Gegenseite es nicht ist. Ja, ja, ich weiß. Ich arbeite daran.
Korrektur: Nach Rücksprache mit Corinna habe ich die Aussage über ihre Gürtelrosen-Erkrankung angepasst. Ich hatte das Ereignis fehlerhaft im Kopf behalten.
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