Als Reaktion auf meinen letzten Publikum-Artikel bekam ich folgenden Tweet von einem offensichtlich bestens informierten Querdenker:
Der Autor des Tweets beschreibt sich selbst als „kritisch, geradeaus, hinter Kulissen schauend, aufdeckend, aufklärend". Mich verblüfft das nicht, denn mich verblüfft so schnell nichts mehr. Dennoch haben Sie vielleicht bemerkt, dass mein Geduldsfaden bez. Homöopathie, Homöopathen und anderen Anbietern von scheinmedizinischem Unfug[1] ziemlich kurz geworden ist. In der Tat halte ich inzwischen wenig davon, für Querdenker, Quacksalber, oder anderen Evidenz-Leugnern sonderlich viel Verständnis aufzubringen. Nachdem ich mich mit ihnen rund 30 Jahre lang intensiv auseinander gesetzt habe, finde ich es heute besser, solchen Leuten Paroli zu bieten. Fakten sind Fakten, und daran sollte niemand unwidersprochen rütteln dürfen.
Das war nicht immer so.
Als ich 1993 begann, den Lehrstuhl für Komplementärmedizin in Exeter aufzubauen, war ich guter Dinge. Dass meine Aufgabe, diesen Bereich wissenschaftlich zu beforschen, nicht einfach werden würde und mich gelegentlich auch in Konflikt mit den Enthusiasten bringen könnte, war mir klar. Aber ich war fest entschlossen, Brücken zu bauen, sachlich und höflich zu bleiben, und soviel Verständnis wie nötig aufzubringen.
Und so begann ich ein multidisziplinäres Team aufzubauen, zu forschen, und zu publizieren. Mein Ziel war es, möglichst gute Wissenschaft zu betreiben und, falls vermeidbar, dabei niemanden auf die Füße zu treten. Speziell zur Homöopathie war meine Grundeinstellung durchaus positiv. Dementsprechend waren meine Publikationen hierzu so wohlwollend, wie es die Evidenz zuließ. Mein Ziel war es, wo immer möglich, das Gute an der Homöopathie herauszustellen.
Was, Sie können das kaum glauben?
Dann befinden Sie sich in guter Gesellschaft!
Homöopathen sagen mir heute gerne nach, dass ich von Anfang an darauf aus war, nicht nur die Homöopathie, sondern die gesamte Alternativmedizin schlecht zu machen (siehe z.B. obigen Tweet). Dass diese Annahme nicht stimmt, habe ich 2009 einmal in einem Artikel mit dem Titel ‚Homeopathy and I' dargestellt[2]. Hierzu habe ich lediglich typische Passagen aus meinen Publikationen extrahiert. Aus ihnen geht hervor, wie sich meine Einstellung über die Jahre langsam änderte. Überzeugen Sie sich selbst (sorry, für die Länge der Liste):
- Homeopathic remedies are believed by doctors and patients to be almost totally safe (Ernst E, White A. Br J Gen Pract 1995; 45: 629--30)
- It might be argued that arnica ... is ineffective but homeopathy may still work (Ernst E. BMJ 1995; 311: 510--1)
- Homeopathy, I fear, has soon to come up with ... more convincing evidence (Ernst E. Forsch Komplementarmed 1995; 2: 32)
- Future evaluations of homeopathy should be performed to a high scientific standard (Ernst E. Br Homeopath J 1995; 84: 229)
- ... the best way forward is clearly to do rigorous research (Ernst E, Kaptchuk TJ. Arch Intern Med 1996; 156: 2162--4)
- The most pressing question, 'Is homeopathy clinically more effective than placebo', needs to be answered conclusively (Ernst E. Br J Clin Pharmacol 1997; 44: 435--7)
- There is evidence that homeopathic treatment can reduce the duration of ileus (Barnes J, Resch KL, Ernst E. J Clin Gastroenterol 1997; 25: 628--33)
- ... the published evidence to date does not support the hypothesis that homeopathic remedies ... are more efficacious than placebo (Ernst E, Barnes J. Perfusion 1998; 11: 4--8)
- The claim that homeopathic arnica is efficacious beyond a placebo effect is not supported by rigorous clinical trials (Ernst E, Pittler MH. Arch Surg 1998; 133: 1187--90)
- ... the trial data ... do not suggest that homeopathy is effective (Ernst E. J Pain Sympt Manage 1999; 18: 353--7)
- ... the re-analysis of Linde et al. can be seen as the ultimate epidemiological proof that homeopathic remedies are, in fact, placebos (Ernst E, Pittler MH.J Clin Epidemiol 2000; 53: 1188)
- ... homeopathy is not different from placebo (Ernst E, Pittler MH. J Clin Epidemiol 2002; 55: 103--4)
- ... the best clinical evidence ... does not warrant positive recommendations (Ernst E. Br J Clin Pharmacol 2002; 54: 577--82)
- ... the results of this trial do not suggest that homeopathic arnica has an advantage over placebo (Stevinson C, Devaraj VS, Fountain-Barber A, Hawkins S, Ernst E. J R Soc Med 2003; 96: 60--5)
- This study provides no evidence that adjunctive homeopathic remedies ... are superior to placebo (White A, Slade P, Hunt C, Hart A, Ernst E. Thorax 2003; 58: 317--21)
- ... this systematic review does not provide clear evidence that the phenomenon of homeopathic aggravations exists (Grabia S, Ernst E. Homeopathy 2003; 92: 92--8)
- ... the proven benefits of highly dilute homeopathic remedies ... do not outweigh the potential for harm (Ernst E.Trends Pharmacol Sci 2005; 26: 547--8)
- Our analysis ... found insufficient evidence to support clinical efficacy of homeopathic therapy (Milazzo S, Russell N, Ernst E. Eur J Cancer 2006; 42: 282--9)
- ... promotion can be regrettably misleading, or their effectiveness? (Ernst E. J Soc Integr Oncol 2006; 4: 113--5)
- ... homeopathy is not based on solid evidence and, over time, this evidence seems to get more negative (Ernst E, Pittler MH, Wider B, Boddy K. Perfusion 2006; 19: 380--2)
- The evidence from rigorous clinical trials ... testing homeopathy for childhood and adolescence ailments is not convincing enough for recommendations in any condition (Altunc U, Pittler MH, Ernst E. Mayo Clin Proc 2007; 82: 69--75)
- ... context effects of homeopathy ... are entirely sufficient to explain the benefit many patients experience (Ernst E. Curr Oncol 2007; 14: 128--30)
- Amongst all the placebos that exist, homeopathy has the potential to be an exceptionally powerful one (Ernst E. Br J Clin Pharmacol 2008; 65: 163--4)
- ... recommendations by professional homeopathic associations are not based on the evidence (Ernst E. Br J Gen Pract 2009; 59: 142--3)
Ich meine, diese Zitate sprechen für sich. Was aber war der Grund für diesen Wandel? Soweit ich das selbst rückschauend beurteilen kann, gab es drei Hauptgründe.
1. Die Datenlage wurde immer klarer
Als ich begann, die Homöopathie zu beforschen war zumindest die klinische Evidenz nicht eindeutig negativ. Im Jahr 1991 hatte Jos Kleinjen seine viel-beachtete Zusammenfassung publiziert. Hier ihre Schlussfolgerung (meine Übersetzung):
Im Moment ist die Evidenz der klinischen Studien positiv, aber nicht ausreichend, um definitive Schlussfolgerungen zu ziehen, weil die meisten Studien von geringer methodischer Qualität sind und wegen der unbekannten Rolle des Publikations-Bias.[3]
In der Folgezeit wurden dann weitere und bessere klinische Studien publiziert, und in der Gesamtschau wurde das Bild immer eindeutiger negativ. Die 24 oben aufgeführten Zitate reflektieren diese Entwicklung recht eindeutig. Heute besteht kaum Zweifel mehr daran, dass hoch-verdünnte Homöopathika reine Placebos sind. Am eindeutigsten kommt dies vielleicht zum Ausdruck in den inzwischen zahlreichen Stellungnahmen hochrangiger internationaler Gremien.[4] Auch Jos Kleinjen stimmte dem im Jahr 2002 zu.[5]
2. Die Uneinsichtigkeit der Homöopathen
Die Datenlage ist inzwischen also klar. Aber sie erklärt vielleicht nicht vollends, warum sich gleichzeitig mein Geduldsfaden deutlich verkürzte. Um dies besser zu verstehen, muss man die völlige Uneinsichtigkeit der heutigen Homöopathen in Betracht ziehen (denken wir z.B. an die unglaubliche Ebola Geschichte[6], die bezüglich der Hybris der Homöopathen keine Zweifel lässt).
Ich verstehe natürlich, dass ein Homöopath nicht gerade begeistert ist von der zunehmend negativen Evidenz. Aber auch Homöopathen sind Ärzte oder zumindest ungelernte Behandler von kranken Menschen (Heilpraktiker). Als solche haben sie eine Verpflichtung, die erdrückend negative Datenlage anzuerkennen und sich danach zu richten. Dass sie das ganz offensichtlich nicht tun, ist nicht nur bedauerlich, sondern auch hochgradig unethisch und beschämend. Mir fällt es jedenfalls schwer, sonderlich viel Geduld für eine derart hochgradige Verblendung aufzubringen.
3. Persönliche Attacken
In den vielen Jahren, in denen ich nunmehr Scharlatanerie unter die Lupe nehme, habe ich mich fast schon daran gewöhnt, attackiert zu werden. Die Angriffe und Beleidigungen, die mir speziell von Homöopathen zuteil wurden, sind Legion. Als wir unsere Arnika-Studie[7] publiziert hatten, wurde uns z.B. mit Briefbomben gedroht. Dabei sollte man jedoch eins bedenken: Ad hominem Attacken sind immer auch ein Zeichen eines Sieges von Sinn über Unsinn.[8] Wenn man von seinem Opponenten persönlich angegriffen wird, dann zeigt das nur, dass ihm die rationalen Argumente ausgegangen sind. Der o.g. Tweet liefert hierzu, wie ich finde, ein beredtes Zeugnis.
Das vielleicht beeindruckendste Beispiel einer irrationalen Attacke war nicht gegen mich persönlich, sondern pauschal gegen alle gerichtet, die es wagen, die Homöopathie anzuzweifeln. Christian Boiron[9] ist der Boss des weltweit größten Homöopathika-Herstellers, Boiron. In einem Interview wurde er einmal gefragt, was er von Homöopathie-Kritikern hält; seine Antwort: "Il y a un Ku Klux Klan contre l'homéopathie" (Es gibt einen Ku Klux Klan gegen die Homöopathie)[10].
Ja, viele dieser Angriffe haben mitunter sogar etwas Komisches an sich; dennoch sind sie nicht dazu angetan, meinen Geduldsfaden zu verlängern. Das bedeutet aber nicht, dass ich demnächst in alter KKK-Tradition meine Widersacher an dem nächsten Baum aufknüpfe. Derart geschmacklose Vorstellungen überlasse ich gerne Christian Boiron.
SchmU: Schein-medizinischer Unfug: Amazon.de: Ernst, Edzard, Waschkau, Alexa: Bücher ↩︎
Homeopathy for Ebola: an update directly from the ‘horse’s mouth’ (edzardernst.com) ↩︎
Homeopathic arnica for prevention of pain and bruising: randomized placebo-controlled trial in hand surgery - PubMed (nih.gov) ↩︎
Ad hominem attacks are signs of victories of reason over unreason (edzardernst.com) ↩︎
Christian Boiron, président des Laboratoires Boiron, participe à un... News Photo - Getty Images ↩︎
Finally a rational, considered defence of homeopathy !*** (edzardernst.com) ↩︎
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