Dieser offene Brief wurde soeben von dem Vorstand des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und an die teilnehmenden Kolleg*innen des 127. Kongress der DGIM geschickt. Hier erlaube ich mir, ihn zu kommentieren. Der folgende Text ist der Brief im Original, und die in Klammern gesetzten Zahlen beziehen sich auf meine u.g. Kommentare.


Sehr geehrte Kollegen im Vorstand der DGIM,

mit großer Verwunderung haben wir gelesen, dass zum 127. Internisten Kongress ein HNO-Kollege zur Homöopathie sprechen wird. Dr. Lübbers ist landauf, landab bekannt als medial aktiver Kämpfer gegen Homöopathie [1]. Sein „Erweckungserlebnis“ hatte er nach eigener Darstellung, als er einem Kind mit Otitis Globuli aus dem Ohr fischen musste [2], seither engagiert er sich – nein: nicht um bessere Aufklärung [3], im genannten Fall der Eltern oder anderer Anwender*innen – gegen die Methode Homöopathie [4] (die aber sicher nicht „schuld“ war an der unsachgemäßen Anwendung!)

Es ist Ihnen sicher nicht entgangen, dass in allen Medien immer wieder nur eine knappe Handvoll selbsternannter „Experten“ – alle aus dem Dunstkreis der Skeptikerbewegung! – zu Wort kommen, wenn es um Homöopathie geht [5]. Eine einzige (!) Kämpferin gegen die Globuli ist selbst Ärztin, hat eine Homöopathie-Ausbildung absolviert und eine zeitlang eine entsprechende Praxis geführt [6]. Alle anderen kommen z.T. auch aus nicht-medizinschen und fachfremden Berufsgruppen [7]. Dem gegenüber stehen bundesweite mehrere tausend ärztliche Kolleginnen und Kollegen, die auf dem Boden der evidenzbasierten Medizin stehen [8], konventionelle Medizin gelernt haben, in ihren Praxen umsetzen und zusätzliche eine anerkannte Weiterbildung in Homöopathie absolviert haben.

Im Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte e.V. – dem ältesten ärztlichen Berufsverband in Deutschland – sind neben zahlreichen anderen Fachärzt*innen derzeit 146 qualifizierte Internist*innen als Mitglieder eingeschrieben, sämtliche mit aktiver ärztlicher Berufstätigkeit [9].

Frage: Warum lädt die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin ausgerechnet einen HNO-Arzt ein, der ohne eigene Sach- und Fachkenntnis über Homöopathie referiert? [10] Warum nicht wenigstens einen internistischen Fachkollegen? Oder gar eine Kollegin, die über das Thema aus eigener, wissenschaftlicher oder praktischer Erfahrung berichten könnte? [11] Würden Sie z.B. über das Thema  „Hyperaldosteronismus“  auch primär einen Urologen oder Kieferorthopäden einladen? Und wenn ja, warum?

Sehr geehrter Vorstand der DGIM: Ich bin mir als ehrenamtlicher Vorstand des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte e.V. (DZVhÄ) – und Facharzt für Innere Medizin – ziemlich sicher, dass wir Ihnen sofort mehrere Kolleg*innen nennen könnten, die mit ausreichender Expertise als homöopathisch weitergebildete und praxiserfahrene Internist*innen zur Verfügung stehen können [12], wenn es dem Verband tatsächlich um einen soliden und korrekten Diskurs um das Thema Homöopathie geht [13]. Unter den oben genannten Umständen besteht freilich eher der Verdacht, dass es nicht um, sondern ausschließlich gegen die Homöopathie gehen soll [14].

Sofern für einen späteren Kongress, also z.B. 2022 vorgesehen ist, sich dem Thema Homöopathie in tatsächlich fachlich fundierter und womöglich sogar ausgewogenerer Form nochmals zu widmen [15]: bitte wenden Sie sich jederzeit an uns! An einem fairen und vorurteilsfreien, fachlichen Diskurs sind wir als ärztliche Kolleg*innen sehr interessiert [16].

Mit freundlichen Grüßen

Dr. med. Ulf Riker, Internist – Homöopathie – Naturheilverfahren

2. Vorsitzender DZVhÄ / 1. Vorsitzender des LV Bayern


Und hier meine Kommentare:

  1. Ich kenne Herrn Dr. Lübbers eher als ‚medial aktiven Kämpfer‘ für evidenzbasierte Medizin, der sich z.B. auch für das Impfen ausspricht. Dass bei diesem ,Kampf‘ die Homöopathie nicht gut weg kommt, liegt nicht an ihm.
  2. Das ist nichts weiter als eine lustige Anekdote, die Dr. Lübbers gerne einleitend anbringt, um das Publikum zu aufzulockern. Sie hat mit der Sache wenig zu tun.
  3. Siehe Punkt 1.
  4. Was primär gegen die Methode Homöopathie spricht, ist die Evidenz.
  5. Ich kenne weit mehr als eine ‚knappe Handvoll‘ Ärzte, die die Datenlage zur Homöopathie als negative erkannt haben, die dies auch medial klar zum Ausdruck bringen, die nicht zum ‚Dunstkreis der Skeptiker‘ gehören, und sehr wohl als Experten zu bezeichnen sind.
  6. Hier ist zweifelsohne Dr. Natalie Grams gemeint. Sie ist tatsächlich eine der wenigen Homöopathen, die sich jemals gegen die Homöopathie ausgesprochen haben. Ihr enormer Seltenheitswert liegt daran, dass in der Homöopathie das kritische Denken strengstens verboten ist. Zuwiderhandlung wird mit Exkommunikation geahndet!
  7. Diese Aussage ist belegbar unrichtig.
  8. Wenn jemand Homöopathie praktiziert, dann hat er nachweislich den Bereich der evidenzbasierten Medizin verlassen.
  9. Diese Aussage mag stimmen, ist aber irrelevant.
  10. Herr Dr. Lübbers hat nachweislich sowohl Sach- als auch Fachkenntnisse zur Homöopathie.
  11. Ärzte mit ‚wissenschaftlicher Erfahrung‘ zur Homöopathie gibt es in Deutschland kaum. Das liegt daran, dass die Homöopathie für viele eine Religion ist, die nicht beforscht, sondern verinnerlicht wird. Der Unterzeichner, des Briefes z.B. hat nicht eine einzige Veröffentlichung zur Homöopathie in Medline (der größten Datenbank medizinischer Publikationen). Und der derzeitige ‚Star‘ unter den deutschen Vortragenden zur ‚Wissenschaft‘ in der Homöopathie ist Jens Behnke; auch er hat keine Studien zur Homöopathie publiziert und ist zudem auch kein Mediziner.
  12. Solche Kolleginnen gibt es wohl, allein es fehlt ihnen eine echte Expertise, d.h. ein unvoreingenommenes Urteilsvermögen zur Homöopathie. Sie sind nicht als Experten, sondern eher als Gläubige zu bezeichnen und können daher kaum jemals objektiven Vortrag abliefern.
  13. Ein ‚solider Diskurs‘ bedarf einer kritischen Bewertung. So etwas ist in den letzten 200 Jahren aus der deutschen Homöopathie noch nicht hervorgegangen. Die einzige Ausnahme hierzu ist Dr. Grams, die damit sofort auf die ,schwarze Liste‘ der Homöopathen gesetzt wurde und – soweit ich weiß – danach kein einziges mal von Homöopathen zu einer Diskussion eingeladen wurde.
  14. Ein wissenschaftlich solider und faktisch korrekter Diskurs kann niemals zugunsten der Homöopathie ausgehen.
  15. Fachlich fundierte und ausgewogene Urteile zur Homöopathie gibt es inzwischen jede Menge ; keines davon fällt jedoch positiv aus.
  16. Ein vorurteilsfreier Diskurs? Oder vielleicht nur ein Diskurs, den Homöopathen als vorurteilsfrei bezeichnen?

Was beim kritischen Lesen dieses Briefes recht klar wird ist folgendes: Den deutschen Homöopathen geht es in erster Linie um eine Vermeidung der längst überfälligen Kritik an ihrer Behandlungsform. Und hierfür scheinen ihnen alle Mittel recht zu sein, offenbar sogar die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung.

Und nun zur Frage, die der Vorstand des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte als Titel seiner Verlautbarung gewählt hat:

Warum spricht ein Homöopathie skeptischer HNO-Arzt auf dem Internisten-Kongress?

Wahrscheinlich weil er eingeladen wurde! Und warum wurde er und nicht ein profilierter Homöopath eingeladen? Ich vermute, weil die Internisten sich die Propaganda der Homöopathen schon rund 200 Jahre lang angehören mussten und nun die Nase gestrichen voll davon haben.

Titelbild: Nora Cordova Photography - Nora Cordova Photography.

Dir gefällt, was Edzard Ernst schreibt?

Dann unterstütze Edzard Ernst jetzt direkt: