Wenn ich behaupte, in meinem Garten sitze ein Einhorn, so benötige ich bekanntlich bessere Belege für diese These, als jemand, der behauptet, in seinem Garten sei eine Katze. Das liegt daran, dass die zweite Behauptung a priori plausibler ist, als die erste.

Die meisten Annahmen, die der sogenannten Alternativmedizin zugrunde liegen, sind nicht plausibel, d.h. sie widersprechen dem gesicherten Wissen über Naturgesetze, Physiologie, Pathologie, etc. Die Homöopathie ist hier ein gutes Beispiel (ich hätte jedoch auch die Akupunktur, Chiropraktik, Geistheilung, Osteopathie, etc. heranziehen können): das typische Homöopathikum enthält kein einziges Molekül der Substanz, die auf dem Etikett ausgedruckt ist (z.B. Arnika oder Nux vomica). Somit ist die Annahme, dass ein solches Mittel wirksam sei, nicht im Einklang mit den Naturgesetzen.

Dem wird von Homöopathie Anhängern entgegen gehalten, dass es aber einige Studien gäbe, die die Wirksamkeit der Homöopathie bestätigen. Und damit haben sie sogar Recht. Man könnte nun natürlich hingehen und auf diverse Schwächen dieser Untersuchungen hinweisen. Zum Schluss blieben dann aber dennoch einige Studien, die scheinbar ordentlich gemacht sind und mit der üblichen Irrtumswahrscheinlichkeit ‚beweisen', dass die Homöopathie über den Placebo Effekt hinaus wirksam ist.

Wie kann das sein?

Bei jeder Studie zur Homöopathie ist die Vortestwahrscheinlichkeit gering. Bezogen auf klinische Studien zur Überprüfung der Wirksamkeit einer Therapie ist die Vortestwahrscheinlichkeit die Wahrscheinlichkeit, dass die zu testende Behandlung effektiv ist. Die Crux ist nun, dass die üblicherweise verwendeten statistischen Methoden diesen Faktor nicht berücksichtigen. Sie liefern daher jede Menge falsch positive Ergebnisse und sind zur Überprüfung der Homöopathie (und anderer unplausibler Verfahren) prinzipiell wenig geeignet.

Eine Placebo-kontrollierte Homöopathie-Studie legt die Irrtumswahrscheinlichkeit eines Unterschieds zwischen dem getesteten Homöopathikum und dem Placebo üblicher weise auf dem 5% Niveau fest (p<0.05). Nehmen wir einmal an, unsere Studie erfüllt diese Bedingung. Intuitiv folgern wir dann fast automatisch daraus, dass unsere Studie mit 95%iger Wahrscheinlichkeit das Homöopathikum als wirksam (besser als das Placebo) ausweist. Intuition ist jedoch in der Statistik oft kein guter Leitfaden, und unsere Annahme ist schlichtweg falsch.

Warum? Weil wir die Vortestwahrscheinlichkeit nicht berücksichtigt haben.

Statt sich sklavisch an p-Werte zu halten ist es vielleicht besser, die zu Verfügung stehende Datenlage in der Gesamtschau zu berücksichtigen und alles in einem ‚Bayes'schen Ansatz' zu kombinieren. Er besteht im Wesentlichen aus drei Schritten:

  1. Die Vortestwahrscheinlichkeit wird mit ins Kalkül gezogen.

  2. Die neu erstellten Studienergebnisse werden eingerechnet.

  3. Sodann wird die neue Wahrscheinlichkeit berechnet.

Mit anderen Worten, wir können die Ergebnisse unserer Studie nicht im luftleeren Raum betrachten, sondern müssen sie in den breiteren Kontext der Vortestwahrscheinlichkeit stellen.[1]

Und welche Einflussgrößen bestimmen die Vortestwahrscheinlichkeit? Leider handelt es sich hier meist nicht um eine exakte Wissenschaft; es fließen oft mehrere Überlegungen ein. Im Fall der Homöopathie beeinflussen folgende Tatsachen die Vortestwahrscheinlichkeit negativ:

  • Die Grundannahmen der Homöopathie sind nicht im Einklang mit den bekannten Naturgesetzen.

  • Ein nachweislicher Wirkungsmechanismus der Homöopathie existiert nicht.

  • Viele bereits publizierte Studien zur Homöopathie belegen nicht ihre Wirksamkeit

Daneben gibt es aber auch Faktoren, die gemäß der Anhänger der Homöopathie für eine Vortestwahrscheinlichkeit sprechen:

  • Die Homöopathie hat schon 200 Jahre überlebt.

  • Viele Menschen schwören auf die Homöopathie.

  • Es sind auch einige positive Studien publiziert worden.

  • Es wurden mehrere Hypothesen zum Wirkungsmechanismus postuliert.

Um hier zu einer realistischen Vortestwahrscheinlichkeit zu gelangen, müssen die Einflussgrößen gegeneinander abgewogen werden. Und das ist oft nicht einfach. Im Falle der Homöopathie ist die Lage jedoch vor allem aus zwei Gründen recht eindeutig: Erstens zeigt die große Mehrzahl der belastbaren Studien keine Wirksamkeit. Und zweitens ist die Annahme, dass ein Medikament ohne aktive Inhaltsstoffe wirken könnte, nicht nur nicht plausibel, sie ist unsinnig -- ebenso unsinnig wie die Behauptung, dass in meinem Garten ein Einhorn sitzt.


  1. Pandolfi, M., & Carreras, G. (2014). The faulty statistics of complementary alternative medicine (CAM). European journal of internal medicine, 25(7), 607–609. ↩︎

Dir gefällt, was Edzard Ernst schreibt?

Dann unterstütze Edzard Ernst jetzt direkt: