Die Vorstellung tot zu sein hat etwas Beruhigendes. Vorausgesetzt es ist so, wie ich es mir vorstelle. Nur die Ungewissheit ist es, die mich noch am Leben festhalten lässt. Ich erwarte das Schlechte zurücklassend und blicke in eine sorgenfreie positive Zukunft. Der Schritt in eine Welt, in der Milch und Honig fließt, ist ein netter Gedanke, doch ob er zutreffend ist, das kann mir niemand versprechen. Dies lässt mich noch zögern. Ich buche ja schließlich auch keine Reise, ohne die Bedingungen und den Preis zu kennen. Denn dieser Begriff „Himmel“ ist mir doch etwas zu abstrakt. Da stellen sich einem natürlich wichtige Fragen. Gibt es dort auch Lieferdienste? WLAN Empfang? Wovon lebt man da? Muss ich Steuern zahlen oder wer finanziert das alles? Fragen über Fragen.
Seitenweise habe ich sie mir auf notiert. Alle hier zu stellen, würde jedoch den Rahmen sprengen. Auch gibt es kaum Sekundärliteratur dazu.
Augenzeugenberichte oder farbenfrohe Broschüren sucht man vergebens. Auch von Rückkehrern, die in Talkshows von ihren Erlebnissen berichten, sind rar gesät. Letzteres stimmt mich jedoch hoffnungsfroh. Denn es scheinen dort bessere Bedingungen zu herrschen als hier, sonst wären doch mehr Menschen zurückgekehrt in ihre alte Heimat. Doch wer möchte sich schon nachhaltig verschlechtern. Gewiefte Werbestrategen sprechen zwar von einem Paradies, aber hat nicht jeder eine andere Vorstellung davon, was das ist. Für den einen ist eine Currywurstbude in Bottrop schon das Paradies und für den anderen eine Südseeinsel im Mittelmeer. Jeder hat eben so seine eigene Vorstellung, Wünsche und Bedingungen. Ich zum Beispiel möchte dort nur Leute treffen, die ich mag. Die anderen sollen von mir aus in der Hölle schmoren. Vorsichtshalber habe ich bereits eine entsprechende Liste vorbereitet. Eine pro Liste auf einem Bierdeckel und eine für Kontra auf einer beidseitige beschriebenen Rolle Raufasertapete. Erst jetzt, wo ich mich intensiv auf das mir versprochene Paradies vorbereite, bemerke ich zu meiner Überraschung, wie viele Leute ich nicht mag. Daher habe ich mich entschlossen, noch zu meinen Lebzeiten, werde ich es ihnen kundtun, damit sie wissen, woran sie bei mir sind. Später, wenn sie erst Kohlen schippen um das Feuer in Gang zu halten, ist es dann ja nicht mehr möglich. Besuche meinerseits bei ihnen im Untergeschoss, sind von meiner Seite nicht vorgesehen. Mir ist ja heute schon die Sauna zu heiß. Und auf die ganzen Tyrannen, Diktatoren und sonstiges Gewürm, die man da unweigerlich wohl treffen wird, kann ich gut und gern verzichten. Gemeinsam mit Adolph, Josef und Benito zu schwitzen, da lasse ich mir doch lieber freiwillig und ohne Betäubung, sämtliche Weisheitszähne ziehen. Denn wenn die Propaganda stimmt und dort nur Milch und Honig fließen, kann ich die ja gut verschmerzen. Ein Ring Fleischwurst und ein Hefeweizen wären mir zwar lieber, aber man muss sich ja den Gebräuchen anpassen, sonst gilt man gleich als Querulant. Allerdings werde ich da oben zu bedenken geben und kann es auch mit einem Attest belegen, dass ich Diabetiker mit einer festgestellten Laktoseintoleranz bin.
Der liebe Gott wird ja sicher auf solche medizinischen Notfälle vorbereitet sein und meinen kleinen Wünschen entsprechen. Ich verlange ja so wenig und gebe so viel. Alleine dieser wohlwollende Text ist, bei Lichte betrachtet, doch pure Werbung für da oben. Unentgeltlich sogar. Damit bin ich und höchstens noch die Bäckerinnung, die besten Werbepartner für das in die Jahre gekommene Unternehmen. Was deren Außendienstvertreter angeht, da liegt ja doch vieles im Argen. Das mit dem „Lasset die Kindlein zu mir kommen ...“, wurde vielfach etwas zu wörtlich genommen. Alleinstehende Herren sollte man eben stets skeptisch entgegentreten. Diese schwarzen Schafe sollten grundsätzlich vom Weihrauchschwenken ausgeschlossen werden.
Wenn ich da oben etwas zu sagen hätte, dann würde ich Tabula rasa machen und meinen Kollegen Zeus bitten, denen seine Blitze entgegenzuschleudern.
Vielleicht braucht es da oben einfach nur frischen Wind. Man muss dem Nachwuchs auch mal die Chance geben. Obwohl, der ist ja inzwischen auch schon deutlich in den Zweitausendern. Von Sturm- und Drangzeit lässt sich da nur schwerlich sprechen. Aber ich fürchte, er wird noch weiter warten müssen, ehe er das ruder übernehmen kann. Der Alte scheint ja noch ganz fit zu sein und denkt nicht an die Rente. Kann ich ja auch verstehen. Warum sollte er auch, er lebt ja schon im Paradies. Zum Glück ist Maria ja keine typische Eislaufmutter, die ihren Einzig geborenen, wenn man Wikipedia vertraut, antreibt, Karriere im Betrieb des Vaters zu machen.
Trotz kleinerer Makel, die ich in Kauf nehme, plane ich nun generalstabsmäßig meine Übersiedlung. Anfangs wollte ich ja nur ein verlängertes Wochenende, doch nach Recherchen musste ich feststellen, es ist ein endgültiger Schritt und eine Rückreise nicht vorgesehen. Das steht offenbar so im Kleingedruckten. Einen Fehler darf man bei der Auswanderung jedenfalls nicht machen.
Inzwischen ist es ja Mode geworden, sich verbrennen und somit urnentauglich zu machen. Das ist natürlich eine fatale Entwicklung. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob die Wissenschaft dort schon so weit ist, aus der Asche wieder einen vollständigen Menschen zu machen. Das Risiko ist mir zu groß und ich gedenke im Ganzen mich oben vorzustellen und Asyl beantragen. Ich gehe davon aus, es ist wie mit Motorrädern im Winter. Die werden ja auch dann stillgelegt und im Frühjahr wieder in Betrieb genommen. Würde man die in eine Schrottpresse legen, weil sie dann weniger Platz in der Garage einnehmen, glaube ich kaum, das die im Frühling wieder fahrbereit gemacht werden können.
Die Restpartikel, die dann in den Urnen liegen und darauf warten, ihre Augen aufzumachen und sich im Paradies befinden, werden nicht schlecht staunen, wenn dies dann nicht der Fall ist. Und das nur, weil sie beim Bestatter Geld sparen wollten. Geiz führt eben nicht ins Himmelreich. Deswegen, so vermute ich stark, wird es dort auch keine Saturn Filialen geben. Nur über meine Todesart bin ich mir noch unschlüssig. In jedem Fall lege ich großen Wert auf körperliche Unversehrtheit. Erhängen fällt damit weg. Da bricht ja das Genick und ich laufe da oben rum und dauernd kippt der Kopf vornüber. Auch vom Kopf auf die Schienen zu legen, möchte ich abraten. Dann müssen sie nämlich für den Rest ihres Lebens ihren Kopf unter dem Arm tragen. Das ist auf die Dauer sicher lästig und störend beim Einkaufen. Ich plädiere daher für einen simplen, aber effektiven Herzschlag. Der ist äußerlich nicht sichtbar und muss nur wieder in Gang gesetzt werden. Das werden die Mechaniker im Paradies ja wohl hinbekommen. Ein, zwei Stromstöße und ich laufe wieder im Dauerbetrieb. Ich rechne ja mit einer längeren Restlaufzeit dort.
In den Broschüren versprechen sie einem ja das ewige Leben. Deshalb werde ich eine Bibel mitnehmen, wo ich mir bereits einige Stellen angestrichen habe, falls es zu Rechtsstreitigkeiten kommen sollte. Ich gehe stark davon aus, dass ich mich selbst vertreten muss. Dass es dort Anwälte gibt, halte ich für nahezu ausgeschlossen. Besonders Strafverteidiger werden es schwer haben durch die Grenzkontrollen zu kommen.
Die Sache mit dem Herzschlag macht mir noch etwas Kopfzerbrechen. Denn ich bin mir noch nicht ganz klar, wie ich den herbeiführen kann. Jetzt habe ich in einem medizinischen Fachblatt gelesen, man kann sich zu Tode erschrecken. Also habe ich es versucht, nur so zur Probe, ob es ausreicht mich nackt im Spiegel zu betrachten. Leider bin ich per se nicht sonderlich schreckhaft und vermutlich auch von dem Anblick zu wenig schockiert. Jedenfalls war die Wirkung gleich null. Auch der Besuch einer Geisterbahn eines Freizeitparks amüsierte mehr, als das mir der Schreck in die Glieder gefahren wäre. Ich kaufte sämtliche Bücher von Stephen King und Edgar Allen Poe auf, sowie sämtliche Videos der Edgar Wallace Filme. Herausgeschmissenes Geld! Wie Sie feststellen können, kein Herzschlag, ich bin noch da. Langsam gehen mir die Ideen aus. Neulich wäre es mir beinahe gelungen. Ich lief über eine rote Ampel, direkt vor einen Schulbus. Nur wenige Zentimeter vor mir kam er zum Stoppen.
Ich bekam zwar einen gehörigen Schreck, jedoch nicht ausreichend. Der Busfahrer hingegen hatte mehr Glück. Er starb noch hinter dem Lenkrad. Es trifft eben immer die Falschen. Mittlerweile gibt es nur noch eine Hoffnung, auf die ich meine ganze Energie verwende. Ich habe, obwohl wir erst Anfang Juli haben, die Heizung voll aufgedreht und lasse Tag und Nacht alle Lampen brennen. Alles bei offenem Fenster. Denn die einzige Chance auf einen Herzschlag auslösenden Schreck, ist das Vertrauen auf die nächste Nebenkostenabrechnung. Darauf setze ich und bin mir sicher, sie wird mich nicht enttäuschen. Sollten Sie also demnächst nichts mehr von mir hören, dann wissen Sie, ich bin in einer besseren Welt angekommen.
Sicherlich werden Sie mich schmerzlichst vermissen, aber einen Silberstreif am Horizont, wird es auch für Sie geben.
Auch ihre nächste Nebenkostenabrechnung wird kommen.
Eine der wenigen Annehmlichkeiten des Lebens, auf die man sich wirklich verlassen kann.
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