Ich hab immer schon gern „Kultur“ verschenkt: Bücher, Musik in Form von CDs oder LPs, Filme auf DVD. Ich finde, dass solche Präsente auch eine feine Sache sind, denn zum einen zeigen sie im Idealfall, dass sich der Schenkende wirklich Gedanken gemacht hat, was denn dem Beschenkten gefallen könnte. Und dann kann so ein Geschenk auch sehr inspirierend sein, wenn man auf diese Weise etwas kennenlernt, was einem sonst verborgen geblieben wäre. Zudem sind die entsprechenden Artikel in einem Preissegment von meistens 10 bis 20 Euro, was auch eine gute Größe für ein Mitbringsel für Freunde zum Geburtstag oder zu ähnlichen Anlässen ist. Allerdings wird es zu meinem Leidwesen immer schwieriger, solche Kulturgüter zu verschenken, da sie von einer zunehmenden Anzahl von Menschen gar nicht mehr genutzt werden.

Netflix, Spotify, Kindle – wer diese Dienste nutzt, braucht keine Medien mehr. Und hat dann auch oftmals überhaupt keine Abspielgeräte dafür (o. k., das kommt bei Büchern nun eher nicht infrage). Das Argument: So was spart Platz, man hat dann nicht mehr Regale voller Bücher, DVDs und CDs zu Hause rumstehen. Das ist natürlich einerseits schon nachvollziehbar, andererseits finde ich persönlich solche Medienmöbel nicht nur recht gemütlich, sondern auch sehr interessant, da sie ja immer einiges über den Besitzer und seine Vorlieben verraten. Ich verweile in Wohnungen von Freunden zumindest lieber vor einer Bücherwand oder einem CD-Regal als vor einer Topfpflanze oder irgendwelchen Deko-Objekten (irgendwas muss den gewonnenen Platz ja ausfüllen).

Aber das ist natürlich Geschmacksache, und zurzeit ist ja ein spartanisch-reduzierter Einrichtungsstil durchaus angesagt …

Man hat allerdings als Netflix-, Spotify- und Kindle-User nicht nur mehr Platz in der Bude, sondern eben auch weniger „Angriffsfläche“ für Geschenke, da ja das Dingliche außen vor bleibt. Gut, man kann nun einen Gutschein besorgen, aber das ist bei Abo-Diensten zum einen auch nicht wirklich möglich, zum anderen fällt dann ja gerade das Inspirierende des Geschenks weg. Mit einem Gutschein kauft sich der Beschenkte in der Regel ja etwas, was er sowieso schon haben wollte oder kennt, und selten etwas ihm komplett Unbekanntes.

Dies treibt dann den Individualismus (s. dazu diesen Artikel) weiter voran, und zwar im Sinne eines Um-sich-selbst-Kreisens und eines Schmorens im eigenen Saft: Es findet kaum noch „Befruchtung“ von außen statt, da diese gar keine Chance mehr hat, zu einem durchzudringen. Klar, es gibt Vorschläge für neue Musik, Filme oder Bücher, die von Algorithmen erstellt werden, aber diese basieren eben auch auf den eigenen Hör-, Seh- und Lesegewohnheiten. Oder, was noch schlimmer ist: auf kommerziellen Interessen. Ich halte es zumindest nicht für ausgeschlossen, dass Unternehmen aus der Musik-, Film- oder Buchbranche Geld dafür zahlen würden, damit die von ihnen verlegten Titel Usern häufiger empfohlen werden als andere.

Und wie sehr selbst passionierte Musikhörer mittlerweile in diesen Abläufen und Mechanismen drin sind, wurde mir vor ein paar Monaten vor Augen geführt, als ein Freund, den ich als großen Musikliebhaber kenne, zu mir sagte: „Spotify sagt mir schon, was ich hören möchte!“*

Was hier nun noch bleibt im kulturellen Bereich als Option für ein Geschenk, sind eigentlich nur Konzertkarten, und die haben zwei Nachteile, wenn man sie verschenkt: Sie sind oft recht teuer, und dann weiß man ja auch nicht, ob der Beschenkte am Datum des Events tatsächlich Zeit hat. Da hab ich selbst schon den einen oder anderen Reinfall erlebt …

Also gibt es dann eben öfter eine Falsche Wein oder andere Genussmittel als Geschenk. Auch lecker, aber eben auch viel weniger persönlich und im Grunde meistens recht beliebig. Und auch nichts, worüber man sich dann mehr als mit „Ja, war lecker“ austauscht.

Eine weitere Komponente, die nicht nur auf die Einzelpersonen und deren Beziehung zueinander abstellt, kommt zudem noch hinzu: Dienste wie Spotify, Netflix oder Amazons Kindle haben ja die Tendenz, eine Monopolstellung anzustreben – wenn sie diese nicht schon teilweise erreicht haben. In jedem Fall geht die Vielfalt der Anbieter (Plattenlabel, Filmvertriebe oder Buchverlage jeder Größe und Couleur) verloren, wenn irgendwann alle nur noch Streaming- und E-Book-Dienste nutzen, da es dann ein paar wenige marktbeherrschende Unternehmen sein werden, die das kulturelle Angebot bestimmen.

Und eine solche Kulturhoheit dürfte zu einer ziemlichen Verflachung der kulturellen Bandbreite führen, denn es wird dann nur noch präsentiert, was auch genügend kommerziellen Erfolg zu haben verspricht. Nischenprodukte, die heute von kleinen Verlagen und Vertrieben angeboten werden, gäbe es dann eben einfach nicht mehr. Und damit einen großen Teil dessen, was Kultur überhaupt erst interessant macht und weiterentwickelt.

Was noch hinzukommt: Wenn erst mal die Konkurrenz der physikalischen Medien weggefallen sein sollte, dann dürfte es auch nicht lange dauern, bis die Preise fürs Streaming deutlich nach oben gehen. Das machen kapitalistische Unternehmen nun mal so, wenn die Konkurrenz weggefallen ist.

Ach ja: Und DVDs, Bücher oder CDs einfach so mal zu verleihen geht dann auch nicht mehr, wenn es diese nicht mehr gibt. Auch hier wird der Austausch von Kulturliebhabern untereinander unterbunden – genauso wie bei den Geschenken.

Wenn ich mir dies so alles mal zusammengenommen vor Augen führe, ergibt sich ein sehr tristes Bild: Jeder beschäftigt sich nur mit den virtuellen Medien, die ihm noch angeboten werden (und die er sich noch leisten kann). Kulturelle Vielfalt bleibt dabei genauso auf der Strecke wie kultureller Austausch. Und vieles an Kultur wird überhaupt nicht mehr geschaffen, da es dafür dann keinen Vertrieb mehr gibt.

Nicht gerade rosige Aussichten, oder? Und ich wette mal, dass die allermeisten Netflix-, Spotify- und Kindle-User sich darüber überhaupt noch keine Gedanken gemacht haben …

* Einen sehr lesenswerten Essay von Max Scharnigg habe ich zu dem Thema Liebe zur Musik im Zeitalter der Digitalisierung vor einigen Jahren in der Süddeutschen Zeitung entdeckt. Und das ist immer noch aktuell – und ich bin mehr als froh, dass es mir nicht so gegangen ist bisher wie dem Autoren. Wenngleich ich diese Entwicklung schon öfter im Freundeskreis beobachten konnte.

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