Es dämmerte noch am nächsten Morgen, als er sich mit gepacktem Rucksack in den Gastraum begab, eine Tasse schwarzen Kaffee trank und ein dunkles Brot mit Käse aß. Stille herrschte an diesem frühen Sonntagmorgen. Noch kein Kistengeklapper im Hof und auf der Straße war zu hören und keine Autos. Die meisten lagen noch in ihren Betten.

In den Träumen der vergangenen Nacht waren weder zerspringende Lippen, noch Blut vorgekommen, doch er ahnte, dass die Albträume wiederkommen würden, sich nur vorübergehend wie ein lichtscheues Tier im Unterholz versteckten.

Die Wirtin, deren Haar noch  wirr um den Kopf lag, schüttelte ihm zum Abschied herzlich die Hand. Ihre wasserblauen Augen waren vom Schlaf verquollen. Der Wirt griff ebenfalls nach seiner Hand,  zog ihn dann an sich und klopfte ihm auf die Schulter.  "Auf Wiedersehen."

"Auf Wiedersehen", erwiderte Gregor und im selben Moment wusste er, dass er diese Menschen nie wieder sehen würde.

Der Junge begleitete ihn bis zum Dorfrand und zeigte ihm den Weg. Wobei von Weg keine Rede sein konnte:  Zwischen zwei Häusern führte ein kaum erkennbarer Pfad, der fast gänzlich von Brennesseln und Brombeerranken zugewuchert war. Sie gaben sich die Hände und der Junge verschwand um die nächste Ecke.

Gregor wandte sich wieder um. Das schmales Pfädchen war kaum mehr als zwei Fuß breit und führte entlang der alten Häuser und ihren anschließenden Gärten, die nun, am Ende des Herbstes, brachlagen. Die Blumenrabatten waren sorfältig mit Tannenästen abgedeckt, die einstigen und zukünftigen Gemüsebeete waren umgegraben. Im Vorübergehen betrachtete Gregor die schwarzen, fruchtbaren Furchen. Sie  sahen wie  Miniaturen eines Ackers aus.

Es folgte ein kleiner Streifen Wiese, dann führte der Pfad in den Wald hinein und stieg steil an. Seine Muskeln waren schwach nach den Tagen des Fiebers. Ein paar mal musste er innehalten, um Luft zu schöpfen. Schnell war keine Spur von Zivilisation mehr zu sehen und zu hören. Nach einer Weile hatte er sein Tempo gefunden und schritt zügig voran. Bald erreichte er die Reste des ersten Schnees, die in schmutzig-weißgrauen Flecken die Umgebung bedeckten.  Oben auf dem Grat lief er zwischen kleinwüchsigen Tannen und Felsen eine weitere Stunde. Nebel wallte von der anderen Talseite herauf. Wasserrauschen  begleitete ihn, doch zu sehen war nichts.

Den Alten hatte er nicht noch einmal zu Gesicht bekommen. Der Gedanke, ihn aufzusuchen war ihm wohl in den Sinn gekommen, aber als er den Wirt nach seiner Adresse fragte, hatte dieser nur mit dem Kopf geschüttelt.

Gregor griff prüfend nach dem Umschlag in der Innentasche seiner Jacke und fühlte die groben Umrisse der Schlüssel.  Der Pfad führte zur anderen Talseite hinab. Der Nebel wurde dichter. Einzelne Tannen säumten den schmalen Weg und tauchten plötzlich wie Gestalten aus den Nebelbänken auf. Seine Beine schmerzten vom mühsamen Abstieg, bei dem er mehrere Male auf dem matschigen Boden oder auf losem Geröll ausrutschte.

Ein Nebelschleier wurde zur Seite gerissen und zum Vorschein kam das Haus, etwas größer als eine Hütte und aus grauen Steinen zusammengefügt. Die Tür sah genauso aus, wie er sich die Tür, die zu diesen Schlüsseln passte, vorgestellt hatte: Groß, hölzern, schwer und mit groben Schnitzerein versehen. Über dem Türsturz hing ein großes Geweih.