Gregor richtete sich ein. Der Herbst ging über in den Winter. Zweimal stieg er in dieser einsamen Zeit hinab ins Tal. Nicht in das, aus dem er kam, sondern in das, was in seiner Richtung lag. Es widerstrebte ihm, denselben Weg zurückzugehen und er wusste, dass das schon immer so gewesen war.

Im kleinen Dorf besuchte er wortlos den kleinen und einzigen Supermarkt, der eher Markt, als "Super" war, doch der ausreichte, um seine Vorräte an haltbaren Lebensmitteln aufzufüllen. Über das wenige frische Obst freute er sich wie ein Kind. Beim Bezahlen lächelte er freundlich, übersah jedoch die Fragen im Gesicht der Kassiererin, genauso wie die der Bäckersfrau im Laden nebenan.

Oben angekommen war ihm das frische Brot und das Obst ein Festmahl. In den dunklen und einsamen Stunden begann er mit sich selbst zu sprechen.  Immer wieder fragte er sein Spiegelbild, ob er Gregor war und wer denn Gregor überhaupt war. Zunehmend entglitt ihm das Gefühl und der Glaube daran, wirklich Gregor zu sein. Die Einsamkeit und die damit verbundene Absenz von möglicher Ablenkung, ließ ihn darauf stoßen, was ihn eigentlich ausmachte. Doch da war nichts. Vielleicht einer, der Gregor hieß, vielleicht auch nicht. Seine Erinnerung setzten am Morgen seiner Flucht ein. Und daran mochte er nicht denken. In seinen Träumen tauchten seltener die zerspringenden Lippen auf, doch selbst, wenn er sich nicht an seine Träume erinnern konnte, empfand er doch das Gefühl der Fassungslosigkeit und Verwirrung, das er an jenem Morgen gefühlt hatte.

Der Jäger  Mikal war der Einzige, mit dem ab und an sprach. DieUnterhaltungen bestanden aus ein paar Sätzen, die innerhalb einer halben Stunde gewechselt wurden. Einmal brachte er ihm ein Kaninchen, das Gregor ratlos entgegennahm. Der große, alte Kerl mit dem zerfurchten Gesicht grunzte und  nickte wissend, als er Gregors Gesichtsausdruck bemerkte, nahm das tote Kaninchen, das er auf den Tisch gelegt hatte, wieder und ging hinter das Haus.

Eine Viertelstunde später war das Fell abgezogen und das Tier ausgenommen. Gregor konnte kaum den  Blick vom roten Blut im Schnee wenden.

"Nimm."

Gregor löste den Blick von den dampfenden Eingeweiden im Schnee und betrachtete das blutige, gehäutete Tier in den großen, schmutzigen Händen  des Jägers. Nach einem Tag hatte er sich überwinden können, das Tier zuzubereiten und zu essen.

Als Mikal  das nächste Mal vorbeikam, bat er ihn zu einem Kaffee hinein, den er in der Handmühle mahlte und im Topf aufbrühte. Mikal war es auch, der ihm den kleinen irdenen Krug mit Schnaps zeigte, der im Küchenregal stand.  Am Ende des Besuchs tranken sie den eigentümlich nach Nadeln, Erde und Wurzeln schmeckenden starken Alkohols, der grünlich schimmerte. Nie wechselten sie mehr als ein paar Wörter, meistens jeder in seiner Sprache. Gregor wusste nicht einmal, ob das, was Mikal sprach, überhaupt slowenisch war. Als er ihm einmal das Wörterbuch zeigte, winkte dieser nur ab und zeigte dabei lächelnd seinen Goldzahn.

Es wurde heller, der Schnee begann zu tauen, im Februar zeigten sich die ersten Schneeglöckchen, die schon am nächsten Tag wieder von einer neuen Schicht Schnee überdeckt waren.

Sobald der Schnee endgültig geschwunden war, kamen - meist am Wochenende - die ersten Wanderer vorbei. Gregors Unruhe wuchs. Was, wenn jemand Fragen stellte, was, wenn gar jemand nach seiner Identität fragte? Jemand, der den Alten kannte? Doch niemand fragte. Die meisten zogen nur mit einem Nicken oder einem Grußwort vorbei, um möglichst schnell auf den Pass zu gelangen.