Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Was der Kanzler kann

Der Text beschreibt die Bedrohung, die rechten Parteien für die europäische Demokratie darstellen, insbesondere nach Trumps Wahlsieg und dem Ende der Ampelregierung. Die Verteidigung offener Gesellschaften müsse über militärische Aspekte hinausgehen und zivile Resilienz fördern. Finanzielle Ungleichheit werde als zentrales Problem benannt, da stabile Gesellschaften auf faire Verteilung und öffentliche Investitionen angewiesen seien. Der Autor beklagt, dass heute privates Vermögen öffentlichem Reichtum vorgezogen werde. Rechte Parteien erzielten dort Erfolge, wo soziale Unsicherheit herrsche, ohne jedoch Lösungen anzubieten. Besonders kritisiert wird die Verharmlosung rechter Narrative in konservativen Medien und die pauschale Abwertung von Migrantinnen und Migranten. Die AfD werde als destruktive Kraft beschrieben, deren Medium die Lüge sei. Ein Dialog mit ihr sei sinnlos. Stattdessen solle der Fokus auf Stärkung politischer Teilhabe und gesellschaftlicher Resilienz liegen, da ein einzelner Kanzler diese Herausforderung nicht bewältigen könne. (Nils Minkmar, Der Siebte Tag)

Ich halte es für einen absolut unterbeleuchteten Punkt, wenn es um den Vertrauensverlust der Demokratie und der demokratischen Parteien geht, dass soziale Ungleichheit weitgehend ignoriert wird. Dafür spielt es auch keine Rolle, ob sie nun wirklich schlimmer geworden ist oder nicht - das verbreitete Gefühl ist, dass sie es ist, und Liberale und Konservative müssen sich hier vorwerfen lassen, denselben Fehler zu begehen wie die Progressiven im Umgang mit der Migration: man kann noch so viele Daten und Fakten nennen und erklären, dass man es schaffen kann; wenn das verbreitete Gefühl eines von "das Boot ist voll" ist, kommt man dagegen nicht an. Dasselbe gilt auch hier: wenn das Gefühl ist, dass die Ungleichheit ständig zunimmt und ein riesiges Problem ist, kann man noch so oft sagen, dass sich der Lebensstandard im Mittel aber weiter verbessert habe.

2) Die Feigheit der Bosse

Der Artikel beschreibt, wie die Finanzmärkte kurzfristig Einfluss auf Donald Trumps Wirtschaftspolitik ausüben konnten, etwa durch das Aussetzen von Zöllen oder Rückzieher bei Angriffen auf die Notenbank. Doch dieser Einfluss sei rein eigennützig motiviert: Nicht die Angriffe auf Demokratie, Rechtsstaat oder Menschenrechte sorgten für Marktreaktionen, sondern allein Maßnahmen, die Gewinnmargen bedrohten. Politisch relevante Kritik aus Wirtschaftskreisen bleibe aus. Viele Spitzenmanager – etwa von Blackstone oder Blackrock – schweigen oder loben Trump gar. Ihre Zurückhaltung erkläre sich aus enttäuschten Erwartungen: Statt Steuererleichterungen und Deregulierung erleben sie einen Präsidenten, der eigene Verbündete bevorzugt und willkürlich agiert. Die Hoffnung auf eine wirtschaftsfreundliche „Trump-Rally“ sei zwar geschwunden, aber nicht erloschen. Der Autor warnt: Die Finanzelite wird Trumps autoritären Kurs nicht stoppen. Die Verteidigung der Demokratie müsse daher von anderen getragen werden – durch Gerichte, Bildungsinstitutionen und eine wachsame Zivilgesellschaft. (Michael Sauga, Spiegel)

Ich bin hier völlig bei Sauga. Weder ist es die Aufgabe der Kapitalisten, die Demokratie zu retten, noch sollte man irgendwelche Hoffnungen darauf legen. Die Hoffnung, dass die Finanzmärkte Donald Trump stoppen würden, ist auch keine, die ich sonderlich feiern würde. Wenn sie das könnten, dann könnten sie auch problemlos andere Politik stoppen, die demokratisch legitimiert ist. Aber ohnehin wird die Macht der Finanzmärkte deutlich überschätzt. Es wird durch das Verhalten von Regimen wie dem Trumps immer offenkundiger, dass hier vor allem eine Selbstfesselung der Demokratien vorlag. Es mag sein, dass diese Politiken der Gesamtwirtschaft schaden; ich halte das sogar für sehr wahrscheinlich. Aber die Politik hat deutlich mehr Macht als die Wirtschaft. Das Geschwätz der Globalisierungsära wird gerade sehr profund widerlegt. Ob uns das zum Vorteil gereicht, wage ich zu bezweifeln. Aber widerlegt wird es.

3) Eine konservative Öffnung könnte der Kultur nutzen

Die Ernennung von Wolfram Weimer zum Kulturstaatsminister durch Friedrich Merz hat im Kulturbetrieb heftige Kritik ausgelöst. Eine Petition gegen ihn betont die Sorge vor einer „konservativen Verengung“ der Kulturpolitik. Der Artikel hält dagegen, dass auch die bisherige Kulturförderung ideologisch geprägt gewesen sei – mit Begriffen wie Nachhaltigkeit oder Intersektionalität als Fördervoraussetzung. Merz setze mit Weimer ein deutliches Symbol für einen politischen Kurswechsel, der in der Kultur schneller sichtbar werde als in anderen Bereichen. Die Entscheidung wird als Teil eines konservativen Kulturkampfs gedeutet, in dem sich Weimer mit Skepsis gegenüber der linken Kulturszene positionieren dürfte. Der Artikel sieht darin zugleich eine Chance: Im besten Fall könne daraus eine neue Kulturpolitik entstehen, die breitere Bevölkerungsteile erreiche, ohne ins Populistische abzugleiten. Trotz Spardruck habe Merz das Amt nicht gestrichen – das deute auf kulturelle Ambitionen hin. (Tobias Rapp, Spiegel)

Ich sehe in der Ernennung Weimers vor allem das, was im Englischen als "red meat" für die Parteibasis bezeichnet wird: es ist ein hauptsächlich symbolisches Feld, auf dem man seine ideologischen Meriten beweisen kann. Entsprechend ist es nur ein weiterer Zug im ewigen Kulturkampf, was die Reaktionen deutlich zeigen. So findet sich in der Welt, die angesichts der AfD-Einstufung des Verfassungsschutzes gerade wieder einen hervorragenden Binnenpluralismus zur Schau zu stellen weiß, eigentlich nur Kulturkämpferisches, in triumphierendem Gestus. Ulf Poschardt erklärt, "die Kultureliten sollten diesen Mann fürchten", während Jacques Schuster ganz groß in die Vergleichskiste greift ("Ein bisschen Goethe, ein bisschen Bonaparte"), bei der man sich auf fragen darf, ob es nicht auch eine Nummer kleiner geht. Umgekehrt sprechen diverse Progressive davon, dass Weimer eine "Blut-und-Boden-Ideologie" vertrete und irgendwo auf dem Level Hugenbergs einzuordnen sei. Auch das ist grotesk. Letzten Endes ist das, was hier passiert, Demokratie. Die Republik hat einen Rechtsruck erlebt, und die Mehrheit hat dafür gestimmt, dass dieser stattfindet. Also kriegen wir ihn. Das Pendel wird auch wieder zurückschwingen. Und weder konnte Claudia Roth (was für eine Obsession die Konservativen mit ihr haben!) die Republik grün einfärben, noch wird Weimer eine Art konservative geistige Revolution herbeiführen. Der Glaube an die Macht dieser Leute steht in keinem Verhältnis zu ihren realen Möglichkeiten.

4) Landwirtschaftsminister Alois Rainer: Wer ist »der schwarze Metzger«?

Alois Rainer, langjähriger Bürgermeister und Bundestagsabgeordneter aus Bayern, wird neuer Bundeslandwirtschaftsminister – und sorgt mit seiner Haltung zum Fleischkonsum früh für Debatten. Bereits vor Amtsantritt kündigte der CSU-Politiker an, Fleisch nicht verteuern zu wollen, sondern über den Marktpreis regeln zu lassen. Umweltverbände kritisieren dies als Rückschritt. Bayerns Ministerpräsident Söder stilisierte Rainer als Kontrast zum grünen Vorgänger Cem Özdemir: „Jetzt gibt es wieder Leberkäs statt Tofutümelei.“ Trotz seiner langen politischen Laufbahn war Rainer bisher kaum bundesweit bekannt. Seine agrarpolitische Kompetenz gilt als begrenzt, sein Stil als sachlich und zurückhaltend. Weggefährten loben seine ruhige Art, warnen jedoch vor seiner parteilichen Nähe zur Agrarlobby. Rainer stammt aus einer politischen Familie mit Metzgertradition, führt einen Landgasthof mit eigener Fleischerei. Künftig wird er sich mit großen Interessenverbänden, der EU-Kommission und einem komplexen Ministerium auseinandersetzen müssen – und mit einer Öffentlichkeit, die seine Politik genau beobachten wird. (Deike Diening, Spiegel)

Ein wesentlicher konsequenterer Kulturkampfposten als der Weimers ist der Rainers. Er tritt mit einem explizit kulturkämpferischen Programm auf, das auch in deutlichem Kontrast zu Özdemirs zurückhaltender Amtsführung steht. Es ist auch sachlich einfach quatschig. Wir essen ohnehin zu viel Fleisch, und Fleisch ist zu billig; die Ansage, die Preise hier senken zu wollen (Künftiger CSU-Agrarminister hält sinkende Fleischpreise für möglich) ist neben dem (parteipolitisch verständlichen) Ablehnen von Özdemirs nicht mehr umgesetzter Preiserhöhung einfach absurd. Rainers Berufen auf "soziale Marktwirtschaft" ist dabei auch nicht mehr als eine rhetorische Nebelkerze, denn die explizite Ansage, Schulen und Kitas zu fleischlastigerer Ernährung zu verpflichten, hat mit Wahlfreiheit genauso viel zu tun wie ein Veggie-Day. Es ist dasselbe in Schwarz.

5) Im Rausch der rechten Erzählungen

Der Artikel analysiert, warum rechte Politiker wie Donald Trump oder Alice Weidel so erfolgreich Narrative emotional aufladen. Im Zentrum steht die These, dass deren Erfolg nicht primär auf Wut und Zorn beruht, sondern auf der klugen Mobilisierung positiver Gefühle wie Stolz, Patriotismus und Genugtuung. Diese „narrativen Emotionen“ – also Gefühle, die aus Geschichten entstehen – würden laut dem Autor oft unterschätzt. Sie erzeugten das Gefühl, etwas „richtig“ gemacht oder ein Übel besiegt zu haben. In rechten Erzählungen fungiere etwa der Schutz der Familie oder der Nation als zentrales Motiv, das tief sitzende emotionale Belohnung auslöse. Dagegen fehle es den politischen Gegnern – wie etwa Kamala Harris oder der SPD – an überzeugenden Gegen-Narrativen. Statt mitreißender Geschichten biete man vage Begriffe wie „Respekt“ oder „Zuversicht“, die kaum Emotionen auslösten. Besonders fatal sei das, da Narrative nicht nur informieren, sondern Identifikation ermöglichen. Der Autor fordert daher, das „emotionale Repertoire“ der Politik zu erweitern – um Gefühle wie Staunen, Aufbruch oder stille Freude über Zukunftsvisionen. Nur wer solche Narrative bietet, könne mit rechter Erzählmacht konkurrieren. (Fritz Breithaupt, Spiegel)

Klar, Emotionen und Narrative sind wichtig, und die von Harris, Habeck und der SPD haben offensichtlich nicht verfangen. Nur: wenn man den Artikel so liest, lässt er einen auch ratlos zurück. Denn wie immer bei dieser Art von Artikeln ist es halt irgendwie alles und alles nicht. Erzählen Rechte ein optimistisches, hoffnungsfrohes Narrativ, das attraktiv ist? Aber ja. Erzählen sie eines von Hass, Furcht und Pessimismus? Auch ja. Können wir irgendwie vernünftig feststellen, welches davon wichtiger ist? Nein. Kann es sein, dass beide gleichzeitig unterschiedliche Gruppen bedienen? Ja. Und so weiter. Letztlich bewegt sich der Erkenntniswert des langen Essays dann in keinem besonders starken Rahmen, so sehr ich die Betonung des rechten Optimismus' für einen unterbeleuchteten Aspekt halte (vergleiche auch Fundstück 1). Aber die kohärente Gesamttheorie fehlt mir da irgendwie noch. Aktuell ist es immer eine mehr oder weniger eloquente Auflistung von Faktoren, die alle mehr oder weniger plausibel sind, in der Gesamtheit aber in Beliebigkeit münden.

Resterampe

a) “Adolescence”: Warum das Thema toxische Männlichkeit in den Unterricht gehört – die Serie selbst aber eher nicht (News4Teachers). Nochmal zu der Debatte.

b) Alles Kulturkampf, die ganze Zeit. (Twitter)

c) Schöne Analyse des Spainout. (Twitter)

d) Der Kulturkampf geht weiter. (Twitter)

e) Und weiter. (Queer)

f) Was für eine gequirlte Scheiße. (NachDenkSeiten)

g) Deutschland und Pressefreiheit (Twitter).

h) Man will lachen, aber es ist so traurig. (Twitter)

i) Diskussion über eine mögliche schwarz-blaue Regierung (LinkedIn). Danke an Erwin für den Link. Ich halte das für komplett unrealistisch. Das ist Politik im House-of-Cards-Stil, nicht etwas, das in der Realität passiert.


Fertiggestellt am 05.05.2025

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