Dieser Tage kam mein neues Buch (Titel: 'Alternativmedizin - was hilft, was schadet: Die 20 besten, die 20 bedenklichsten Methoden') heraus, das insofern besonders ist, als ich es in Deutsch geschrieben habe. Alle anderen Bücher mit meinem Namen, die in deutscher Sprache angeboten werden, sind Übersetzungen; die Originale habe ich jeweils in Englisch verfasst. Hier darf ich Ihnen eine kleine Kostprobe in Form eines Kapitels anbieten, das den Titel trägt ‚Wer heilt hat Recht – oder vielleicht doch nicht?‘ :

In jeder Diskussion zur Sinnhaftigkeit alternativmedizinischer Verfahren kommt früher oder später unweigerlich das Argument: „Wer heilt, hat recht“. Es wird nicht selten zum Dogma erhoben und stellt meist den Versuch dar, eine kritische Analyse der Alternativmedizin zu unterbinden.

Der Spruch „Wer heilt, hat recht“ geht angeblich auf Samuel Hahnemann, dem Erfinder der Homöopathie (Kapitel 2.13), zurück. Das geflügelte Wort ist ein rein deutschsprachiges Phänomen; würde man versuchen, es ins Englische zu übersetzten, so ergäbe sich in etwa: „Whoever treats you, and by whichever means they do it, as long as they cures you, they are right“, was kompliziert und kaum verständlich erscheint.

„Wer heilt, hat recht“ impliziert, dass in der Medizin die klinische Erfahrung wichtiger ist als jede wissenschaftliche Evaluation der Wirksamkeit einer Behandlungsform, ja diese sogar als unsinnig oder lächerlich entlarvt. Wenn ein Behandler mit einer Therapie hilft, dann ist das Beweis genug, dass diese Therapie effektiv ist, selbst wenn es sich bei der genannten Therapie um einen hanebüchenen Unsinn handelt. Anders ausgedrückt, wenn ein Therapeut eine Anzahl von zufriedenen Patienten vorweisen kann, dann entkräftet dieser Umstand jede Kritik an seiner Behandlungsweise.

Aber was genau bedingt, dass ein Patient eine „Heilung“ - meist wohl eher eine symptomatische Besserung – verspürt? Schematisch lässt sich dieses Phänomen etwa wie folgt zusammenfassen:

  • Ein Patient sucht wegen eines gesundheitlichen Problems (z.B. Schmerzen) einen Arzt auf.
  • Der Arzt hört sich die Krankengeschichte an, führt diverse Untersuchungen durch, stellt eine Diagnose und verabreicht eine Therapie.
  • Die Behandlung läuft für den vorgeschriebenen Zeitraum, und dann stellen Arzt und Patient fest, dass die Beschwerden deutlich weniger oder gar verschwunden sind.

Es ist stets eine große Versuchung, anzunehmen, dass diese „Heilung“ nicht nur in einem zeitlichen, sondern auch in einem kausalen Zusammenhang mit der applizierten Therapie steht. Korrelation ist jedoch kein Beleg für einen Kausalzusammenhang. Wenn kurz vor Sonnenaufgang der Hahn kräht, dann bedeutet das nicht, dass sein Krähen die Sonne aufgehen ließ, auch wenn der Vorgang noch so regelmäßig zu beobachten ist. Wenn ein Patient nach einer Therapie Besserung verspürt, dann heißt das nicht zwangsläufig, dass die Therapie die Besserung verursacht hat.

Das Resultat jeder Behandlung setzt sich aus zahlreichen Faktoren zusammen, und der eigentliche Therapieeffekt ist dabei nur ein Baustein von vielen. Schematisch lassen sich die einzelnen Faktoren leicht differenzieren. Es handelt sich um wohl-bekannte Phänomene:

  • der natürliche Verlauf der Erkrankungen (viele Krankheiten werden von alleine besser, selbst wenn wir sie nicht behandeln),
  • der Placebo-Effekt (das Ritual einer Behandlung hat positive Effekte, allein schon weil wir solche erhoffen),
  • die Therapeut-Patient-Beziehung (Empathie, Mitgefühl und Verständnis beeinflussen ein Leiden positiv),
  • die Regression zur Mitte (Ausreißer tendieren dazu, sich bei erneuter Messung in Richtung Mittelwert zu bewegen).

Natürlich kann auch ein spezifischer Effekt der verabreichten Therapie zum Erfolg beitragen, wenn ein solcher existiert. Aber  selbst bei völliger Abwesenheit eines spezifischen Effekts ist aufgrund der Vielzahl weiterer Faktoren eine „Heilung“ oder Symptomverbesserung nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich. Denken Sie nur an den ganz gewöhnlichen Schnupfen, gegen den bekanntlich kein Kraut gewachsen ist; unbehandelt dauert er etwa 10 Tage, und behandelt etwa eineinhalb Wochen.

Was bedeutet das alles in Bezug auf die Annahme „Wer heilt, hat recht“? Hat z.B. ein Geistheiler mit seiner Geistheilung recht, nur weil er Dutzende von dankbaren Patienten vorweisen kann?

Sicher nicht!

Zum einen existieren immer auch Patienten, die nicht „geheilt“ wurden. Unser oft sehr selektives Gedächtnis (der sog ‚recall bias‘) lassen diese „Nicht-Responder“ gerne unter den Tisch fallen. Zum anderen hat der Geistheiler nicht nur nicht recht, sondern sogar unrecht; seine therapeutischen „Erfolge“ beruhen nicht auf den Wirkungen seiner Therapie, sondern auf denen des therapeutischen Kontexts, d.h. auf den Faktoren, die in Abbildung 1 schematisch skizziert sind.

Für den Patienten ist dies letztlich belanglos, wird häufig behauptet. Für ihn zählt nur die Tatsache, dass seine Beschwerden gebessert wurden, dass er ‚geheilt‘ wurde. Ich meine jedoch, dass selbst diese in der Alternativmedizin beliebte Annahme letztlich unrichtig ist. Denn eine wirksame und gut applizierte und effektive Therapie generiert stets spezifische Therapie-Effekten und Kontext-Effekte. Anders ausgedrückt: ein Therapeut bringt seine Patienten um einen wichtigen Teil der möglichen ‚Heilung‘, wenn er statt einer effektiven Behandlung eine Schein-Therapie verabreicht und so nur Kontext-Effekte aber keine spezifischen Effekte wirksam werden.

„Wer heilt, hat recht“ entpuppt sich somit als eine Plattitüde und ein Schein-Argument. In Wirklichkeit hat nur derjenige Recht, der die jeweils bestmögliche Therapie verabreicht – und das ist nun einmal eine Therapie, die durch solide Evidenz gestützt wird.


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