Indonesien ist die drittgrößte Demokratie der Welt und die größte Volkswirtschaft im schnell wachsenden Südostasien. Doch in der rohstoffreichen Provinz West-Papua summieren sich die Menschenrechtsverletzungen. Der Konflikt zwischen indonesischem Militär und indigener Bevölkerung spitzt sich zu.

Während die weltweite Aufmerksamkeit auf den Konfliktherden in Gaza und Myanmar liegt und das Leiden der Uiguren in China für weltweite Empörung sorgt, braut sich auch in West-Papua eine brandgefährliche Situation zusammen. Letzteres konnte so heimlich, still und leise vonstatten gehen, da ausländische Medienvertreter keinen Zutritt in West-Papua haben und selbst lokale Journalisten wie Victor Mambor, der im papuanischen Jayapura ein Medienunternehmen betreibt, immer wieder bedroht werden. Erst im April beschädigten Randalierer beispielsweise das Auto Mambors schwer.

In den vergangenen Wochen sollen laut lokaler Medienberichte hunderte indonesische Soldaten in die Provinz West-Papua entsandt worden sein. Unzählige Menschen sind aus Angst vor dem Militär aus ihren Dörfern geflohen. Auslöser für den militärischen Einsatz ist der Tod eines hochrangigen indonesischen Polizeichefs Ende April. Dieser kam bei einer Schießerei mit der sogenannten West Papua National Liberation Army (TPNPB) Ende April ums Leben. Der Polizeichef war in der Region gewesen, um den gewaltsamen Tod von zwei Lehrern und einem Jugendlichen zu untersuchen, die TPNPB ermordet hatte, weil sie angeblich indonesische Spione waren. TPNPB kämpft für ein freies und von Indonesien unabhängiges West-Papua.

Der indonesische Präsident Joko Widodo © Wikipedia Creative Commons, Pemerintah Provinsi DKI Jakarta (Provincial Government of Jakarta) 

„Wir leben in einem Kriegsgebiet“

Der Tod des Indonesiers schlug in Jakarta hohe Wogen. Der indonesische Präsident Joko Widodo sagte lokalen Medien, er habe den Sicherheitskräften befohlen, „alle Rebellen zu jagen und zu verhaften“, während ein weiterer hochrangiger Regierungsvertreter, Bambang Soesatyo, sagte, sie sollten alle „zuerst vernichtet“ werden. Über Menschenrechtsfragen könne man später sprechen. Lanikwe, die Leiterin eines lokalen Frauenvereins, sagte dem Guardian, die Situation für die Menschen vor Ort sei inzwischen entsetzlich. In ihrer Region seien Tausende vertrieben worden. „Fünf Dörfer flohen in den Dschungel. Kliniken und Schulen wurden vom Militär übernommen. Soldaten sind überall. Wir leben in einem Kriegsgebiet“, berichtete sie.

In einem Aufsatz für das akademische Online-Magazin The Conversation schrieben drei West-Papua-Experten erst vor wenigen Tagen über ihre Sorge, dass die Gewalt auf der Halbinsel eskalieren könnte und die indonesischen Soldaten mit unverhältnismäßiger Härte gegen die Menschen in West-Papua vorgehen könnten. Bereits 1977-78 war es im Baliem-Tal und 1998 auf der Insel Biak zu Massakern an der einheimischen Bevölkerung gekommen.

Historische Szene aus dem Baliem-Tal. © Wikipedia Creative Commons

Morde, Belästigungen und willkürliche Verhaftungen

Als Beispiel für die zunehmende Gewalt führen die Akademiker einen Vorfall aus dem Februar an. Damals war ein indonesischer Soldat von separatistischen Kämpfern im zentralen Hochland von Papua erschossen worden. Als die Sicherheitskräfte sich auf die Suche nach seinem Mörder machten, schossen sie bei der Befragung von Dorfbewohnern einem jungen Mann in den Arm und zerschmetterten seinen Knochen. Seine Brüder begleiteten ihn daraufhin in eine Klinik. Doch dort wurden die drei Männer laut einer der Ehefrauen angeblich gefoltert und getötet.

Die Agentur Reuters, die über diesen Vorfall ebenfalls berichtete, zitierte damals Ravina Shamdasani, eine Sprecherin des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, mit den Worten, dass sie weiterhin „glaubwürdige Berichte über den exzessiven Einsatz von Gewalt durch Militär und Polizei“ in der Region erhalten würden. Darunter seien Morde, Belästigungen und willkürliche Verhaftungen. Nach Angaben von Amnesty International wurden zwischen Februar 2018 und August 2020, 47 Fälle von rechtswidrigen Tötungen durch indonesische Sicherheitskräfte in der Region registriert – mit insgesamt 96 Opfern. Viele der Einheimischen, aber auch ausländische Beobachter, sind inzwischen der Überzeugung, dass sich in West-Papua ein langsam voranschreitender Völkermord abspielt.

Wirtschaftliche Entwicklung versus Nationalismus

Als wesentlichen Grund für die Eskalation des Konflikts nennen Experten die Politik des indonesischen Präsidenten Joko Widodo. „Er glaubt, dass die wirtschaftliche Entwicklung den papuanischen Nationalismus übertrumpfen wird“, hieß es in der akademischen Analyse bei The Conversation. Doch aus Jakarta anberaumte Projekte würden den Konflikt nur anheizen. Ein Beispiel dafür sei der Bau einer Autobahn, die das Innere von Papua „erschließen“ soll. Doch wo der Präsident wirtschaftliche Entwicklung sehe, würden die Einheimischen nur „mehr Soldaten, mehr Holz- und Bergbauunternehmen und mehr indonesische Siedler“ sehen.

West-Papua ist vor fast 50 Jahren von den Niederlanden im Zuge der Dekolonialisierung an Indonesien abgetreten worden. 1969 stimmten Repräsentanten West-Papuas im sogenannten „Act of free Choice“ zu, dass West-Papua weiterhin zu Indonesien gehören solle. Im Nachhinein kamen jedoch Gerüchte ans Tageslicht, wonach die Repräsentanten der Ureinwohner mit ihrem Leben und dem Leben ihrer Familien bedroht worden seien, damit sie für Indonesien stimmten.

Titelbild: © Wikipedia Creative Commons, By 710928003 - Local Yali Tribeman Baliem Valley - Papua, CC BY 2.0

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