Ende Oktober startet in Glasgow die 26. Weltklimakonferenz. Klar ist, welche Bedeutung sie angesichts der Klimakrise hat. Aber egal, was beschlossen wird, können wir Menschen es umsetzen? Oder macht uns die Psyche einen Strich durch die Rechnung?

Unsere Reaktion auf die Klimakrise sei geprägt vom „Weiter-so“, sagt der Soziologe Harald Welzer laut Spiegel. Nach seiner Kernthese habe unsere Kultur kein Konzept zum Aufhören. Aber nur wenn wir aufhören, uns in die Richtung des ständigen Wachstums zu bewegen, können wir die Klimakrise vermutlich meistern.

Bleibt also nur die Hoffnung, dass die Menschen ihr Verhalten ändern und den Klimawandel stoppen oder abschwächen? Tatsache ist: Alles, was abstrakt oder komplex ist, wird von den meisten Menschen nicht verstanden, was auch mit der Evolution zu erklären ist. Denn zu Beginn unserer Entwicklung ging es in erster Linie darum zu überleben. Nahte ein Raubtier, liefen wir weg. Eine komplexe Bedrohung wie den Klimawandel in der Ferne gab es nicht.

Aber es gibt noch andere, meist psychologische Verhaltensmuster, die unsere Unfähigkeit erklären. So gibt es zum Beispiel den „unrealistischen Optimismus“. Danach sind wir für unser eigenes Leben optimistischer als für das der anderen. Es wird mich schon nicht treffen, ich muss nicht aktiv werden, lässt sich diese Haltung ausdrücken. Wer weiß, wie viele Menschen beim Anblick der Flutkatastrophe im Ahrtal trotz solidarischem Mitgefühl so gedacht haben?

Systemische Risiken wie der Klimawandel oft widersprüchlich bewertet und unterschätzt

Auch soziale Normen sind relevant. So orientieren wir uns oft daran, wie sich andere Menschen um uns herum verhalten. Und wer sich heute umschaut, sieht, dass nach wie vor ein konsumorientierter, CO2-intensiver Lebensstil die Norm ist. Warum soll ich also darauf verzichten, in meinen Urlaub zu fliegen, wenn alle um mich herum das auch tun? Und warum soll ich meinen tonnenschweren SUV zugunsten des Klimaschutzes abgeben? Fahren doch noch viele andere so ein Monster.

Am Ende gibt es aber auch noch den fatalen „Zuschauereffekt“. Damit meinen Psychologen das Gefühl, dass schon jemand anderes die Gefahr an meiner Stelle abwenden wird. Denken wir da nicht in erster Linie an die Politik? Also lassen wir es die Weltklimakonferenz mal richten …

Einen Blick auf solche Themen wirft auch regelmäßig das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung, kurz IASS. Dort hat man kürzlich noch mal herausgearbeitet, dass systemische Risiken wie der Klimawandel von der Gesellschaft oft widersprüchlich bewertet und unterschätzt werden, was dazu führe, dass die Politik verzögert Maßnahmen ergreift.

Wie kann die Wissenschaft in solchen Fällen unterstützen? Ein Team des IASS hat Empfehlungen für Politik und Wissenschaft zur Governance von systemischen Risiken wie etwa des Klimawandels entwickelt. So untersuchten die Risikoforschenden Pia-Johanna Schweizer, Robert Goble und Ortwin Renn in einer Studie, warum systemische Risiken in der öffentlichen Wahrnehmung eine untergeordnete Rolle spielen und welche Dynamik damit verbunden ist.

Einer der Gründe dafür sei, dass Menschen auf kulturelle Erinnerungen an Risiken und Gefahren aus früheren Generationen zurückgreifen, die in heutigen Situationen nicht mehr schützen. So führt beispielsweise der Klimawandel dazu, dass sich die Klimaverhältnisse auch im Norden stark verändern und es zu häufigeren Extremwetter-Ereignissen kommt. „So genannte Kipppunkte im Erdsystem lassen sich jedoch erst nach Überschreiten des kritischen Punktes nachvollziehen, doch dann ist es zu spät, um gegenzusteuern“, lautet die nüchterne Erkenntnis.

Wahrnehmung durch soziale Kommunikationsprozesse eher verringert

Denn vor dem Erreichen eines Kipppunktes erscheinen systemische Risiken für viele Menschen räumlich und zeitlich weit entfernt und dadurch weniger gefährlich als Risiken, die die Menschen unmittelbar bedrohen, folgert die Autorenschaft. Sie seien weniger leicht verständlich und aufgrund ihrer Komplexität und Nichtlinearität weniger präsent im Bewusstsein der meisten Menschen.

„Selbst wenn ein systemisches Risiko wie der Klimawandel die Funktion lebenswichtiger Systeme der Gesellschaft bedroht, verspüren viele weniger Dringlichkeit, das eigene Verhalten zu ändern oder strengere Regulierungsmaßnahmen zu akzeptieren“, erklärt die IASS-Wissenschaftlerin Schweizer. Gesellschaftswissenschaftler, sagt sie, würden zwei Effekte ausmachen, die ineinandergreifen. „Zum einen fragen sich die Menschen, was sie mit ihren eigenen Handlungen bewirken können, wenn große Konzerne und die Mehrheit der Menschen am business as usual festhalten“, so Schweizer. Zum anderen hätten Menschen die fatalistische Wahrnehmung, dass es eh zu spät ist, um systemischen Risiken wie dem Klimawandel entgegen wirken zu können.

Das IASS-Team hat sich auch die dynamischen Prozesse der gesellschaftlichen Wahrnehmung systemischer Risiken angeschaut und nach Gründen für die mangelnde Aufmerksamkeit von Politik und Öffentlichkeit gesucht. „Wir konnten feststellen, dass sich die Wahrnehmung systemischer Risiken bei einem Großteil der Bevölkerung durch soziale Kommunikationsprozesse eher verringert als verstärkt“, berichtet Schweizer.

Für die Risikoforscherin führt das zu einer geringeren Handlungsbereitschaft, auch im Fall des Klimawandels: „Die gegenwärtigen Bemühungen sind unzureichend, um die Temperaturziele des Pariser Abkommens noch einzuhalten, vielmehr wird darauf vertraut, dass Techniken wie Climate- und Geo Engineering-Techniken, die gegenwärtig noch nicht im großen Stil anwendbar sind, in Zukunft wesentlich dazu beitragen werden, die Klimaziele zu erreichen.“

Große Rolle spielen digitale Kommunikationsmittel wie Social Media

Das IASS-Team hat unterdessen Faktoren benannt, die zur Unterschätzung eines Risikos führen. Demnach neigen Menschen dazu, Wirkweisen von systemischen Risiken als weniger plausibel und naheliegend einzustufen. Auch schätzen Menschen Informationen, die mit Unsicherheit, Ungewissheit und Mehrdeutigkeit verbunden sind, als „noch nicht ausgegoren“ und vor allem als wenig handlungsrelevant ein. Zudem seien nur wenige in der Lage, die Korrektheit wissenschaftlicher Argumente in einer öffentlichen Debatte zu beurteilen.

Eine große Rolle spielen aber die digitalen Kommunikationsmittel wie Social Media, die die „Echokammern“ im öffentlichen Diskurs noch verstärken. „Infolgedessen polarisieren sich die Wissenslager und differenzierte Ansätze werden ausgeblendet, die für den Umgang mit systemischen Risiken entscheidend wären“, so die Warnung.

Was heißt das für die Wissenschaft, die in der Klimadebatte eine wichtige Funktion hat? Entscheidungsfindungsprozesse mit Expertise unterstützen, fordern die Risikoforschenden im IASS. Und Wissen um die komplexen Wirkmechanismen systemischer Risiken gegenüber Politik und Öffentlichkeit durch nachvollziehbare Narrative und realitätsnahe Illustrationen wie grafische Darstellungen und Simulationen kommunizieren. Verheerende Auswirkungen etwa einer Klimakrise könne man mindern, wenn erkannt werde, welche sozialen Prozesse die Wahrnehmung von systemischen Risiken beeinflussen.

Foto: Gerd Altmann auf Pixabay

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