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19. Türchen: Sushi statt Gänsebraten
Ein zweites Weihnachten steht vor der Tür, das anders sein wird, anders sein muss als unsere früheren Gewohnheiten. Hatten wir alle gehofft und vielleicht auch ernsthaft gedacht, dass wir mit der Möglichkeit der Impfung diese Pandemie überwunden haben und ein Jahr nach Zulassung des lebensrettenden Impfstoffes entspannt und fröhlich unter dem Christbaum zusammenkommen, so wurden wir alle bitter enttäuscht. Wer auch immer die Verantwortung dafür trägt, diese Frage ist letztlich kaum zu entscheiden und bringt uns auch für das bevorstehende Fest nicht weiter – es bleibt für uns Familien die herausfordernde Realität, ein zweites Pandemieweihnachten zu gestalten. Jede Familie hat sehr unterschiedliche Ausgangssituationen – manche feiern mit vielen Verwandten, die aus allen Richtungen zusammenkommen, manche feiern lieber im kleinen Kreis, wir alle haben unsere Gewohnheiten und diese sind mehr oder weniger von der Pandemie beeinträchtigt. Je größer die Diskrepanz zwischen „so machen wir das immer“ und „das geht jetzt nicht“ ist – zudem ein „das geht jetzt zum zweiten Mal nicht“ – umso größer sind Herausforderungen v.a. auch emotionaler Art, die Auseinandersetzung mit Erwartungen aus der Familie, mit unterschiedlichen Ansichten, wie man dieses zweite Pandemieweihnachten denn feiern möchte.
Eines muss allen klar sein, so schmerzhaft das auch ist: es ist dieses Jahr immer noch alles anders. Vielleicht haben Sie letztes Jahr schon neue Erfahrungen gemacht, einen positiven kreativen Umgang mit dem Fest und der Familie gefunden und können daran anknüpfen. Unter dem Stichwort Sushi statt Gänsebraten möchte ich einladen, nochmal die Perspektive zu wechseln. Planen Sie Weihnachten als „Lockdown-Weihnachten“ (dann kann sie nichts mehr überraschen und Sie sind besser als die „überraschten“ Politiker). Überlegen Sie diese Woche mit den Kindern, was es zu essen gibt – im kleinen Kreis sind andere Dinge möglich als im großen Kreis. Wie wäre es mit selbstgemachten Sushis? Es gibt auch für kleines Geld Komplettsets oder man besorgt sich die einzelnen Komponenten nach eigenem Wunsch und Bedarf. Sushi im Original bedarf des rohen, ganz frischen Fisches – aber auch das muss gar nicht sein. Es geht auch mit anderen Sachen, es geht auch vegetarisch oder vegan. Überlegen Sie, wie „Ihr“ Familiensushi aussieht, wer möchte was in die Bastmatte einrollen? Den Ideen sind keine Grenzen gesetzt. Ein Sushi mit einem Gummibärchen in der Mitte – WARUM NICHT? Wirklich! Warum nicht? Kinder jeglichen Alters können bei der Zubereitung mitmachen und sehen, wie das Essen entsteht, was sie auf dem Teller haben. Es schult die Motorik, lehrt auf kindlichem Niveau, sein Essen zuzubereiten und kann zu einer feier(halb-)tagsfüllenden Familientätigkeit einschließlich der kulinarischen Testung verschiedenster verrückter Varianten werden.
Planen Sie den Umgang mit der Familie, die sonst zu Besuch kommt und vielleicht sehnlich wartet und erwartet, sich zu sehen. Wie kann man den Umgang gestalten? Kinder sind meistenteils noch ungeimpft, das sollte berücksichtigt werden, auch zu deren eigenem Schutz. Nicht alle in der Familie sind schon geboostert, auch das gilt es, zu beachten.
Niemand möchte ein Weihnachten, in deren Folge jemand aus der Familie im Krankenhaus verstirbt. Denken Sie daran, dass – so unwahrscheinlich Sie das vielleicht für sich und Ihre Familie auch halten – es dennoch ein Risiko ist, das sich von anderen „üblichen“ Risiken unterscheidet. Denken Sie daran, dass auch Siegfried der Drachentöter aus der Nibelungensage ein Lindenblatt auf der Schulter hatte, dass seine Unbesiegbarkeit Lügen strafte und das Unwahrscheinlichste Realität werden ließ. Für Ihre eigene Familie und Ihre Kinder haben Sie die Verantwortung und das Recht, die Einschätzung vorzunehmen.
Planen Sie doch jetzt schon mit den Verwandten einen Videocall zu der Zeit, in der Sie normalerweise gemeinsam zusammensitzen. Die Digitalisierung der Haushalte ist eine andere als im letzten Jahr (wenn auch leider noch nicht so, wie es nötig und der Zeit angemessen wäre). Jeder hat ein Glas des üblichen Getränkes vor sich, einen Teller mit Plätzchen oder dem, was Sie mögen. Eine charmanter Vorteil ist, dass Sie in diesen Videocall auch Verwandtschaft aus dem Ausland einbeziehen können, die Sie sonst in dieser Konstellation nicht gesehen hätten. Ganz verrückt: machen Sie zusammen Musik, falls Sie Instrumente spielen oder singen Sie zusammen. Nur Mut! Noch verrückter: Kochen Sie zusammen, jeder in seiner Küche und per Video verbunden.
Spielen Sie zusammen – es gibt genügend Spiele, die auch über Distanzen gespielt werden können. Gerade Kinder haben Spaß daran, mit der Oma per Videocall Stadt-Land-Fluss, Schiffe-versenken, Scrabble oder Kniffel zu spielen.
Wechseln Sie die Perspektive: von dem, was nicht geht auf das, was geht. Und entwickeln Sie Neues. Denken Sie nicht mehr an das, was man sonst gemacht hätte. Wir verfangen gerade zu solchen Gelegenheiten, die emotional besonders wichtig sind, gerne im Defizitären, in dem, was wir vermissen oder ersehnen und ins Weihnachtsfest legen wir all die Hoffnungen, die vielleicht ansonsten mit oder ohne Pandemie im Laufe des Jahres nicht erfüllt wurden.
Kaum jemand stürzt sich kopfüber und gerne in dramatische Veränderungen und wirft alles über den Haufen, was er bislang kannte und liebte. Um die Balance zu wahren, achten Sie besonders auf die Dinge, die Sie immer machen und die auch dieses Jahr möglich sind: die Wohnung zu dekorieren wie immer. Plätzchen backen wie immer. Musik machen und hören. Den Lieblingsweihnachtsfilm gucken. Es gibt viele Sachen, die pandemietauglich sind. Legen Sie diese Dinge in Ihre emotionale Waagschale. Wertschätzen Sie das. Die Balance halten wir weniger in dem, was wir machen, sondern welchen Wert wir den Dingen zuschreiben. Wenn es Ihnen hilft, machen Sie eine Liste: was geht wie immer, was nicht. Und in die dritte Spalte kommen die Alternativideen. Der Vorteil: es wird für alle sichtbar, worin und wie sich dieses Weihnachten wirklich von anderen unterscheidet - von den früheren und von dem des letzten Jahres. Es hilft, das aktuelle Erleben einzuordnen, in Bezug zu setzen und ihm die Schärfe zu nehmen, die - auch - die öffentliche Diskussion der Veränderung beimisst.
Besonders wichtig ist der Blick der Kinder. Sie vermissen gewohnte Dinge (fast) mehr als wir Erwachsenen und leiden unter daraus resultierenden Unsicherheit. Helfen Sie Ihnen, auch Kinder können einen kleinen Perspektivwechsel schaffen: besprechen Sie (immer mal wieder), worauf sie sich freuen können, was sie wie gewohnt machen können, was das diesjährige Weihnachten schön machen wird, was es Besonderes geben kann.
Denken Sie daran, wie Sie dieses Weihnachten, wie Ihre Kinder dieses Weihnachten in Erinnerung behalten sollen. Denn es bleibt ja - ob wir es wollen oder nicht - ein Weihnachten, an das wir uns erinnern werden. Was wünschen Sie sich, wenn Sie in Jahren darüber sprechen? "Mama, das war furchtbar, weil wir das und das und das nicht machen konnten.", weil wir den Perspektivwechsel nicht hinbekommen haben? Oder lieber: "Mama, wir haben trotz Pandemie ein schönes Weihnachten erlebt. Weißt du noch, als wir ... gemacht haben? Das hatten wir vorher noch nie.", weil wir es geschafft haben, aus der Situation etwas positiv Erinnerbares zu machen.
Sie legen damit eine wichtige Grundlage für Widerstandskraft und Krisenkompetenz.
Und denken Sie daran: wenn es emotional schwierig wird – suchen Sie Hilfe. Sie haben ein Recht darauf. Rufen Sie die Telefonseelsorge an oder eine Beratungsstelle. Sprechen Sie mit Freunden oder Verwandten, die Ihnen Rat geben und zuhören. Gehen Sie raus – wir haben keine Ausgangssperre. Ein flotter Spaziergang in der Kälte baut Anspannung ab, hilft, die aufgewühlten Gedanken zu ordnen und wenn man nach Hause kommt, sind vielleicht ein konstruktives Gespräch und eine Lösung möglich.
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